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Der Hamburger Sänger Jan Delay bei seinem Berliner Auftritt.

© Davids

Jan Delay in Berlin: Komm, lass uns Sandburgen zertrümmern

Hamburger Stimmungsmaschine: Jan Delay und seine Band Disko No. 1 geben in der Berliner Max-Schmeling-Halle ununterbrochen Vollgas.

Der Berliner Musiker Max Herre wird im Frühling bei zwei Karibikkreuzfahrten für die Abendunterhaltung sorgen. Ebenfalls an Bord beim Trip von Salvador über Barbados nach Miami sind Sängerin Joy Denalane sowie die Rapper Afrob und Megaloh. Mit 9990 Euro (inklusive Flug) ist man dabei.
Für die nächste Saison sollte das Team der MS Europa 2 vielleicht mal versuchen, Jan Delay und seine Band Disko No. 1 anzuheuern. Sie würden ebenfalls toll ins Bespaßungsprogramm nach dem Captain’s Dinner passen, denn der 38-jährige Hamburger und seine elfköpfige Combo bilden gemeinsam eine nahezu perfekte Stimmungsmaschine. Nicht mal neue Klamotten müssten sie sich besorgen, so schick sehen sie alle aus in ihren schwarzen Anzügen und Minikleidchen, die durch Applikationen mit Leopardenfellimitat aufgehübscht wurden.

Jan Delay ist ein High-Energy-Entertainer

Derzeit gondelt die Truppe mit Delays viertem Solo-Album „Hammer & Michel“ durchs Land. Beim Stopp in der Berliner Max-Schmeling-Halle startet sie mit „Liebe“, dem ersten Song daraus. Die Bühne ist in rotes Licht getaucht, Delay formt ein Herzchen mit den Fingern – die Zuschauer erwidern die Geste. Zack, schon hat er alle auf seiner Seite. Und bumm, gleich noch den Hit „Klar“ hinterher und zack auch noch den neuen Knaller „Wacken“ obendrauf. Ein Lehrstück in Sachen effektiver Showeröffnung.
Jan Delay – wie immer mit Hütchen und Sonnenbrille, die er den ganzen Abend aufbehält – gibt ununterbrochen Vollgas und erwartet dasselbe von seinem Publikum, das er ständig zum Mitmachen auffordert: Jetzt mal alle die Pommesgabel zeigen, jetzt mal hüpfen, jetzt mal Kleidungsstücke über dem Kopf rotieren lassen und jetzt mal mit mir den Refrain einstudieren. Dass dabei keine Fitness-Studio-Atmosphäre entsteht, liegt an der Mischung aus Souveränität, Witz und hanseatischer Hip-Hop-Lässigkeit, mit der der Sänger agiert. Er hat ein gutes Timing, weiß genau, wann er mal kurz ein bisschen Selbstverarschung einbauen muss. Vor dem Song „Fick“ kündigt er an, die mühsam errichteten „Sandburgen der Sympathie“ nun wieder einzureißen und fordert alle über 18 auf, sich die Ohren zuzuhalten. Damit ist die Bahn frei, das pubertäre Lied richtig schön zu zelebrieren – inklusive eines riesig auf den LCD-Bildschirmen aufleuchtenden „Fick“- Schriftzugs und gleichlautenden Chorgesangs.
Das High-Energy-Entertainment hat allerdings auch seine nervigen Seiten. Dazu gehören die Medley- und Coverelemente, die die zweistündige Show immer wieder in Betriebsfeier-Gefilde drängen. Während sich das auf dem „Word Up“- Riff basierende „Türlich, türlich“ noch geschmeidig ins Set fügt, wirkt die kurz darauf abgefeuerte Zitat-Collage aus Songs der Red Hot Chili Peppers, von Macklemore und Led Zeppelin ziemlich anbiedernd. Später kommen unter anderem noch Lenny Kravitz’ „Are You Gonna Go My Way“, eine vom Gitarristen beamtenhaft runtergespielte „Paradise City“-Kurzversion sowie Blurs „Song 2“ mit deutschem Text hinzu.

Der neue rockige Sound überzeugt nur streckenweise

Das ist wohl als Hommage an die Vorbilder gedacht, die das Album „Hammer & Michel“ inspiriert haben, kommt aber eher so rüber, als traue Jan Delay seinen eigenen Lieder nicht zu, ohne diese Stützen zu laufen. In der Tat hat der in den neunziger Jahren mit der Hip-Hop-Formation Absolute Beginner bekannt gewordene Sänger schon deutlich überzeugendere Platten veröffentlicht. Bei seinem Genre-Hopping, das ihn schon zu Reggae, Pop, Soul und Disko führte, ist er nun bei einem etwas rockigeren Sound angelangt. Es ist der erste Stilwechsel, der nur halb hinhaut, denn zu vieles auf „Hammer & Michel“ klingt altbacken, schlecht abgepaust oder zu gewollt. Vor allem aber sind Disko No. 1 keine Rockband. Das wird auch im Konzert immer wieder deutlich. Sauber und kontrolliert verrichten die neun Musiker und drei Sängerinnen ihre Arbeit. Zwar verleihen sie den neuen Stücken etwas mehr Schwung als auf dem Album, doch der letzte Punch fehlt. Deutlich wird das etwa bei der schnell auf der Stelle herumhämmernden Nummer „Nicht eingeladen“, die Delay als Gelegenheit zum Durchknallen bezeichnet. Doch an der Stelle, an der die „Rockrutsche“ losgehen soll, macht die Band nur ein paar Mal schlapp Schrummschrummschrummschrumm-schrumschrum, statt eine fette Explosion zu zünden. War ironisch gemeint? Hat nicht funktioniert.

Die Band lebt immer dann hörbar auf, wenn sie sich vom Rockterrain entfernen und das Tempo mal rausnehmen darf. So gehören eingestreute Reggaestücke wie „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“ zu den Höhepunkten des Abends. Auch wenn wie in „Oh Jonny“ die drei Bläser statt der zwei Gitarren den Ton angeben dürfen, wird es schlagartig mitreißender. Selbst, dass die Band in diesen „Hobbyschlager“ (Delay) ein kurzes Missy-Elliott-Zitat einbaut, wirkt elegant und clever. Zum Abschluss gibt’s mit „St. Pauli“ noch mal ein bisschen Schunkelrock. Würde sicher auch auf der MS Europa Spaß machen. Ahoi.

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