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Anthony Fauci auf einem Wandbild in New York.

© AFP

Kolumne "Spiegelstrich": Warum Wahrheit stärker ist als Lüge

Wenn Donald Trump die Wirklichkeit verdreht, ist die beste Strategie, ihm mit Tatsachen zu widersprechen.

Es ist an der Zeit, einen Text über die USA mit Hannah Arendt zu beginnen (und auch mit ihr zu beenden, aber das Ende kommt, auch in ungestümen Zeiten, zum Schluss). Die Philosophin Arendt (1906 – 1975) schrieb in ihrem Essayband „Nach Auschwitz“: „Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der deutschen Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen.“

Der Satz meinte Deutschland, allerdings exemplarisch, denn er meint alle Gesellschaften, in denen Herrscher und Volk Wirklichkeit verdrehen und Wahrheit zur Lüge erklären und die eigene Lüge zur Wahrheit.

Beweiskraft der Wissenschaft

Ruth Bader Ginsburg, die 87 Jahre alt wurde, und Anthony Fauci, der 79 Jahre alt ist, glaubten und glauben an Tatsachen und konnten und können daraus Meinungen ableiten, Urteile, Strategien. Beide widersprachen und widersprechen Mächtigen, blieben und bleiben der Wahrheit treu. Die Richterin am Supreme Court, Ginsburg, vertraute auf Verfassung und Recht; der Epidemiologe Fauci auf Forschung und die Beweiskraft exakter Wissenschaft.

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Wir sind noch nicht am Ende dieses Textes; doch hier ein Zwischenruf: „Die traurige Wahrheit ist, dass das Schlimmste von den Menschen begangen wird, die sich niemals dazu entscheiden, gut oder böse zu sein.“ Von den Gleichgültigen redet Hannah Arendt hier, den Abgelenkten, den Nichtwählenden, den Zuschauenden, den Mitlaufenden. Wäre Zynismus für Kolumnisten eine angemessene Haltung, müsste ich jetzt den Satz formulieren, dass jene 47 Prozent weißer Frauen, die 2016 den misogynen Donald Trump zum Präsidenten gewählt haben (Hillary Clinton: 45 Prozent), nichts Besseres verdient haben als eben Trump, der nun Ginsburg ersetzen und deren Jahrzehnte des Kampfes für eine freundlichere, gerechtere Gesellschaft fortwischen wird.

Doch: nein. Zynismus ist keine angemessene Haltung.

Mit Gesten für Gerechtigkeit

RBG, wie sie genannt wurde, stand unzynisch, intelligent, gebildet und manchmal, wenn sie verloren hatte, mit Gesten für das ein, was recht war. 2000, als der Gerichtshof dem Republikaner George W. Bush den Sieg über den Demokraten Al Gore schenkte (indem er eine Stimmenauszählung in Florida untersagte), formulierte Ginsburg fulminant die Verteidigung der Demokratie und formvollendet die Verachtung: „I dissent“, schrieb sie dort, wo „Respectfully, I dissent“ zu stehen hätte; diesen Respekt hatten die Kollegen verspielt.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

Fauci, der Arzt, bleibt auch dann bei Maske und Daten, wenn die gesamte maskenfreie Regierung sagt, die Pandemie sei besiegt. Manchmal wartet Fauci einen Tag lang, ehe er den Präsidenten korrigiert, manchmal kratzt er sich nur am Kinn, wenn Trump wieder lügt. „Wir haben noch nicht einmal damit angefangen, das Ende der Krise zu sehen“, solche feinen Sätze sagt er und mitunter auch scharfe: „Okay, stoppen wir diesen Nonsens.“

Kompetenz ist verschwunden

Ginsburg ist tot. Fauci wird an den Rand gedrängt, da Trump wünscht, dass Fauci schweige. Aus Trumps Kabinett ist mit dem dritten, vierten Austausch des Personals der Rest von Kompetenz verschwunden; Trumps Schwiegersohn Jared Kushner glaubt ohnehin, Krisen aller Art besser bewältigen zu können als die jeweiligen Fachleute. Trumps Söhne Eric und Don Junior brüllen durchs Land, dass der Kandidat Joe Biden senil und ferngesteuert sei. Wer hat diese Söhne gewählt? Und wieso ist ihre Schwester Ivanka nun die zweitlauteste weibliche Stimme der Republikaner (nach der Freundin ihres Bruders Don Jr.)?

Hannah Arendt schrieb (in New York und auf Englisch): Der Totalitarismus ersetze unweigerlich alle Begabtesten „durch Spinner und Trottel, deren fehlende Intelligenz und Kreativität die beste Garantie ihrer Loyalität ist“.

Klaus Brinkbäumer

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