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Debora Antmann

© privat

Kolumne Schlamasseltov: Wenn christliche Bräuche als neutral gelten

Die Charité schmückt sich mit einem Weihnachtsbaum, untersagt jedoch jüdischen Studierenden mit Verweis auf das Neutralitätsgesetz, eine Chanukkia aufzustellen. Ein beschämender Doppelstandard, findet unsere Kolumnistin.

Eine Kolumne von Debora Antmann

Die Charité hat jüdischen Studierenden das Aufstellen einer Chanukkia untersagt. Die Begründung: es verstoße gegen das Neutralitätsgesetz. Dieses Argument könnte nicht lächerlicher sein und es ist beschämend, dass Hochschulen 2023 immer noch das Neutralitätsgesetz anbringen, während auf jedem Unigelände mindestens ein Weihnachtsbaum die Hochschule festlich schmückt – und alles andere als neutral – weihnachtlich stimmen soll.

Warum kann alles, was christlich ist, vermeintlich losgelöst von Religion, nur für Festlichkeit stehen, während jede andere Kulturtradition hyper-„religiösiert“ wird? Dabei ist Chanukka einer der säkularsten jüdischen Feiertage überhaupt (übrigens ironischerweise dank Weihnachten). Kein Grund, die vermeintliche „Neutralität“ durch eine Chanukkia in Gefahr zu sehen, wenn ein Weihnachtsbaum sie nicht gefährdet.

Und ja, ich kenne das trotzige Gegenargument, dass der Baum eine heidnische Tradition sei. Heidnisch my ass: Weihnachten ist ohne Baum nicht mehr zu denken. Die meisten Kirchen (mindestens die evangelischen und viele katholische) haben einen Baum zu Weihnachten. Und Weihnachten ist nun mal ein christliches Fest. Geburt Christi und so. Den Baum da wieder rausdividieren zu wollen, ist praktisch unmöglich.

All jene, die das tun wollen oder erklären, dass für sie Weihnachten nichts mit Religion zu tun hat, müssten die Ersten sein, die die Studierenden darin unterstützen, eine Chanukkia aufzustellen. Denn genau das ist der Punkt: Kulturelle Praxis wie Weihnachtsbäume, Chanukkiot, Weihnachtslieder, Dreidel, Stollen, Zoulbia oder Kartoffelpuffer – sprich Feiertagsbräuche – sind nicht automatisch ein Glaubensbekenntnis.

Der Weihnachtsbaum ist übrigens nicht das Einzige, wo Hochschulen „neutral“ mit christlich verwechseln. Den meisten fällt es nicht auf, aber wenn es in Hochschulmensen mal Fisch gibt, dann freitags. Es ist also auch super „neutral“, alle Studierenden in Gedenken an den Tod Jesu essen zu lassen, aber alles, was Hochschulmitgliedern, die nicht christlich sind, die Möglichkeit gäbe, sich ebenfalls „festlich“, „besinnlich“ oder „am richtigen Ort“ zu fühlen“, ist ANTI-neutral.

„Neutralität“ ist in dieser Hinsicht übrigens kein neues Argument: Als ich an einer Berliner Hochschule gearbeitet habe, wollten die Studierenden einen Teil ihres Pausenraumes in einen Meditations- und Gebetsraum umwidmen.

Die Hochschule hat lange abgelehnt: Neutralität und so. Aber ein Weihnachtsbaum stand damals im Foyer. Geschmückt in den französischen Nationalfarben – wegen der islamistischen Anschläge. Unglaublich neutral!

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