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Gruppenbildung, Gruppe, Gruppendynamik, Kreis, Illu
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Kolumne „Mehrwert“, Folge 13: Gruppen bilden. Oder nicht?

Verstärkt sie nun Diskriminierung und Ausgrenzung oder ist sie unverzichtbar bei Protest- und Demokratiebewegungen? Über Chancen und Gefahren der Gruppendynamik.

Eine Kolumne von Christiane Peitz

Der Mensch is‘ gut, aber die Leut san a G’sindel“, soll Johann Nestroy gesagt haben. Heiner Müller hat das einmal abgewandelt in das Bonmot, zehn Deutsche seien natürlich dümmer als fünf.

Überträgt man das auf die Frage von Diskriminierung und Ausgrenzung, hieße das, dass jeder einzelne sich tendenziell anständiger und respektvoller gegenüber anderen verhält als eine Gruppe. Aber ist es tatsächlich so, dass die allzu menschliche Sehnsucht nach dem Wir-Gefühl eher die schlechten Eigenschaften befördert als die guten?

Da sind zum einen Hooligans, Querdenker und Demokratiefeinde, einzeln treten sie selten auf. Zum anderen hat kein Aufstand gegen Unterdrückung und Missstände ohne den Zusammenschluss Gleichgesinnter Aussicht auf Erfolg. Gruppenbildung ist eine Waffe der Ohnmächtigen: So ist es bei Fridays for Future, bei Protestbewegungen gegen autoritäre Regime wie im Iran, auch bei Bürgerdemonstrationen in Demokratien wie der gegen Benjamin Netanjahus Justizreform in Israel. Und so war es bei der friedlichen Revolution in der DDR oder der Frauenbewegung.

Schwierig wird es dann, wenn die Gruppendynamik zur Radikalisierung führt und im Dienst der guten Sache auch Gewalt freisetzt. Dann streiten sich die Geister, sei es über die Klimaklebeaktionen der „Letzten Generation“ oder die wütenden Unruhen in Frankreich.  

Der Journalist Martin Hecht hat unter dem schönen Titel „Gruppe und Graus. Rudelbildung im 21. Jahrhundert“ (zu Klampen, 160 S., 20 €) ein Buch über die Kehrseite des modernen Individualismus geschrieben. Darin denkt er über die zunehmende Homogenisierung in der eigenen „Blase“ und über eine wachsende Identifizierung mit fragwürdigen Gruppen am rechten Rand nach, die diskriminierend gegenüber anderen auftreten. Zunächst vor allem am Beispiel harmloser Alltagsphänomene: Anlass seines Essays war das unangenehme Erlebnis eines feiernden, lärmenden Männer-Ruderklubs im ICE.

Da kommt man schnell auf die Idee, dass Vereinsmeierei den eigentlich zivilisierten Menschen nun einmal enthemmt. Aber das Gegenteil stimmt eben auch, Stichwort „soziale Kontrolle“. Hinzu kommt, dass Autokraten wie Wladimir Putin der Devise „Teile und herrsche“ folgen. Sie isolieren ihre Gegner, blockieren deren soziale Medien, zerschlagen Netzwerke.

Damit die Welt menschlicher wird, sind Gruppen unerlässlich. Die Kunst besteht darin, dass sie anders als jene, gegen die sie sich verbünden, keine Wagenburgmentalität entwickeln.

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