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Chefdirigent Kirill Petrenko

© Chris Christodoulou

Koloraturen im Wind: Die Berliner Philharmoniker mit Mozart und Schumann

Die Werke zweier Komponisten hat Kirill Petreno am Donnerstag auf dem Pult liegen. Doch die zweite Hälfte des Konzerts kassiert das, was in der ersten voll und ganz überzeugt.

Louise Alder ist eine wunderbare Sopranistin, stimmlich wie mimisch. Freude über ihren Auftritt in der Philharmonie, die offenbar ehrlich empfunden ist, und eine gelassene Freundlichkeit, die Herzen aufschließt, zeichnen sich ab auf ihrem Gesicht, es ist Wonne und Wohltat. Die Britin singt eine Motette, „Exsultate, jubilate“ KV 165, Mozart schrieb sie zu Jahresbeginn 1773 zwischen zwei Proben in Mailand dem von ihm sehr geschätzten Kastraten Venanzio Rauzzini in die Kehle. Rauzzini konnte, so legt die Partitur nahe, mit Leichtigkeit das Orchester übertönen, auch und gerade in den gewundenen Koloraturen, aus denen der Gesangspart dieses herrlichen Viertelstünders streckenweise ausschließlich besteht. 

Louise Alder singt diese Verzierungen so selbstverständlich, ganz zärtlich und doch substanzreich, forciert dabei nie. Das Auf und Ab ihrer Stimme wirkt vielmehr so atmosphärisch wie sich ein Tuch, das sich sanft im Wind bewegt. Das Leichteste, es ist manchmal am Schwersten zu erreichen. 

Ein einziger, vitaler Klangkörper

Man versteht auch sofort, was die Berliner Philharmoniker an ihrem Chef Kirill Petrenko zu schätzen: Präzise, fast aufklärerisch eindeutig gesetzt ist seine Gestik, kleinteilig im positiven Sinne, es wird jederzeit ganz klar, was der Dirigent will – auch im zweiten Mozart-Stück des Abends, der später so genannten Krönungsmesse C-Dur KV 317. Pures Musikglück auch hier: Wie der im Palau de la Música in Barcelona beheimatete Ensemble Orfeó Català sonst singt, weiß man nicht, an diesem Abend jedenfalls hat sich der frühere Leiter des Berliner Rundfunkchors, Simon Halsey, mit seinem Kollegen Pablo Larraz der Sache angenommen. Und das Ergebnis überzeugt auf ganzer Linie, der katalanische Chor wirkt wie ein einziger, vitaler Klangkörper.

Dazu kommt das Solistenquartett aus – erneut – Louise Alder, Wiebke Lehmkuhl, Linard Vrielink und Kresimir Strazanac, die jeweils eine ganz spezifische Stimme und eigenen Charakter einbringen. Noch einmal hat Alder einen berührenden Auftritt im Agnus Dei, wo sie eine Sopranarie singt, die Mozart später zur berühmten Auftrittsarie der Gräfin in „Nozze di Figaro“ umgearbeitet hat. 

Das Musikglück, es ist nicht von Dauer: Nach der Pause, als Petrenko das romantische Profil der Philharmoniker schärfen will, flutscht es weg. Schumanns d-Moll-Symphonie, in dieser Form im Überschwang der neuen Stelle als Musikdirektor in Düsseldorf entstanden, dirigiert Petrenko in einem eigentlich ganz unnötigen Affentempo. Zugegeben, Rezensent ist verdorben von der Aufnahme Sergiu Celibidaches mit den Münchner Philharmonikern, die sich buddhistisch viel Zeit und Atem lässt, um die Schätze dieser Partitur zu bergen.

Aber auch andere, etwa Paavo Järvi mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, haben das viel langsamer dirigiert. Nicht, dass Petrenko nicht auch hier hohe Qualität beweisen würde: Die Interpretation ist immer noch kernig und präzise, da verwischt, verschmiert nichts, wie man es bei dieser Geschwindigkeit ja durchaus erwarten könnte. Wie voll und ganz Petrenko auch körperlich in der Musik aufgeht, drin steckt, ist beeindruckend. 

Und doch ist es ein Jammer, wie er über alle Details einfach hinweggefegt. Schumann entfaltet seinen Zauber vor allem im langen Lauf – woher kommt das Missverständnis, das es ein Sprint sein muss? Und auch wenn es nicht viel mehr als ein unglücklicher Zufall ist, dass Petrenko mitten im Geschehen der Taktstock aus der Hand springt und er ohne improvisieren muss, so wirkt es doch nicht wirklich verwunderlich, sondern vielmehr wie ein Symptom.  

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