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Muhammad III. al-Husain herrschte von 1859 bis 1882 als Bey von Tunis. Gemälde von Auguste Moynier.

© Tunis, Institut national du patrimoine, collection Qsar es-Saïd (Wikipedia)

Gescheiterte Mission vor 150 Jahren: Kolonialistische Intrige

Die exportierte Fehde: Wie eine kuriose Mission in Tunesien am Rande des Deutsch-Französischen Kriegs vor 150 Jahren grandios scheiterte.

Es war eine kuriose Mission, die sich am Rande des Europäischen Kriegs vor 150 Jahren im fernen Nordafrika abspielte. Kaum hatte das Französische Kaiserreich dem Norddeutschen Bund unter der Führung Preußens im Juli 1870 den Krieg erklärt, schickte Kanzler Bismarck den Orientalisten und Diplomaten Johann Gottfried Wetzstein (1815 – 1905) und den Afrikaforscher, Abenteurer und Schriftsteller Gerhard Rohlfs (1831– 1896) nach Tunesien. 

Beide Kenner der islamischen Welt und des Arabischen mächtig, sollten sich von dort aus in das 1830 von den Franzosen eroberte Algerien begeben, um unter den Einheimischen Unruhen gegen die französische Besatzung zu schüren.

Die Preußen glaubten, auf diese Weise französische Truppen in Nordafrika binden zu können. Die Idee dazu hatte Rohlfs selbst Bismarck eingeflüstert. Schon 1868 hatte er sich dafür eingesetzt, dass der Norddeutsche Bund bessere Beziehungen zur Regentschaft von Tunis pflegen solle. 

Von französischen Spitzeln und der tunesischen Polizei beobachtet

Bismarck war zunächst zögerlich. Allerdings kam er nach Beginn des Krieges mit Frankreich zu dem Schluss: „Natürliche Verbündete Deutschlands sind die Scherifen von Marocco und die freien Beduinenstämme von Algiers.“

So kam man rasch auf den Maghreb-Kenner Rohlfs, der vier Jahre in der französischen Fremdenlegion gedient hatte, und den Orientalisten Wetzstein, der als preußischer Konsul in Damaskus von 1848 bis 1862 das syrische Arabisch und arabische Literatur studiert hatte. Er sollte die Ansprachen an die Araber verfassen.

Als die Reisenden am 19. August 1870 im Hafen La Goulette bei Tunis ankamen, wurden sie allerdings bereits von Spitzeln des französischen Konsuls und der tunesischen Polizei beobachtet. Der Konsul Des Essarts war unter anderem aus Tripolis bereits vor der Ankunft der Deutschen gewarnt worden. 

Er solle die tunesischen Behörden um Unterstützung dabei bitten, die Agitation der Deutschen zu unterbinden. Die Regentschaft von Tunis war zwar neutral, aber ökonomisch stärker von Frankreich abhängig. Unruhen wären auch nicht im Sinne der Regierung von Bey Muhammad III. al-Husain gewesen, die wegen ihrer Nähe zu Frankreich nicht gerade beliebt war. 

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„Sollte es dem preußischen Agenten gelingen, Unruhe zu stiften, ob in Tripolis oder Algerien, so würde sich dies gewiss auf Tunesien ausdehnen“, schrieb der Konsul an den heimlichen starken Mann der Bey-Regierung, Minister Khayreddine.

Ein Geheimagent fand heraus, dass sich die Deutschen tunesische Kleidung gekauft hatten und in den Basaren versuchten, mit Einheimischen Kontakt aufzunehmen. Auch die Bezirksverwalter wurden per Steckbrief vor den „zwei Individuen preußischer Herkunft“ gewarnt. 

„Falls Ihr einen erwischt, ob von den Eselstreibern oder sonst jemanden, der ihnen irgendeinen Dienst erweist …, verhaftet ihn und steckt ihn ins Gefängnis, so dass die beiden völlig isoliert bleiben.“

Während Wetzstein in einem Hotel wohnte, bemühte sich Rohlfs, seine Verfolger abzuschütteln und sich in Richtung algerische Grenze abzusetzen. Kurz vor der Grenze bei Zaghouan wurde er jedoch von einer Polizeieskorte festgenommen und nach Tunis gebracht. 

„In einigen Tagen gibt es kein Frankreich mehr“

Auf Vermittlung des englischen Konsuls gewährte Minister Khayreddine ihm eine Audienz. Rohlfs beschwerte sich heftig. Er stünde unter französischem Einfluss, warf er dem Minister vor. „Na dann, in einigen Tagen gibt es kein Frankreich mehr… Wäre der Telegraph nicht unter französischer Kontrolle, hätte ich schon meinen Bericht an den König Herrn von Bismarck geschickt.“

Khayreddine soll ihm ruhig geantwortet haben. Die tunesische Regierung fühle sich allen Regierungen verpflichtet, vor allem aber Frankreich. Es sei Rohlfs merkwürdiges Verhalten, seine einheimische Kleidung und der häufige Wohnungswechsel, die das Misstrauen der Regierung geweckt hätten. Zudem habe er die Gesetze missachtet, indem er eigenmächtig ins Landesinnere gereist sei.

Besonders schlau hatten Wetzstein und Rohlfs sich in der Tat nicht verhalten. Sie waren unter Klarnamen gereist und obendrein so dreist gewesen, sich als vermeintlich tunesische Sargträger bei der Beerdigung von Khayreddines Ehefrau anzudienen, der Nichte des Bey. Trotz ihres perfekten Arabisch waren sie sofort als „Christen“ enttarnt worden. Nach der Beerdigung hielt Wetzstein eine Ansprache vor rund 250 Menschen.

Nach zwei Wochen reisten Rohlfs und Wetzstein wieder ab, ohne etwas erreicht zu haben. Auch wenn Rohlfs selbst das anders sah: „Da unsere Mission so glücklich beendet war, verließen wir am 2. September Tunis und schifften uns an Bord eines englischen Dampfers nach Messina ein.“ Rohlfs versuchte es noch einmal über Djerba, ohne Erfolg. Zudem machte der Sieg der Deutschen eine weitere Agitation gegen Frankreich überflüssig.

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Am 17. Oktober 1870 unterschrieb König Wilhelm I. noch in Versailles die Ernennung eines Norddeutschen Generalkonsuls in Tunis: eine späte Genugtuung für Rohlfs. Die Eröffnung des Konsulats in Tunis am 18. Januar 1871 wurde von der tunesischen Bevölkerung bejubelt; eine Erstürmung des französischen Konsulats konnte gerade noch verhindert werden.

Wes Geistes Kind Gerhard Rohlfs, der ja in der französischen Fremdenlegion gedient und dann versucht hatte, einen Aufstand der Einheimischen gegen die Franzosen zu provozieren, aber wirklich war, das zeigte sich zehn Jahre später. Das Deutsche Reich hatte inzwischen das Interesse an Tunesien verloren, 1881 besetzte Frankreich Tunesien, um es sich als Protektorat zu sichern. 

Diesmal begrüßte Rohlfs die Aktion der Franzosen und wünschte sich, dass die Franzosen „durch strenge Zuchtmittel dieses schöne Land voll und ganz der europäischen Cultur und Civilisation gewinnen werden“.

Die deutsche Außenpolitik hat aus dieser abwegigen und dilettantischen Mission nicht viel gelernt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde unter Leitung des Archäologen Max von Oppenheim, des Ausgräbers von Tell Halaf, noch einmal eine geheime Mission in das heutige Syrien und den Irak geschickt, um die Araber zum Dschihad gegen die Engländer und Franzosen aufzuhetzen. Auch diese Mission scheiterte.

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