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Angehörige der Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau halten bei einer Mahnwache vor dem hessischen Landtag Fotos der Opfer.

© dpa/Arne Dedert

Kleben gegen das Vergessen : Wie Sticker und Graffiti an die Opfer von Hanau erinnern

Seit dem Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 ist eine neue Gedenkkultur an die Opfer rechtsextremer Gewalt entstanden. Diese fordert: Sagt ihre Namen.

Erinnerung. Gerechtigkeit. Aufklärung. Konsequenzen. Hinter weißen Balken auf einem schwarzen Plakat stehen diese vier Worte untereinander, wie eine Liste, die es abzuhaken gilt. Zwischen Werbe- und Konzertplakaten kleben an den Wänden deutscher Städte immer mal wieder die Forderungen von Angehörigen der neun Opfer aus Hanau.

Drei Jahre ist es nun her, dass ein Rechtsextremist am Abend des 19. Februar 2020 Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov tötete.

Die Namen sollen nicht vergessen werden, auch das ist eine Forderung, die auf Klebefolie prangt: #SayTheirNames. Die Initiative des 19. Februar Hanau gründete sich unmittelbar nach dem Anschlag.

Ein Wandgemälde in Frankfurt erinnert an die Toten von Hanau.

© Getty Images/Thomas Lohnes

Es sind die trauernden Mütter, Väter, Geschwister und Freund:innen, die sich zusammenfanden. Die Initiative entstand schon wenige Tage nach der Tat, denn das seit den NSU-Prozessen erschütterte Vertrauen in den Staat wurde in Hanau erneut enttäuscht. Also schufen die Hinterbliebenen einen parallelen Ort der Gerechtigkeit.

Die Namen der Opfer stehen schon lange nicht mehr nur für sich. Es sind Namen, die fast einstudiert wurden, damit sie während Kundgebungen und Demonstrationen, in den Sozialen Medien und in Gesprächen mitgesagt werden konnten. Sie in diesen Momenten nicht zu kennen, ist keine Option mehr. Sie zu kennen eine Selbstverständlichkeit und ein gemeinschaftsstiftendes Zeichen: Ich bin Teil dieser Bewegung.

Auch an die Gesichter wird erinnert

Auf Twitter, Instagram und anderen sozialen Netzwerken sammeln sich die Namen und Fotos der neun Opfer. Oft sind es dieselben Fotos jener, die damals erschossen wurden. Das rassistische Motiv der Tat ist längst offengelegt, der Täter hinterließ damals ein Bekennerschreiben im Netz. „Nicht jeder, der heute einen deutschen Pass besitzt [ist] reinrassig und wertvoll“, schrieb er.

Die neun Namen aus Hanau gehören zu Menschen, die in Deutschland lebten, zum Großteil hier geboren und sozialisiert sind, aber dennoch fremd zu klingen scheinen, mühsam auszusprechen sind, die deutschsprachige Zunge herausfordern. Dennoch sollen sie immer wieder genannt werden.

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Erinnerung. Ferhat. Gerechtigkeit. Kaloyan. Aufklärung. Vili Viorel. Wörter, die seit dem Anschlag in Hanau neu definiert wurden.

Die Initiative 19. Februar Hanau stellt auf ihrer Internetseite Material zur Verfügung, das sich herunterladen lässt. Klebefolien mit den Gesichtern und Namen der Opfer. Im Onlineshop können T-Shirts, Hoodies und Turnbeutel erworben werden, die Vorderseite zeigt die Aufschrift #SayTheirNames, die Rückseite die neun Opfer.

Täter bleiben namenslos

Ein neuer Blick auf die neun getöteten Menschen. Der Täter selbst bleibt namenslos, seine Identität ist bis auf die als Rassist und Täter irrelevant.

Dabei zielen Rechtsextreme vor allem auf eine Heroisierung ihrer Taten ab, um andere zum Nachahmen zu bewegen. Der Täter von Oslo, der 2011 auf der Insel Utoya 77 Menschen tötete, wurde sowohl in der Presse als auch den Sozialen Medien mehrfach abgebildet und namentlich erwähnt. Niemand kann heute vermutlich auch nur einen einzigen Namen der Opfer aus Oslo nennen, doch den Täternamen kennen die meisten, die sich an die Tat erinnern.

Hanau brachte einen Wandel. Die Opfer, die der Täter aus Hanau als namenlose Migranten erschoss, sind zum politischen Symbol dieser Erinnerungskultur geworden. Sedat Gürbüz oder Kaloyan Velkov lachen Passant:innen in Schwarz-Weiß als Graffiti entgegen. Sticker kleben an Ampeln, in Hausfluren, an Fassaden von Ladenzeilen.

Jeder soll wissen, wer Gökhan, Sedat, Said Nesar, Mercedes, Hamza, Vili Viorel, Fatih, Ferhat und Kaloyan waren: Erinnert euch, denn wir vergessen auch nicht.

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