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Jan Vogler ist am 4., 5. und 30. August 2022 live auf Schloss Neuhardenberg zu erleben.

© Adrian Schmidt

Solist und Festivalmacher Jan Vogler: „Klassik kann Lebenshilfe sein“

Ein Gespräch mit dem Cellisten Jan Vogler über die Herausforderung, nach den Lockdowns das Publikum wieder für die Live-Kultur zu gewinnen.

Herr Vogler, Sie schauen als international gefragter Cello-Solist sowie als Leiter der Dresdner Musikfestspiele und des Moritzburg Festivals auf die Klassikszene. Was können Künstler:innen und Veranstalter tun, um das alte Publikum zurückzuholen?

Wir müssen den Leuten die Hand reichen und sagen: Kommt mit auf unsere spannenden Hörreisen! Es genügt derzeit nicht, irgendwo ein Plakat aufzuhängen, um die Säle voll zu machen. Aber wenn die Leute kommen, erlebe ich, dass die Konzerte sie so euphorisch machen, wie ich das vor den Lockdowns nicht erlebt habe.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine gelungene Live-Aufführung?

Wir müssen relevant genug sein, damit sich der finanzielle und zeitliche Aufwand für das Publikum rechnet. Nehmen Sie beispielsweise ein junges Elternpaar: Es soll Tickets kaufen, einen Babysitter organisieren, seine knappe Freizeit im Konzert verbringen. Da ist es unsere Aufgabe als Künstler, extrem motiviert zu sein. Die Besucher und Besucherinnen sollen spüren, dass es ihnen nach der Aufführung besser geht. Was gibt es Schöneres, als müde in ein Konzert zu gehen und dann Stück für Stück durch die Musik neue Kraft tanken zu können?

Routine ist also tabu?

Die Covid-Erfahrung hat uns Künstler gequält – und wachgerüttelt. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Jetzt müssen wir uns die Frage stellen: Sind wir so schlüssig, so lebendig im Konzertleben, wie wir sein sollten? Wir hatten uns daran gewöhnt, dass klassische Musik auch dann gut klingt, wenn sie einfach nur perfekt gespielt wird. Aber das reicht nicht. Handwerk reißt keinen vor Begeisterung von seinem Sitz. Thomas Bernhard schreibt in seinem Roman „Alte Meister“, dass gerade Imperfektion, Verletzlichkeit in der Kunst wesentlich sind. Es geht um die Botschaft. Sie ist es, die uns berührt. Darum brauchen wir Interpreten enorme Energie, Enthusiasmus und emotionales Engagement.

Sollten reisende Solisten seltener auftreten, um diesen Zustand des Außergewöhnlichen bei jedem Auftritt zu erreichen?

Ja, klar. Reduktion ist auf jeden Fall hilfreich. Ich habe es komplett aufgegeben, irgendwelchen Konzertterminen hinterherzujagen. Denn ich will nie wieder Arbeitswochen haben, wo ich zu Wochenbeginn in Asien spiele, in der Wochenmitte in London und am Wochenende dann noch in der Elbphilharmonie, jeweils mit einem anderen Werk. Das haben vor Corona viele von uns gemacht. Das Konzert soll eine Feier sein, bei der sowohl das Publikum als auch der Künstler das Gefühl hat, dass etwas Besonderes passiert, das im Idealfall sogar unser Leben verändert.

Ein hehrer Anspruch.

Es geht gar nicht darum, dass der komplette Abend perfekt gelingt. Es reichen Momente, aber die sind dann wie Blitzeinschläge. In jedem Fall aber muss der Interpret bei der Aufführung an alle denken, die im Saal sitzen. Und sie ansprechen wollen. Wie der Pfarrer auf der Kanzel. Klassische Musik kann Lebenshilfe sein.

Inwieweit? Der Vorwurf der Klassik-Kritiker lautet doch stets, dieses Genre würde sich im Elfenbeinturm befinden, abgekapselt von der Realität – um dort immer nur dieselben, altbekannten Stücke zu zelebrieren.

In der klassischen Musik wie in der Weltliteratur sind Informationen eingeschlossen von Krisen der Menschheit, die einst überwunden wurden – und mit denen wir heute wieder konfrontiert sind. Man kann Hoffnung schöpfen durch diese Werke, weil hier Erfahrungen übermittelt werden, durch Generationen, manchmal über Jahrhunderte hinweg. Das kann uns helfen, die Zukunft zu bewältigen. Bei Popmusik ist das anders: Sie stellt vor allem Fragen, dreht sich um Probleme, um soziale Isolation, um kaputte Beziehungen. Da wird jede Menge Frust abgelassen – womit sich gerade Jugendliche allerdings auch sehr gut identifizieren können.

Für Sie als Cellist ist es leicht, wie ein Pfarrer seine Schäfchen im Blick zu haben. Dirigenten und Dirigentinnen dagegen drehen dem Saal stets den Rücken zu.

Wenn ich bei meinen Festivals mit dem Publikum rede, dann schwärmen die Leute von den Leistungen der Orchestersolisten, von der Solo-Oboe, dem Pauker, auch von der Geigengruppe. Seltener vom Dirigenten als alleinigem Helden. Er wird nicht mehr als Pultgott angesehen, den man den ganzen Abend über beobachtet, mehr als der Pilot des Flugzeugs, dem man vertraut. Er befruchtet den musikalischen Prozess, hat Verantwortung und steuert das Konzept, aber die Musik wird letztendlich vom Orchester gespielt. Der moderne Dirigent ist mehr Primus inter pares.

Viele Dirigent:innen haben eine faszinierende Mimik. Wäre es eine gute Idee, ihr Gesicht zu filmen und auf einer Leinwand zu zeigen, die über der Bühne hängt?

Das finde ich überflüssig. Es geht doch darum, die Leute für die Werke zu begeistern, nicht für eine bestimmte Interpretation. Mir ist es egal, ob jemand sagt: Der Jan hat Dvoraks Cellokonzert toll gespielt oder ob er sich durch unsere Aufführung nur für die Komposition an sich begeistert. Wenn ich mal nicht mehr bin, lebt das Stück ja weiter.

Sie arbeiten regelmäßig mit Nachwuchstalenten. Gerade geben Sie einen Meisterkurs auf Schloss Neuhardenberg. Was bringen Sie den jungen Leuten bei?

Das sind alles Hochbegabte, die Technik haben sie also drauf. Wir besprechen vor allem die Frage: Was mache ich, wenn ich auf der Bühne sitze? Wie fügt sich alles zusammen? Wie wird man Teil der Bewegung, wie kann ich mit verbündeten Musikern, zum Beispiel als Solist mit dem Orchester, arbeiten? Und ich schicke sie raus aus dem Probensaal, damit sie sich den herrlichen Park von Neuhardenberg anschauen. Sie können nämlich aus allen Erlebnissen etwas für ihre Kunst lernen. Diese angehenden Profis haben eine unglaubliche Motivation – und sind gleichzeitig wahnsinnig selbstkritisch. Der Pianist Maurizio Pollini wurde mal gefragt: Was brauchen junge Musiker? Seine Antwort lautete: Lob. Das gebe ich ihnen.

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