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Pop-Chamäleon. Zwei der vielen Gesichter von David Bowie.

© Foto: Universal

Kinodoku „Moonage Daydream“: Wie David Bowie zum Alien wurde

Die rauschhafte Bild-und-Klang-Collage „Moonage Daydream“ feiert den Mythos von David Bowie.

Die Kunst, als Person in seiner eigenen Inszenierung zu verschwinden, hat wahrscheinlich kein anderer Popstar so sehr beherrscht wie David Bowie. Gegen die von der Rockkultur gerne fetischisierte Authentizität setzte er eine Lust an der Kostümierung und am Rollenspiel, in der auch die traditionellen Geschlechterzuordnungen über den Haufen geworfen wurden.

Im Lauf seiner Karriere hat er immer neue Charaktere erfunden, von Major Tom über Ziggy Stardust bis zum Thin White Duke, mit denen er in seinen Songs und auf der Bühne verschmolz. Weil seine Identität in jeder Hinsicht fluide war, ist Bowie bis heute nicht zu fassen.

Zum Glück versucht der Dokumentarfilm „Moonage Daydream“ gar nicht erst zu ergründen, was für ein Mensch dieser David Robert Jones – so der bürgerliche Name des Sängers – denn wirklich war. Stattdessen feiert er den Mythos. Regisseur Brett Morgen hat vier Jahre lang nahezu alle verfügbaren Konzertaufnahmen, Fernsehauftritte und Interviews von und mit dem Star gesichtet und daraus eine überwältigende Collage zusammengeschnitten, unterlegt mit O-Tönen und der Musik von Bowie. Die Stakkato-Ästhetik im Stil früher MTV-Videoclips wirkt mitunter überdreht und anstrengend, aber klar wird, wer Bowie war: ein Außerirdischer.

Der Sänger, der seine Karriere im psychedelischen Rock- und Folk-Underground von London begonnen hatte, war fasziniert von allem Kosmischen. Den Durchbruch schaffte er, als die BBC 1969 die Bilder von der ersten bemannten Mondlandung mit seinem Hit „Space Oddity“ unterlegte. Bowie hatte seine Mission gefunden, er verband seinen Zukunftsoptimismus mit dem Interesse für Buddhismus und wollte zum „Astronauten des inneren Raumes“ werden, wie es der Science-Fiction-Schriftsteller J. G. Ballard formulierte, einer seiner Lieblingsautoren.

„Moonage Daydream“ – der Titel zitiert einen Song des epochalen Albums „The Rise and Fall of Ziggy Stardust“ von 1972 – würde es sich zu einfach machen, wenn er noch einmal die Monderoberungsbilder mit „Space Oddity“ kombinieren würde. Lieber begleitet er einen Blick in den Sternenhimmel und eine Kamerafahrt über die zerklüftete Oberfläche des Erdtrabanten mit Bowies technoidem Spätwerk „Hallo Spaceboy“.

Um den Sänger gleich darauf dabei zu beobachten, wie er im futuristischen Plateauschuhoutfit des Rock’n’Roll-Messias Ziggy Stardust auf eine Bühne stakst und seinen Glamrockhit „All The Young Dudes“ performt. Eine ähnlich halluzinatorische, mühelos Jahrzehnte überspringende Montage wie in diesem Auftakt gelingt dem Film noch mehrfach.

Mit seiner androgynen Erscheinung war Bowie eine Provokation, während einer frühen US-Tour sorgte er für Aufruhr, weil er ein Kleid trug. Bei seinen Auftritten wirkte er wie ein Wesen von einem anderen Stern. War das ein Mann? Eine Frau? Oder beides? Der Film zeigt Talkshowausschnitte, in denen Bowie fast schon inquisitorisch zu seiner Sexualität befragt wird.

Im breitschultrigen Ziggy-Jumpsuit und mit hochgetürmten kupferrot gefärbten Haaren wirkt Bowie wie ein Wesen von einem anderen Stern. Stoisch beharrt er darauf „ein „Individuum“ zu sein, davon überzeugt, dass die Übergänge zwischen männlich und weiblich fließend sind.

In einer Szene demonstriert Bowie, wie er Zeilen seiner Lyrics zerschneidet und neu zusammenfügt. Dieser von den Surrealisten übernommenen Cut-up-Technik folgt auch Regisseur Brett Morgen, wenn er die Linearität seines Films immer wieder mit Sprüngen durch Zeit und Raum unterbricht oder die Aussagen seines Protagonisten mit Stummfilmausschnitten aus „Nosferatu“ oder „Metropolis“ kommentiert. Das erscheint manchmal erhellend, bisweilen aber auch bloß enigmatisch.

Biografische Stationen werden angerissen, etwa die Backsteinsiedlung im Londoner Südosten, in der Bowie aufwächst und die bei ihm nur einen Wunsch auslöst: „Da wollte ich raus.“ Musik wird zum Fluchtvehikel, sein Halbbruder Terry führt ihn ein in den Bebop-Jazz und die Beatnik-Literatur.

Staunend erkennt der Teenager, dass außerhalb von Suburbia eine andere Welt auf ihn wartet, die Liebe zu den Außenseitern wird er ein Leben lang beibehalten. Ein wenig zu lang beschäftigt sich der Film mit Bowies Malerei und seiner Hauptrolle in einer Broadway-Inszenierung des „Elephant Man“, beides nicht seine größten Talente.

Vielleicht die erstaunlichste Sequenz von „Moonage Daydream“ ist die, in der Bowie während seiner „Isolar“-Welttour 1978 seinen kurz zuvor in Westberlin entstandenen Hit „Heroes“ singt. Mit streng gescheitelter Kurzhaarfrisur wirkt der Star wie neugeboren.

Kein Vergleich mit den hohlwangigen, vom Kokainkonsum gezeichneten Interviewauftritten seiner kalifornischen Phase. Ausgerechnet Berlin, die von der Mauer geteilte, im Kalten Krieg wie eingefrorene Stadt, hat ihn gerettet (in 18 Berliner Kinos).

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