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Kino: Unter null

Rückkehr der Bodysnatcher: Oliver Hirschbiegels „Invasion“ – und die Macht der Studios

Als Friedrich Wilhelm Murnau 1929 seinen dritten Hollywood-Film „City Girl“ drehte, kam es zur künstlerischen Demütigung. Das Studio lehnte Murnaus Vorstellungen ab. Der deutsche Regisseur wurde während des Drehs entlassen und durch zwei mindere Kollegen ersetzt. Der Stummfilm bekam Tonszenen verpasst, auch der Schluss wurde geändert.

Knapp 80 Jahre später: die Wiederkehr der Geschichte. Nach seiner Oscar-Nominierung für „Der Untergang“ wird Oliver Hirschbiegel nach Hollywood eingeladen, dreht dort den Science-Fiction-Horrorfilm „Invasion“ – und bekommt es ebenfalls mit höheren Mächten zu tun. Weil Hirschbiegels Fassung dem Warner Bros.-Studio missfiel, feilten die Wachowski-Brüder nachträglich am Drehbuch und der Regisseur James McTeigue („V for Vendetta“) drehte erhebliche Teile neu. Auch hier wurde das Ende variiert. Herausgekommen ist: ein Flop.

Eines kann man dem Film zugutehalten: Er ist besser als der schauderhafte Ruf, der ihm vorauseilt. In den USA wurde „Invasion“ von der Kritik geschreddert und gehäckselt. An den Kinokassen war er ein Desaster. Gründe? Gibt es zuhauf. Schon über die Wahl des Stoffes lässt sich streiten: Jack Finneys Roman „The Body Snatchers“ über eine Invasion von Aliens, die sich menschlicher Körper bemächtigen, wurde bereits von Don Siegel (1956), Philip Kaufman (1978) und zuletzt Abel Ferrara (1993) verfilmt. Warum erneut? Angesichts der zahlreichen Ungereimtheiten stellt sich zudem die Frage, was eigentlich am Drehbuch überarbeitet wurde.

Auch über die Besetzung darf man den Kopf schütteln. Charakterköpfe wie Daniel Craig, Jeremy Northam und Jeffrey Wright sind in unterkomplexen Rollen verschenkt. Nicole Kidman ist eine bekanntermaßen kühle Schauspielerin, die in ihren allerwarmherzigsten Momenten an die Temperaturen des grönländischen Permafrostbodens heranreicht. Hier soll sie ausgerechnet ein gefühlvolles Muttchen darstellen, das die Menschheit vor dem Verlust der Emotionen rettet. Ja nun.

Was Hirschbiegels Hollywood-Experiment vor dem Untergang bewahrt, sind die solide Inszenierung von Suspense- und Schock-Momenten sowie ein paar effektvolle Stunts und Verfolgungsjagden. Damit gelingt dem Film immerhin das zu wecken, wofür er argumentativ in die Bresche springt: Affekte und Emotionen. Allerdings ist das Argument, das dem Film zugrunde liegt, in hohem Maße fragwürdig. Der Alien-Virus raubt den Menschen die Gefühle und würdigt sie zu kalten Vernunftwesen herab. Das ist bedauerlich. Gleichzeitig werden immer wieder Fernsehszenen eingeblendet, in denen die kriegerische Welt dem großen Frieden weicht. Im Irak kehrt Ruhe und Ordnung ein. Die Kämpfe in Darfur werden beendet. Zwischen Nord- und Südkorea bricht das Tauwetter aus. Und George W. Bush versöhnt sich mit Hugo Chavez. Die Alien-Invasion befördert also eine geordnete Welt ohne Krieg und Zerstörung. Was soll daran schlecht sein?

Unter dem Strich wird behauptet: Auch wenn sie Terror, Verwüstung und Elend nach sich ziehen, der Mensch ist Mensch vor allem in seinen Emotionen, die es um alles in der Welt zu erhalten gilt. Das ist zwar nicht ganz falsch. Dahinter steckt jedoch ein veralteter cartesianischer Dualismus, der Körper und Geist diametral gegenüberstellt und die vom Film so hoch geschätzten Emotionen letztlich durch die Hintertür doch wieder verdammt. Haben nicht kluge Köpfe wie der Philosoph Ronald de Sousa oder der Neurowissenschaftler Antonio Damasio nachgewiesen, dass Vernunft und Gefühl keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen? Wenn schon eine filmische Reflexion über Emotionen, Menschsein und René Descartes, dann vielleicht doch lieber Rick Deckard (!) alias Harrison Ford in „Blade Runner“.

In 16 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center

Julian Hanich

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