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Gefährliche Aussichten. Szene aus Mohammed Rasoulofs "Be Omid e Didar" (Good Bye).

© Promo

Bericht aus Cannes: Stürmischer Tag bei den Filmfestspielen

"Pirates of the Caribbean", unter höchster Gefahr gedrehte Filme aus Iran und puristisches österreichisches Kino par excellence. Der Samstag auf den Filmfestspielen in Cannes

Stürmischer Tag, dieser Sonnabend in Cannes, schwerer Regen hängt über der Bucht., und der rote Teppich zur Gala-Vorführung des österreichischen Wettbewerbsfilms „Michael“ – der einzige deutschsprachige Kandidat im Rennen um die Goldene Palme in diesem Jahr – geht gerade noch ohne Wolkenguss über die Bühne. Am Morgen hat einem die freundliche, steinalte Bäuerin auf dem überdachten Markt am Fuß des Burgbergs eine Riesentüte Salat für einen Euro verkauft, während das Rentner-Ehepaar am Stand nebenan ein Dutzend schlammüberzogene Austern Stück für Stück inspizierte. Wenig später begrüßt Thierry Fremaux, der künstlerische Leiter des Filmfestivals, auf der Bühne des Salle Debussy das iranische Team von Mohammed Rasoulofs „Be Omid e Didar“ (Good Bye). Rasoulof wurde gemeinsam mit Jafahr Panahi im Dezember 2010 zu 20 Jahren Berufs- und Reiseverbot verurteilt, den beiden drohen außerdem 6 Jahre Gefängnis. Schon im Vorjahr, als Panahi einige Wochen in Haft saß, hatte es in Cannes Solidaritätsaktionen für die Filmemacher gegeben, auch die Berlinale setzte sich mit großem Engagement für die drangsalierten Künstler ein. Nun haben beide Regisseure trotzdem Filme gedreht, unter höchster Gefahr. Sie konnten nicht anreisen, ihre Mitarbeiter teilweise schon. Fremaux dankt ihnen für ihren Mut.

Auch Rasoulofs Ehefrau steht auf dem Podium. Sie sagt: „Ich bin beunruhigt.“ Gerade ist ihr Mann erneut von den Behörden einbestellt worden, vor einer Stunde erst, sie fürchtet, das bedeutet nichts Gutes. Eine heikle, komplizierte, uns westliche Zuschauer beschämende Situation: Man applaudiert denen, die Schikanen, drastische Strafen und den Verlust ihrer Freiheit dafür riskieren, dass hier in Cannes gleich ein Film über eine junge, angehende Anwältin zu sehen sein wird, die Schikanen, drastische Strafen und den Verlust ihrer Freiheit riskiert, weil sie mit ihrem Mann als Regimegegnerin und Menschenrechtsaktivistin tätig war und sie den Iran nun verlassen will.  Ihr Mann will bleiben, sie will weg. Einmal sagt sie, sie fühle sich lieber fremd in einem fremden Land, als fremd im eigenen Land. Aber man lässt sie nicht gehen, schickt sie auf sinnlose Behördengänge, wo hinter verschlossenen Türen über ihr Schicksal entschieden wird, der Satellitenanschluss wird kassiert, die Wohnung durchsucht, ihr Visum einbehalten. Dabei ist sie eigens schwanger geworden, weil Frauen dann leichter ausreisen können  – es nützt alles nichts, sie wird Iran nicht verlassen.

„Be Omid e Didar“ ist eine stille, mit eindringlicher Schlichtheit erzählte Tragödie in graublau gehaltenen Bildern. Hauptdarstellerin Leila Zare  bedankt sich vor der Aufführung, dass ihnen erlaubt worden ist, den Film zu realisieren. Wie viel Zensur, wie viel Duldung, wie viel Angst, Courage und  persönliches Risiko in solch einem Projekt stecken müssen, man ahnt es in diesem Moment. Rasoulof konnte sein Projekt tatsächlich mit offizieller Genehmigung realisieren, aber kannten die Behörden das Drehbuch?  „Zeit online“ zufolge bemüht sich der 37-jährige Regisseur jetzt darum, dass sein Film auch in den iranischen Kinos gezeigt wird. Schwer vorstellbar, dass es ihm gestattet wird.

Vielleicht ist die schlimmste Schikane die Willkür, die Ungewissheit, ob auch heute noch möglich ist, was bis gestern geduldet wurde. Vor allem davon erzählen die 100 Minuten dieses Films – am kommenden Freitag wird auch Jafar Panahis halbklandestin gedrehtes, autobiografisches  70-Minuten-Werk „In Film Nist“ hier zu sehen sein. Eine Botschaft in eigener Sache: Der Titel bedeutet so viel wie „Dies ist kein Film“.  Thierry Fremaux hat zugesichert, dann auch über die aktuelle Lage der drangsalierten Filmemacher zu informieren.  

Stürmischer Tag heute. Wer zur Pressekonferenz von „Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten“ will, zu Johnny Depp, Penelope Cruz, Geoffrey Rush, Regisseur Rob Marshall und Blockbuster-Produzent Jerry Bruckheimer, der muss Rasoulofs Film vor dem bitteren Ende verlassen. Politik und Popcorn, Business und Kunst, die Welten kollidieren heute besonders ungebremst. Nicht dass es sich nicht vertrüge. Jerry Bruckheimer stellt Stunden vor der Weltpremiere des vierten „Fluch der Karibik“-Sequels, Stunden vor dem Megaevent des ersten Cannes-Wochenendes klar, dass alle hier versammelten Stars in beiden Sphären unterwegs sind. Penelope Cruz arbeitet mit Pedro Almodovar zusammen, Johnny Depp hat mit Jim Jarmusch gedreht. Und Geoffrey Rush brillierte gerade erst in „The King’s Speech“ als Sprachlehrer von King George; nun liefert er sich in als einbeiniger Piraten-Admiral Duelle mit Captain Jack Sparrow.

Aber in diesem Moment, direkt nach Rasoulofs Film, haben die Piraten aus Teil 4 der „Fluch der Karibik“-Serie keine Chance. Sie sagen belanglose Nettigkeiten über die Jagd nach dem Jungbrunnen in „Fremde Gezeiten“, über die 108 Drehtage und übereinander. Johnny Depp meint, die schöne Penelope Cruz habe die Quelle der Jugend ja offenbar längst gefunden, Penelope Cruz erklärt, dass sie als Spanierin keine Probleme mit dem Älterwerden habe, anders als so viele Leute in L.A. und der US-Filmindustrie. Veränderung ist immer gut, meint sie, so charmant wie banal. Der Spaß, den sie alle beim Dreh angeblich hatten, nach Cannes haben sie nichts davon mitgebracht. Lediglich Geoffrey Rush und Ian McShane, der irische Darsteller des Bösewichts in Folge 4, setzen ein paar kleine Pointen.

Es ist auch der unbändige, infantile Spaß, die gewitzte, meinetwegen sinnlose Unterhaltung, die Fundamentalisten jedweder Art unterbinden wollen. Nach Rasoulofs Film, dessen Protagonistin jede Lebensfreude vergällt wird, schießt einem durch den Kopf, dass die Unterhaltungsindustrie auch deshalb die Pflicht hat, jenes Entertainment zu bieten, das sie verspricht. Auch in Cannes, auch bei einer Pressekonferenz.

Aber vor der Gala-Weltpremiere am Abend läuft erst noch „Michael“ von Markus Schleinzer im großen Palais. Puristisches österreichisches Kino par excellence, eine freie Version der Natascha-Kampusch-Geschichte. Der Versicherungsangestellte Michael hält im Keller einen gekidnappten Jungen fest, den er ordentlich wie ein Vater versorgt und regelmäßig missbraucht. Eine strenge, jede Erklärung, jede Psychologie verweigernde Erzählung, ein quälend offener Schluss, Buhs und Applaus.  Stürmischer Tag heute bei den 64. Filmfestspielen von Cannes.

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