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Aldo Moro

© kairosfilm

"Buongiorno Notte": Die transalpinen Terroristen

Regisseur Marco Bellocchio inszeniert in seinem Psychodrama "Buongiorno Notte" die letzten Wochen Aldo Moros, der von Terroristen entführt wurde.

Die Ermordung Aldo Moros im Mai 1978 bedeutete für Italien dasselbe wie die Ermordung Hanns Martin Schleyers den Deutschen: das Erlöschen der letzten linken Sympathien für den linksradikalen Terrorismus. Wie eine Drehbuchkopie nahm sich die Entführung des Chefs der Democrazia Cristiana am 16. März gegenüber jener des deutschen Arbeitgeberpräsidenten ein halbes Jahr zuvor aus: Überfall auf die Limousine, Ermordung mehrerer Begleiter, wochenlange Geiselhaft im Versteck, erfolglose Forderung nach Freilassung terroristischer Gesinnungsgenossen, kaltblütige Erschießung des Gefangenen, Auffinden der Leiche in irgendeinem Autokofferraum. Und Staatsakte für die prominenten Polit-Opfer des Terrorismus – mit jenen Würdenträgern namens Giulio Andreotti und Helmut Schmidt in der ersten Reihe, die nichts für die Freilassung der Gefangenen getan hatten. Die beiden politischen Morde sind, auch wegen ihrer nervenzerrend langen Ankündigung, als die spektakulärsten Taten der deutschen RAF und der italienischen Roten Brigaden in die Geschichte eingegangen – und ebneten sogleich alle signifikanten Unterschiede ein. Vor der Grausamkeit der Terroristen war es schnell gleichgültig, dass die RAF mit dem einstigen SS-Untersturmführer Schleyer, der zum obersten Kapitalisten-Boss aufgestiegen war, eine ursprünglich linke Hassfigur in ihre Gewalt gebracht hatte; und dass Aldo Moro andererseits als moderater Chef einer Volkspartei die Annäherung an die ebenfalls sehr populäre Kommunistische Partei Italiens mitbetrieben hatte, ebenso. Gleichgültig auch, dass die Hardliner, die Verhandlungen mit den Entführern strikt abgelehnt hatten, jeweils äußersten politischen Profit aus den Tragödien zogen. Alle Folgen verblassten vor der Erkenntnis, dass es mit resthonorig linkem Gewalt-Sympathisantentum vorbei war – ein für alle Mal.

Marco Bellocchios Spielfilm „Buongiorno Notte“, der fast vier Jahre nach seiner umjubelten Premiere auf den Filmfestspielen von Venedig in die deutschen Kinos kommt, liest sich wie ein melancholisches, zuweilen fast meditatives Epitaph auf die Sinnlosigkeit jener ins Mörderische entglittenen linken Träume; und funktioniert durchaus als Vorzeichen jener neueren Geschichtsbewältigungswelle, die uns zum 30. Jubiläum des Deutschen Herbstes ins Haus steht. Anders als Giuseppe Ferraras Dokudrama „Der Fall Moro“ (1986), das auch unbequeme Fragen nach den Profiteuren innerhalb der politischen Klasse stellte, geht es Bellocchio um die Nachinszenierung eines psychischen Ausnahmezustandes. Frei nach dem Bericht „Der Gefangene“ von Anna Laura Braghetti, die an der Entführung Moros beteiligt war, imaginiert der Film die achtwöchige Haft des Politikers konsequent aus der Perspektive des Terroristenquartetts, das Moro gefangen hielt – und verzichtet mit imponierendem Vorsatz auf alles dem Plot doch innewohnende Spektakuläre.

Ganz in kaltblasse Blau- und Brauntöne getaucht ist die klaustrophobische Wohnung, die Chiara (Maya Sansa) und Ernesto (Regisseurssohn Pier Giorgio Bellocchio) als Fake-Ehepaar im Winter 77/78 in Rom anmieten – und bald kommen Anführer Mariano (Luigi Lo Cascio) und der bärtige, langhaarige Primo (Giovanni Calcagno) hinzu. Die zwischen Wohnung und Bibliotheksjob pendelnde Chiara stellt, zusammen mit den – aus dem Archiv der Realität zwischengeschnittenen – TV-Aufnahmen, die einzige Verbindung der Terroristen zur Außenwelt dar; und nach fast einer halben Filmstunde erst zeigt die Kamera erstmals die hinter eine Regalwand gesperrte Geisel. Moro (Roberto Herlitzka) ist ein gefasst dreinsehender, nur das Nötigste sagender alter Mann, schmaler Körper auf der Pritsche, gefangen gehalten im Fünfkubikmeterverschlag. Seine Ruhe, seine vernünftige Einrede auf die von Mariano schon etwas müde vorgebrachten Stereotypien des Fanatismus, die Wärme seiner Abschiedsbriefe an die Familie schließlich sind es, die Chiara innerlich die Front wechseln lassen. Doch schöne Tränen und ein zweifellos schöner Traum sind alles, was polit-actionbedürftige Zuschauer erwarten dürfen.

Eher als Ersatzreligion, ja, als Orden deutet Bellocchio das terroristische Quartett und seine unsichtbaren Unterstützer; und liefert damit, tief in der Ikonografie des Katholizismus wurzelnd, eine verblüffend triftige Metapher für jene Gespensterarmeen der siebziger Jahre. War der Terrorismus, der mit der Gewalt gegen Sachen begann, womöglich Opium fürs linke Volk? Mussten die selbsternannten Massenerlöser nicht zwangsläufig zur Sekte werden? Wie gut, dass Roberto Herlitzka als Kernfigur Moro immer wieder intelligent jene Gefühligkeit bricht, die der Film zuweilen mit einer gewissen Wirkungssucht herausfordert – auch das ein Grund, warum dieses Kammerspiel allseitiger Gefangenschaft lange im Gedächtnis bleibt.

Central, Moviemento (beide OmU)

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