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© Tobis

Bright Star: Das Rascheln der Wörter

Schön und wahr: "Bright Star", Jane Campions sensibler Blick auf eine früh vollendete Dichterliebe.

Bei Dichterbiografien im Kino liegt der Kitschverdacht nahe: der Kostümfilm als nostalgische Beschwörung empfindsamer Epochen, als Aphrodisiakum, um sich Gefühle machen zu lassen, die aus der Mode geraten sind. Was können wir heute schon mit den fiebrig-morbiden Versen eines John Keats anfangen, jenes Dichters, der mit Lord Byron zur zweiten Generation der englischen Romantiker gehörte und dessen Oden im beginnenden 19. Jahrhundert für Empörung sorgten? Zu erotisch, zu depressiv, zu ästhetizistisch, urteilten seine Zeitgenossen.

Anders als etwa die Romane Jane Austens ist der hohe pantheistische Ton von Keats’ Gedichten hundert Prozent ironiefrei. Heute klingen sie fremd, verstiegen, outriert. Oder vielleicht doch nicht? „Mein Herz schmerzt, und ein tauber Krampf durchfährt/Mein Hirn, als ob ich Schierling angerührt“, beginnt seine „Ode an eine Nachtigall“; in der „Ode auf eine griechische Urne“ kleidet er sein berühmtes Credo „Schönheit ist Wahrheit/Wahrheit Schönheit“ in antikisierende Verse, und seine „Ode auf die Melancholie“ besingt den Augenblick, „wenn Melancholie herniederdrängt, / Gleich wie vom Frühlingshimmel Wolkenweinen/Um grüne Höhn sein graues Bahrtuch hängt“.

Wolkenweinen. Bahrtuch. Keats war 25, als er 1821 an der Schwindsucht starb, wie zuvor schon die Mutter und der Bruder. Kann man ein derart todgeweihtes Leben und Werk verfilmen, als Bilderballade mit Naturimpressionen und lyrischen Dialogen, ohne der Kitschgefahr zu erliegen? Jane Campion kann. Sie schwelgt, zaubert poetische Momente und bleibt doch beiläufig, dokumentarisch genau. Man kennt das seit ihrer Trilogie „Ein Engel an meiner Tafel“ über die als psychisch krank geltende Schriftstellerin Janet Frame und vor allem seit ihrem preisgekrönten Liebesdrama „Das Piano“.

An diese frühere Filmsprache einer verwegenen Innerlichkeit knüpft die neuseeländische Regisseurin und Drehbuchautorin nun an, wenn sie sich in „Bright Star“ auf die drei letzten, produktivsten Jahre von Keats konzentriert, die Zeit seiner Herzensliebe zu der Nachbarstochter in Hampstead, zur Schneiderin Fanny Brawne. Als Spezialistin für Frauen, die sich nicht fügen, nimmt Campion dabei Fannys Blickwinkel ein. „Bright Star“ ist weniger ein Künstlerbiopic als das Porträt einer ungebildeten, aber hochintelligenten und begabten jungen Frau, die in einer Epoche aufwuchs, als Frauen nicht einfach in einen Laden gehen und einen Gedichtband kaufen konnten.

Die Australierin Abbie Cornish spielt diese Fanny: als blitzgescheite, lebenshungrige Engländerin, die aus Stoffresten fantastische Kleider schneidert. Heute wäre so eine mindestens Modedesignerin, die historische Fanny im Londoner Vorort Hampstead konnte nur warten, bis ein Mann ihres Standes sie ehelicht. Sie ist fasziniert von John Keats, er ist 22, schwerblütig, dennoch ein Seelenverwandter. Heirat kommt nicht infrage; er ist vollkommen mittellos.

Ben Wishaw verleiht Keats eine irrlichternde Kontur. Die Dichterfigur bleibt blass, verhuscht – was dem Umstand geschuldet sein mag, dass sie ja wesentlich aus Fannys Perspektive wahrgenommen wird, als ihr Traumprinz. Außerdem kommt Paul Schneider in der Rolle von Keats’ pragmatischem, betuchtem Freund und Mentor Charles Brown der markantere Part zu. Wenn die drei sich in Schlagfertigkeit zu überbieten versuchen, ist es Keats, der als erster verstummt.

Ein Zimmer voller Schmetterlinge. Die Wiese voller Osterglocken. Schnattergänse auf morastigem Grund. Das Knistern des Kaminfeuers, die Stofflichkeit der Kleider, die Musik der Dichterworte und das von Fannys sittenstrenger, aber liebevoller Mutter (Kerry Fox aus „Ein Engel an meiner Tafel“, zuletzt in: „Sturm“) beaufsichtigte Familienleben: Nach ihren esoterischen, abgezirkelten Gegenwartsstories „Holy Smoke“ und „In the Cut“ hatte man fast vergessen, mit welcher Intensität Jane Campion Vergangenheit vergegenwärtigen kann, für sämtliche Sinne. Das schrammt zwar doch mal nah am Kitsch entlang (bei der Filmmusik hatte Campion schon beim „Piano“ einen sehr konventionellen Geschmack), aber egal: „Bright Star“ ist ein Kostümfilm ohne falsches Pathos, mit ungeschminkten Gesichtern und Tableaus von ungezähmter, visionärer Schönheit.

Fanny und John sind kaum je allein. Selbst bei kurzen Spaziergängen müssen der Bruder oder die gewitzte, pausbäckige kleine Schwester hinterhertrotten. Man begreift, wie das gewesen sein muss: eine Liebe, die mehr in Briefen als in Begegnungen existiert. Dichtkunst als Artikulation verbotener Sehnsucht. Das Warten auf den nächsten Brief, und es hängt das ganze Leben daran. Die Etikette. Der Herzschmerz.

Campion macht daraus nicht die Tragödie eines verkannten Genies und seiner Muse, keine Solidaritätsadresse für eine unterdrückte Rebellin. Sie richtet das Augenmerk vielmehr auf den durchaus heiteren Alltag, die kleinen Verrichtungen, die kindliche Verspieltheit der Liebe und das klaglose Sichfügen, noch bei der allerletzten Begegnung. Ein Abschied, der dem Zuschauer das Herz zerreißt.

„Bright Star“, das Gedicht ist Fanny Brawne gewidmet. Jane Campion übersetzt Keats’ Dichtung in die Nahaufnahme einer in unsterblichen Versen bedichteten Frau kurz nach der Französischen Revolution. Einer Frau, die um die Freiheit weiß, die ihr zusteht. Und die keine Aussichten hat, sich im Leben je frei bewegen zu können.

Capitol, Cinemaxx, Filmkunst 66, FT Friedrichshain, OV Cinestar Sony Center, OmU Hackesche Höfe und Odeon

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