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Interview: „Auch ich habe den Wunsch, dass alles gut wird“

Ihr Film "Lourdes" ist seit heute in den Kinos. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht die Fimemacherin Jessica Hausner über falsche Hostien, echte Kranke und die Frage, was Gott für sie ist.

Frau Hausner, Ihr Ausgangspunkt war das Thema Wunder. Stand von Anfang an fest, dass Sie in Lourdes drehen wollten?

Ich hatte zunächst überlegt, eine fiktive Geschichte über eine Wunderheilung zu schreiben. Dabei hat sich herausgestellt, dass es mir vor allem um das Fragezeichen geht, das hinter jeder Wunderheilung steht. Dafür schien mir ein realer Ort wie Lourdes dann irgendwie interessanter, zwingender als ein erfundener.

Sie bleiben kritisch aber neutral. Gab es Momente, wo die Wut bei Ihnen hochkam?

Als ich das erste Mal nach Lourdes gefahren bin, fand ich es echt elend. Der Anblick der Kranken hat mich schockiert – ich habe noch nie so viele kranke Menschen auf einem Fleck gesehen. Und ich habe es demütigend gefunden, dass man dort so verleitet wird zu hoffen. Es ist so leicht, jemandem, der am Krepieren ist, zu erzählen, jetzt bete mal drei Vaterunser, und alles wird gut. Nach der ersten Reise dachte ich, ich will diesen Film gar nicht machen. Ich hatte ganz lange Zweifel, ob ich das Ganze nicht abblasen soll.

Was hat dann den Wandel bewirkt?

Als ich dann noch mal hingefahren bin, habe ich gemerkt: So einfach ist es nicht. Man kann nicht einfach sagen, die Leute werden dort verarscht. Ein Großteil der Personen, die nach Lourdes fahren, sagen, es geht ihnen am Ende besser, auch wenn sie nicht geheilt werden. Es sind Tage, wo sie mit anderen Leuten zusammen sind und sich jemand um sie kümmert. Die Leute wollen auch glauben. Der dritte Schritt war dann, als ich verstanden habe, ich will es eigentlich auch.

Dass ein Wunder passiert?

Ja. Das war eine ziemlich schlimme Erfahrung. Ich bin vor längerer Zeit aus der Kirche ausgetreten und hatte den Eindruck, ich habe das alles hinter mir. Und trotzdem habe ich gemerkt: So aufgeklärt ich auch sein mag, ich habe genau wie diese Leute den kindlichen Wunsch, dass da jemand steht, der mir auf die Schulter klopft, und am Ende wird alles gut.

Ist es ein Thema, das notgedrungen Gott einschließt? Das Prinzip Hoffnung gibt es auch im medizinischen Bereich, wo ähnliche Erwartungen an Ärzte gestellt werden …

Ich habe mich während der Vorbereitung distanziert vom Thema Religion, weil ich keinen Film über den katholischen Glauben drehen wollte. Dazu ist mir das nicht wichtig genug. Gott steht in meinem Film für etwas. Gott kann auch Ärzte sein, Gott ist eine politische Partei, Gott ist Schicksal oder Zufall, Gott ist in jedem Fall das größere Ganze.

Wie haben die christlichen Stellen reagiert? Gab es die Erwartung, dass Sie einen Film über das religiöse System Lourdes drehen?

Viele würden wahrscheinlich lieber hören, dass das alles Arschlöcher sind. Ich habe auch keine Lust, die katholische Kirche in Schutz zu nehmen. Sie hat eine schreckliche Geschichte hinter sich, an Irrungen und an Gewalt, aber das ist nun mal nicht das Thema meines Films. Die Leute, mit denen ich in Lourdes zu tun hatte, wissen über die Ambivalenz eines Wunders natürlich Bescheid. Ich glaube, uns haben sie die Genehmigung gegeben, weil sie gemerkt haben, dass ich zwar skeptisch war, aber es zumindest ernst meine.

Der Film hat dokumentarischen Wert: Man sieht, wie die Prozesse ablaufen. Haben Sie sich als Filmteam nicht manchmal fehl am Platz gefühlt, etwa als Sie in der Messe gedreht haben?

Wir waren scheuer und genierter als nötig. Bei der Segnung hatten wir den Kardinal, der das Allerheiligste herumträgt, gebeten, nachher noch für Nahaufnahmen zu bleiben. Und wir dachten, wir dürften nicht mit der echten Hostie drehen und hatten eine aus Pappe ausgeschnitten. Aber das fand der ganz unmöglich, er wollte mit der echten Hostie herumgehen, aber er wollte dafür auch, dass nur echte Kranke vor ihm sitzen. Und er ist ausgerechnet vor unserer Schauspielerin stehen geblieben, die mit der Tochter im Rollstuhl, und hat gesagt, die hat ihn so gerührt. Es war aber nur eine Schauspielerin. Das ist immer gut zu wissen, dass Dinge nicht so sind, wie sie scheinen.

Es bleibt in der Schwebe, ob es wirklich ein Wunder ist. War das Ihre Ausgangsidee?

Das war eher der Endpunkt. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass genau die Gratwanderung zwischen Wunder und Nichtwunder der Weg ist. Und dass es wichtig ist, genau auf Messers Schneide stehenzubleiben. Ich hatte alternative Schlüsse, die in die eine oder die andere Richtung tendierten, aber ich habe gemerkt, dass ich damit eine Antwort, eine persönliche Meinung gebe, die in diesem Zusammenhang uninteressant ist.

Es ist ja mindestens so sehr ein Gruppenfilm mit fast choreografischen Szenen im Speisesaal oder bei der Prozessionen.

Ursprünglich hatte ich den Film ganz aus dem Blickwinkel der Gelähmten erzählen wollen, dann hätte man die Ausschnitthaftigkeit viel stärker gespürt: Wenn man eine Gelähmte im Rollstuhl vor die Wand stellt, dann sieht sie halt nur die Wand. Aber dann habe ich gemerkt, dass es interessanter ist, über die Gruppe zu erzählen. Dadurch ist die Willkür besonders spürbar. Das ist ja eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe, man spürt förmlich die Gießkanne, mit der der liebe Gott herumgeht und Wunder verteilt: vielleicht wird es der da rechts, oder die hinten. Das war für mich der Schlüssel.

Ihre Filme zeichnen sich durch Distanz aus, sie sind nicht vordergründig emotional.

Ein mir wichtiges Thema ist die Einsamkeit. Wobei „Lourdes“ schon ein wärmerer Film ist als meine vorangegangenen. Das hängt auch damit zusammen, dass ich versuche, mit dieser Form von Isolation umzugehen. Nicht umsonst geht es in meinem nächsten Film um eine Liebesgeschichte, und um die Frage, ob es so etwas wie Liebe und Nähe überhaupt gibt. Jetzt wage ich mich ins Auge des Taifuns.

JESSICA HAUSNER,

geboren 1972 in Wien, wurde nach den Kurzfilmen „Flora“ und „Inter-view“ mit Lovely Rita (2001) und Hotel (2004) international bekannt. „Lourdes“ ist ihr dritter Film.

Interview: Christina Tilmann

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