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Eli wächst in einer kleinen Stadt in Siebenbürgen auf. Eine normale Kindheit - bis er und die anderen Juden den gelben Stern tragen müssen.

© Rebecka Lagercrantz/Moritz Verlag

Kinder- und Jugendbuch: Renn, wenn du kannst

Wie erzählt man Kindern vom Holocaust? "Zwei von jedem", eine berührende Erzählung von Rose Lagercrantz, illustriert von Rebecka Lagercrantz.

Eli ist schnell. Er kann rennen wie nichts, Luli, seine Schulfreundin, kann das auch. Jeden Tag rennen sie um die Wette. Könnte ja sein, dass ein Vampir hinter ihnen her ist, der ihr Blut trinken will, hier in der kleinen Stadt in Siebenbürgen, in der es zwei Flüsse gibt, zwei Friedhöfe - und die Mutter backt jede Woche zwei Freitagsbrote zum Sabbat.

Die beiden sind unzertrennlich, der kränkliche Junge, der einen kalten Winter lang das Bett hüten muss, und die wilde Luli, die sich nicht scheut, auf den Berg Szalavan zu laufen, um magisches Wasser für seine Genesung zu holen. Auch wenn dort bestimmt Vampire wohnen.

Wie erzählt man Kindern vom Holocaust? Auschwitz, die Vernichtungslager, wie geht das heute, 75 Jahre danach? „Was dann kam, kann ich eigentlich nicht erzählen“, sagt Eli, der immer noch ein Kind ist, als er an der Selektionsrampe von Auschwitz gewaltsam von seiner Mutter getrennt wird, auch vom alten Isaak, der in dem rumänischen Städtchen einen Stoffladen betrieb. Elis herzkranker Vater hatte immer die schweren Ballen die wacklige Leiter hinaufgetragen, bis herunterfiel und tot war. Auch die Mutter und den alten Isaak sieht Eli nie wieder.

Ein Junge, ein Mädchen, eine Liebesgeschichte in der Shoah

Dann versucht Eli es doch mit dem Erzählen, behutsam, mit einfachen Worten, ohne den Alltag zu schildern wie vorher in „Zwei von jedem“ , als es um die von Armut und der Liebe zu Luli geprägte Kindheit geht. Knappe Auskünfte statt Anschauung, es geht nicht anders. Erst das Verbot, ein Radio zu besitzen, dann immer schlimmere Vorschriften, Isaak muss den Laden schließen, sie tragen den gelben Stern, besteigen einen Viehwaggon. Mit seinem Bruder Adam kommt Eli nach Bergen-Belsen, liegt bei der Befreiung mit Typhus auf dem Barackenboden und halluziniert sich Luli herbei, die nach Amerika ausgewandert ist. Schon in der sorglosen Zeit machte ihm das Angst: dass ein Brief von Lulis Vater aus Amerika kommt und Luli aufs Schiff steigt. „Jetzt sterbe ich“, sagt er sterbend zu ihr – und überlebt.

Rose Lagercrantz, 1947 in Stockholm geboren, hat bereits zahlreiche Bücher für Kinder verfasst, darunter die Dunne-Reihe über ein temperamentvolles Mädchen und dass es nicht leicht ist, ein Kind zu sein. Auch über die Shoah schrieb sie schon mehrfach, für Jugendliche wie für Erwachsene. In „Was meine Augen gesehen haben“ (deutsch1999) hat sie die Erinnerungen der Auschwitz-Überlebenden Magda Eggens aufgezeichnet.

Luli wandert nach Amerika aus - und steht mit ihrem roten Schal eines Tages am Pier, um Eli zu begrüßen.
Luli wandert nach Amerika aus - und steht mit ihrem roten Schal eines Tages am Pier, um Eli zu begrüßen.

© Rebecka Lagercrantz/Moritz Verlag

Lagercrantz sieht es als ihre Aufgabe an, „die schwarzen Löcher des Vergessens zu füllen“. Immer wieder greift sie auf die eigene Familiengeschichte zurück. Eine Jüdin hatte dem Vater 1938 das Leben gerettet, die Familie der Mutter Ella war in Auschwitz ermordet worden, Ella selbst gelangte mit ihrer Schwester mithilfe des Roten Kreuzes nach Schweden. So wie im Buch Eli und Adam.

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Eines Tages kommt er doch, der Brief von Luli aus New York – so wie Lagercrantz’ Mutter einen Brief ihres totgeglaubten Bruders Victor aus Amerika erhielt. Eli arbeitet hart, um das Geld für die Überfahrt zusammen zu bekommen. Glückliches Wiedersehen bei der Ankunft, die beiden heiraten, haben zwei Kinder – auch Märchen sind oft grausam und gehen gut aus. Als die Kinder nach früher fragen, will Eli nicht antworten. Auch Ella Lagercrantz hatte lange geschwiegen. Bis Eli die Geschichte doch aufschreibt, vom Wegrennen vor den Vampiren, von den Blutsaugern, vom Antisemitismus.

[Rose Lagercrantz, Rebecka Lagercrantz: Zwei von jedem. Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2021, 116 S., 14 €. Ab 9 Jahre. Erscheint am 18. August]

Die Illustrationen zum Buch stammen von der Tochter der Schriftstellerin, Rebecka Lagercrantz. Vignetten, Tuschzeichnungen, die Landschaft in Siebenbürgen, das Tor zu Auschwitz, die Juden mit dem gelben Stern.

Rebecka Lagercrantz zeichnet fein konturierte Gesichter, Bilder als zarte Annäherungen an das, wovon man sich kein Bild machen kann. Ein Buch eher zum Vorlesen, als zum Selberlesen. Zum Weiterreden da, wo die Erzählung unweigerlich stockt.

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