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Liebe und Arbeit: Chris (Vicky Krieps) und Tony (Tim Roth) suchen auf der Bergman-Insel Fårö nach Inspiration.

© Weltkino

„Bergman Island“ im Kino: Karriere und Kinder - kein Problem?

Mit „Bergman Island“ ehrt Mia Hansen-Løve den Meisterregisseur. Eine Komödie über ambivalente Vorbilder und komplizierte Geschlechterverhältnisse.

Von Andreas Busche

Wäre Ingmar Bergman nicht einer der größten Regisseure des Weltkinos geworden, hätte es vielleicht auch für eine Karriere als Paar-Therapeut gereicht. Nur wenige Filmemacher erkundeten mit solch entwaffnender Klarheit das menschliche Wesen und die Beziehungsdynamik der Geschlechter. Keine charakterliche Fehlbarkeit entging Bergmans protestantischem Humanismus, er legte diese wie unter einem Brennglas offen.

Nicht gerade eine ideale Voraussetzung für einen Pärchenurlaub auf der Insel Fårö, wo Bergman einen Großteil seines Lebens verbrachte – und arbeitete. Noch dazu, wenn die Beziehung von Tony (Tim Roth) und der zwanzig Jahre jüngeren Chris (Vicky Krieps) unter leicht kompetitiven Vorzeichen steht. Er, ein erfolgreicher Regisseur, stellt auf Einladung der Bergman Stiftung seinen jüngsten Film vor, sie will die Abgeschiedenheit für die Arbeit an einem Drehbuch nutzen.

Die Begrüßung in Mia Hansen-Løves „Bergman Island“ fällt skandinavisch trocken aus. „Das große Schlafzimmer befindet sich oben, in ihm drehte Bergman ,Szenen einer Ehe‘“, erklärt die Verwalterin des Anwesens, ohne eine Miene zu verziehen. „Der Film, wegen dem sich Millionen von Ehepaaren scheiden ließen.“ Er richtet sich an diesem Ort, an dem in jedem Backstein die Aura des Meisters zu spüren ist, augenblicklich ein. (Als Erstes nimmt er an einer „Bergman Safari“ zu den Drehorten auf der Insel teil.) Chris fühlt sich anfänglich überwältigt von der Geschichte des Ortes, sie bezieht ihren Arbeitsplatz darum in der Mühle gegenüber dem Wohnhaus. Wenn Tony von seinem Schreibtisch aufblickt, winkt sie ihm aus ihrem Fenster zu.

So zeichnet die französische Regisseurin, deren Nachname auf einen dänischen Großvater zurückgeht, mit wenigen, fast beiläufigen Strichen das subtil-humorvolle Porträt eines Künstlerpärchens, dessen sommerliche Brise eher an Eric Rohmer erinnert. Hansen-Løve ist sich der Komik dieses Widerspruchs durchaus bewusst, sie sieht darin aber kein Problem. „Ich hoffe zumindest, dass meine Werte als Filmemacherin nicht das Gegenteil von denen Bergmans sind“, erzählt sie im Zoomcall. „In gewisser Weise ist der Abstand sogar befreiend, weil ich so nie in die Versuchung gerate, ihn zu imitieren. Oder etwas vorzugeben, das meine Filme nicht einlösen.“

Eine Liebeserklärung an Fårö

Für Hansen-Løve hat der Film eine lange Geschichte, von der ersten Idee 2014 bis zur Cannes-Premiere im vergangenen Juli. Ursprünglich hätten Greta Gerwig und John Turturro die Hauptrollen spielen sollen, es wäre zweifellos eine andere Komödie geworden. Gerwig sagte kurz vor Drehbeginn ab, um bei ihrem zweiten Film „Little Women“ Regie zu führen, dann kam die Pandemie dazwischen. Die Verzögerungen strapazierten ihre Geduld, erzählt Hansen-Løve, aber am Ende erwies sich die Warterei sogar als Glücksfall. Sie drehte zwei Sommer lang auf Fårö: viel Zeit, um mit dem Ort vertraut zu werden; sich ihm buchstäblich anzuvertrauen.

„Keine Regisseurin möchte ein ganzes Jahr warten, um ihren Film weiterzudrehen. Aber in gewisser Weise habe ich es genossen, mit zeitlichem Abstand zurückzukehren. Man betritt Fårö nicht mit unschuldigen Augen, als Cinephile reist man mit Gepäck an. Es ist ein verwunschener Ort, die Geister der Vergangenheit suchen einen heim. Man muss sich davon lösen, das gehört zum Prozess.“

Rückblickend nennt die 40-Jährige die Arbeit an „Bergman Island“ die beste Erfahrung ihrer Karriere. Am Tag des Interviews ist sie zwar verschnupft, redet aber trotzdem wie ein Wasserfall. Über ihre Spaziergänge in den Dünen, Radtouren, die Seeluft; manchmal hat sie sich auf der Suche nach den Originalschauplätzen auch verlaufen. Es sind die Wege, die Vicky Krieps im Film wiederholt.

Die französische Regisseurin Mia Hansen-Love gewann 2016 mit "Alles was kommt" den Regie-Preis der Berlinale.
Die französische Regisseurin Mia Hansen-Love gewann 2016 mit "Alles was kommt" den Regie-Preis der Berlinale.

© Stephane Cardinale/Corbis/Getty Images

Hansen-Løve gehört im europäischen Kino zu den leiseren, aber markanten Stimmen. Für den Schauspielerinnenfilm „Alles was kommt“ (in der Hauptrolle eine bravouröse Isabelle Huppert) erhielt sie 2016 den Silbernen Bären. In seiner immer auch ironischen Cinephilie ist „Bergman Island“ unverkennbar französisch. Aber durch die hellen, buchenholzigen Interieurs, den rustikalen Modernismus dieser Beziehungsgeschichte, die Heimeligkeit der Schafsfelldecken, die überall herumliegen, besitzt der Film auch eine skandinavische Wohlfühlästhetik, der man sich nur schwer entziehen kann. Arthouse-Hygge.

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Der Film-im-Film hat eine Heldin

Die Gespräche zwischen Tony und Chris (oder den Bergman-Touristen und den Einheimischen, die den so prätentiösen wie misanthropen Einsiedler hassen – ein guter Running Gag), verweisen auf eine Ebene, die in allen Filmen von Hansen-Løve eine Rolle spielt: das Biografische. Ihr Film "Eden" ist eine Hommage an ihren DJ-Bruder und die Pariser House-Szene der Neunziger. Einmal diskutiert das Ehepaar mit anderen Gästen Bergmans Verhältnis zu Frauen; beiläufig fragt Chris, ob man als Frau mit neun Kindern wohl ebenfalls eine Karriere als Regisseurin gemacht hätte. Die Selbstsicherheit Tonys und die Zweifel von Chris, die zur Prokrastination neigt, verraten auch etwas über ihre eigenwillige Paardynamik.

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(Seit Donnerstag im Kino)

Hansen-Løve wischt Nachfragen aber nonchalant beiseite: „Ich bin weniger ambivalent gegenüber Bergman als Chris. Aber es stimmt schon, nur Männer können behaupten, dass es im Beruf keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Ich hatte Mitarbeiter am Set, die diese Diskussion im Film ernsthaft nicht verstanden. Ich bin mir der Realität voll bewusst, aber auch nicht so schnell darin, über andere zu urteilen."

Wie unaufgeregt „Bergman Island“ Geschlechterverhältnisse verhandelt, verdankt sich weniger endlosen Dialogen als vielmehr einem einfachen Drehbuchkniff. Nach gut einer Stunde übernimmt ein anderes Paar (gespielt von Mia Wasikowska und Anders Danielsen Lie) den Film: die Figuren aus Chris’ Drehbuch, an dem Tony so ostentativ wenig Interesse zeigt. Als „Bergman Island“ schließlich vom Film-im-Film zur Haupthandlung zurückkehrt, ist Tony nur noch eine Nebenfigur bei Hansen-Løve. Sie nennt diesen Trick „hinterlistig“, Chris eigne sich ihren Film heimlich an. „Am Ende erzählt ,Bergman Island‘ die Paarbeziehung aus ihrer Perspektive.“

Der Elefant im Raum lässt sich an dieser Stelle kaum ignorieren. Hansen-Løve ist seit über zehn Jahren mit dem Regisseur Olivier Assayas liiert, sie haben wie Tony und Chris eine Tochter. Da aber gerade Künstlerinnen immer wieder über ihre autobiografischen Einflüsse reden müssen, bleibt die Frage diesmal unausgesprochen. Mit „Bergman Island“ hat sich Mia Hansen-Løve von allen Vorbildern befreit. „Vielleicht“, schiebt sie am Schluss des Gesprächs noch kokett hinterher, „ist mein Film ja die Antwort auf Bergman.“

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