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Kultur: Kampf um Zion

Es ist vollbracht: „Matrix Revolutions“ beschließt die Science-Fiction-Trilogie der Wachowski-Brüder – mit Action

Moderne Actionfilme brauchen keine Handlung. Sie brauchen keine Schauspieler, die etwas erleben und dies in ihrer Mimik spiegeln, sondern – bekannte – Gesichter mit einem Wiedererkennungswert. Sie brauchen keine Dialoge, die über rezitierte Betriebsanleitungen hinausgehen. Sie brauchen keine Idee, die sie antreibt. Ihr Überbau sind Kampfszenen, ihre Philosophie ist der special effect. Sie sind Videospiele, die auf der Leinwand einer Verwertung zugeführt werden (wie „Tomb Raider“), oder sie ziehen, wenn sie denn einst für die Leinwand erfunden wurden (wie die „Terminator“-Filme), Videospiele nach sich. Sie geben immer simplere Antworten auf eine immer unübersichtlicher erscheinende Welt. Und sie recyceln sich auch fürs Kino selbst, indem sie sich klonen, immer wieder neu.

Allein in diesem Jahr kamen „Lara Croft 2“, „Terminator 3“ und „Kill Bill 1“ins Kino: Produkte, die ein gewisses Augen- und Ohrenreizungs- sowie Aggressionsstillungsbedürfnis des Augenblicks befriedigen, das Gedächtnis des Zuschauers jedoch nicht weiter behelligen. Und wenn der Markt es hergibt: Fortsetzung folgt.

So gesehen, ist die „Matrix“-Trilogie, die mit „Matrix Revolutions“ vom heutigen Mittwoch an in einem weltweiten Day-andDate-Start ihr voraussichtliches Ende einläutet, ein sehr altmodischer Actionfilm. Fünf Jahre sind vergangen, seit die bislang nur mit einem kleinen, ebenso eleganten wie wilden Film namens „Bound“ hervorgetretenen Gebrüder Andy und Larry Wachowski die „Matrix“ erfanden: den ersten wirklich philosophischen Science-Fiction-Thriller seit Stanley Kubricks „2001“. „Matrix“ mochte, mit seinen aller Schwerkraft enthobenen Helden, geradezu revolutionär neue Kampfszenen und Spezialeffekte zeigen; was den Film und seine immer wieder überraschende Handlung aber antrieb, war eine kongenial fürs Zukunftskino adaptierte, uralte Künstler- und Denkerfantasie. Was, wenn alles, was wir zu leben meinen, nur geträumt ist – und was wir Wirklichkeit nennen, eine Simulation?

Ein Science-Fiction-Film mit einer, nunja, revolutionären, Kernidee: Das musste auch einen für das Actionfilmgenre neuartigen Welterfolg auslösen. Und tatsächlich wurde „Matrix“ ein Paralleluniversum für alle. Wer sich schon damals ins interaktive Reiz-Reaktions-Kampftraining der Videogames einloggte, entdeckte eine wieder neue Identifikationsstruktur (das von den WachowskiBrüdern entwickelte Spiel „Enter the Matrix“ machte bisher weltweit 200 Millionen Dollar Umsatz); die anderen nutzten den Filmtitel als Metapher für einen eigenen modifizierten, ja, modernisierten Weltbegriff. Die Matrix, Zwischenreich und Realitätstäuschungszone für versklavte menschliche Organismen, die mit der Produktion von Erlebnisillusionen einer gewaltigen Maschinenwelt den Nährstoff liefern, passt auf alles. Auf das Gefühl, selber nur in einer Lebebatterie zu stecken. Auf das Misstrauen gegenüber jedweder Manipulation. Auf ein immer wieder tückisch freies Spiel mit dem, was man Erfahrung nennt. Auf die Medienindustrie, die unsere Wahrnehmungs- und Wertewelt immer perfekter in den Griff bekommt. Auf das Kino schließlich, die ganz große, ganz alltägliche Erlebnisillusionsmaschine.

Zu schön, um wahr zu bleiben: Auch die Matrix klonte sich, zwar erst nach Jahren, und wurde ein „moderner“ Actionfilm. „Matrix Reloaded“ bewies schon im Frühjahr, was nun das dritte, gemeinsam mit „Reloaded“ gedrehte Sequel „Revolutions“ besiegelt: Die Anfangsidee dient nur mehr als Chiffre, um auf dem Hauptkonkurrenzfeld des Genres, den special effects, vorne zu bleiben. Mit einer zunächst atemberaubenden, dann etwas ermüdenden, die zweite Hälfte des Films fast vollständig ausfüllenden Schlacht zwischen Menschen- und Maschinenwelt – nicht zu vergessen: einem genuinen Konflikt des Genres – ist „Matrix Revolutions“ technisch fraglos gelungen. Nur revolutionär ist daran nichts mehr. Revolutionär war allein die Erfindung der Matrix selber.

Was bleibt, sind die – bekannten – Gesichter und die munter zusammengeklaubten biblischen, altgriechischen, historischen Namen und Namenspartikel für Menschen, Mythen und Dinge: Neo, Morpheus, die „dreieinige“ Trinity, der böse Merowinger und die dummschöne Persephone, das Orakel, Seraph und Niobe, Nebukadnezar und Logos. Logos: das Wort. Logos: die Überdosis an Sinnaufladung, die in Sinnlosigkeit umschlägt. Was auch bleibt, ist der für das Millionen-Genre des Actionfilms immer wieder eigentümliche Eindruck eines Ersatzgottesdienstes für jene säkularen Gesellschaften, die das Kino lieben und alimentieren. Neo rettet, was übrig geblieben ist von dem, was wir die Welt nennen: Zion, die letzte, in der Erde verborgene Menschenstadt. Neo, der Messias unserer Traumtage, opfert sich für sie. „Es ist vollbracht“, sagt ein massig graues Gottgesicht in der Maschinenstadt, hässlich wie eine beim Bleigießen zerfließende „bocca della verità“. Und nimmt damit dem sterbenden Erlöser das letzte Wort ab.

Was ist zu erzählen, zu bedenken von „Matrix 3“, abseits der Erleichterung darüber, dass nun auch die Matrix-Welt „vollbracht“ ist? Abseits des Staunens darüber, zu welchen Bilderfindungen die immerhin von uns Menschen erfundenen Computer in der Lage sind, sofern sie – beruhigende Einschränkung – eine Armee von über tausend Spezialisten mit entsprechendem Material füttert? Aus dem Presseheft spricht immer wieder der Stolz auf Effekte, als ginge es um eine Powerpoint-Präsentation für eine neue Bewegungsbildgenerierungsproduktlinie, nicht um einen Film. Doch Vorsicht: Neue Filme in diesem Genre sind oft exakt nicht mehr als das. Und wollen auch gar nicht mehr sein als Fleißbeweise von Technikern. Und sie kommen prächtig voran.

So wurde die große Verteidigungsschlacht der Bewohner von Zion komplett am Computer entworfen. Nur ein einziges, vier Meter hohes, tonnenschweres Stahlmodell der von jeweils einem Menschlein zu bedienenden Roboter und ein Halbdutzend der Tausende von angreifenden fliegenden „TintenfischWächtern“ wurde real dreidimensional hergestellt, den Rest besorgte der Rechner. Und für die im Presseheft immer wieder gerühmte „wirklich handfeste Schlägerei“ zwischen Neo und Agent Smith, die zwei Monate der Dreharbeiten währte und sie aus einem verregneten Schlammloch bis in den Himmel führt, haben die Experten das „Motion Capture“-Verfahren extrem verfeinert. Was wir auf der Leinwand sehen, sind immer wieder nicht die Gegner selbst, sondern die Erinnerung der Computer an sie – Daten, die die Rechner von ihren Bewegungen und Gesichtern gespeichert und neu für das generiert haben, was die Effekteabteilung „virtuelles Kino“ nennt.

Immerhin, Agent Smith (Hugo Weaving) ist zumindest einmal real. Doch gerade diese Figur symbolisiert am augenfälligsten den Weg ins Quantitative, den „Matrix“ nach seinem ersten Quantensprung genommen hat. In „Matrix 1“ war Smith noch allein, in „Reloaded“ war er ein verhundertfachter, im Zwischenreich der Matrix sein Unwesen treibender Gegner für die Kämpfer um Neo (Keanu Reeves), Morpheus (Laurence Fishburne) und Trinity (Carrie-Anne Moss). In „Revolutions“ ist er nur mehr ein ausgeflipptes Programm.

Zwar von den Maschinen erdacht, bedroht es nun die Herrschaft der Maschinen selbst und zwingt sie zu einem Arrangement mit den Erdlingen. Diese hübsche Frontstellung zwischen Hard- und Software ist zumindest ein bisschen neu. Erledigt also Neo Tausende von Smiths, lassen die Myriaden von flirrenden, jeden Widerstand zermalmenden „Wächtern“ von jener tiefen Erdhöhle ab, in die sich die letzten Menschen zurückgezogen haben. Das ist immerhin ein Deal. Und Neo, an den die Menschen dort unten glauben und an den auch wir im Kino mittels unserer hilfebedürftigen Identifikationsfiguren glauben mögen (wenn wir uns nicht gleich, Gott bewahre, mit ihm identifizieren!), schaukelt das Ergebnis, wenn auch erwartet unbequem, nach Hause.

Das sonstig Neue – und auch damit sucht „Matrix Revolutions“ nur mehr die Stromlinienform des zeitgemäßen Actionfilms – dient strikt der Gewinnung bislang vernachlässigter Publikumsschichten, sprich: der Profitmaximierung. So agiert in der Matrix anfangs eine freundliche indische Kleinfamilie – und vervollständigt damit bloß das in Zion (und vor den Leinwänden) bereits versammelte Global Village aus Weißen, Schwarzen und Chinesen; auffallend auch, dass die Erdlinge ausdrücklich einen Volkssturm von 16-Jährigen zulassen, obwohl der Kampf um Zion doch erst ab 18 ist (womit man wohl subtil die 14-Jährigen einlädt, sich in diesem Film ab 16 wohl zu fühlen). Und schließlich wurde auch für die Frauen, bislang nicht gerade Top-Zielgruppe von „Matrix“ und seinen Genre-Trabanten, einiges getan. Sie sitzen am Steuer der Raumschiffe nicht nur, wenn ihre Männer gerade wieder mal schwerst verletzt sind („Ich glaube, du wirst fahren müssen, Trinity!“), sondern sie können es einfach. Moderne Männer wissen: Frauen sind die besseren Raumfahrerinnen. Richtig kämpfen aber muss Neo ganz allein.

In 26 Berliner Kinos. OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und CineStar Sony-Center

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