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Die Sopranistin Christiane Karg beherrscht die intime Diktion, aber auch den expressiven Aufschrei.

© Gisela Schenker

Kammermusik im Pierre Boulez Saal: Sehnsucht, satt

Große Einmütigkeit: Das Streichquartett der Staatskapelle und die Sopranistin Christiane Karg mit Schubert, Schönberg und Beethoven im Berliner Pierre Boulez Saal

Nichts geht über Orchesterspiel, wenn es darauf ankommt, miteinander zu harmonieren. Das Streichquartett der Berliner Staatskapelle ist der beste Beweis dafür, denn die Homogenität und Klangkultur der Violinisten Wolfram Brandl und Krzysztof Specjal, der Bratscherin Yulia Deyneka und des Cellisten Claudius Popp erweist sich am Mittwochabend im Pierre Boulez Saal als phänomenal. Dabei sind sie gleich bei Aribert Reimanns Arrangement von Schuberts „Mignon“-Liedern rhythmisch keineswegs immer absolut synchron. Aber es ist egal, klingen sie doch wie ein einziger Klangkörper, ein Spiel von Gleichgesinnten, mit einem Atem, einer Dynamik, einer Phrasierung.

Gemeinsam mit der Sopranistin Christiane Karg gehen die vier ungeheuer behutsam zu Werke, changierend zwischen Ehrfurcht und Furchtsamkeit, als gefährde schon ein allzu starkes Vibrato die zerbrechlichen Töne. Sie ringen um Klangschönheit, locken den Zuhörer in entrückte Sphären, oft auf hauchdünnem Bassgrund. „Nur wer die Sehnsucht kennt“, „Heiß mich nicht reden“, „So lasst mich scheinen, bis ich werde“: Ob morbides Pianissimo oder Aufschrei in höchster Lage, Christiane Karg wählt auch in den Gesangssätzen von Schönbergs Streichquartett Nr. 2 eine intime und doch immer klare Diktion – für die der neue Pierre Boulez Saal die ideale Akustik bietet. Bestechend ihre kurzen Verdichtungen zu metallischer Härte, brillant ihre Intonationssicherheit noch bei großen Intervallen.

Ein bisschen mehr Streitlust wünscht man sich manchmal doch

Draußen stürmt es, drinnen künden die George-Verse von Melancholie, Ermattung, Todessehnsucht, dem Unbehagen an der Welt. Das Staatskapellen-Quartett steigert den „Mignon“-Ton vom Lyrischen bis ins Amorphe, mit weichem Bogendruck im Eröffnungssatz, verhuschten Gestalten und dem kurzen grotesken Einschub von „O du lieber Augustin“ im Scherzo bis zu den durch sämtliche Instrumente sich himmelwärts verlierenden Linien in „Entrückung“.

Nichts geht mehr. Auch mal schön im Lärm unserer Zeit. Manchmal wird es einem fast zu viel der Einmütigkeit: Um ein Weltklasse-Quartett zu werden, müssten die vier noch etwas Streitlust entwickeln, die Harmonie auch mal sprengen und persönliche Töne anschlagen im innigen Bund. Auch wenn Beethovens Es-Dur-Septett für die beiden Violinen und die Bratsche mit Klarinette (Shirley Brill), Fagott (Zeynep Köylüoglu), Horn (Merav Goldman) und Kontrabass (Nabil Shehata) von einer Mühelosigkeit, Freundlichkeit, auch Heiterkeit zeugt, wie man sie im eigenen Alltag häufig vermisst. Jubel im Saal. Übrigens: In der nächsten Saison wird das Streichquartett hier im Boulez Saal an vier Abenden sämtliche 15 Quartette von Franz Schubert aufführen.

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