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Supernatürlich. Junya Ishigamis „Watergarden“.

© Nikissino Inc./Galerie

Junya Ishigami im Aedes Architectural Forum: Ein Garten, an dem nichts natürlich ist

Der „Wassergarten“ von Junya Ishigami erhielt letztes Jahr den prestigeträchtigen Obel Award. Nun ist das Werk im Aedes Architectural Forum zu sehen.

Nördlich von Tokio, wo die dicht besiedelte Kulturlandschaft in bewaldete Höhenzüge übergeht, bietet das Art Biotop Nasu vor allem Künstlern eine Hotelanlage, neudeutsch einen retreat. Der sollte auf dem davorliegenden, unregelmäßigen Grundstück erweitert werden.

Der mit dem Entwurf beauftragte Junya Ishigami indessen weigerte sich, auf diesem Flecken zu bauen. Stattdessen verlangte er, 318 Bäume vom Nachbargrundstück umzusetzen und dort, schräg ab vom bestehenden Hotelkomplex, zu bauen. Mit einer bloßen Umsetzung sollte es aber kein Bewenden haben.

Vielmehr entwarf Ishigami eine artifizielle Teichlandschaft von 160 nahe beieinanderliegenden, organisch geformten Tümpeln, sodass die Bäume auf den schmalen, grasbewachsenen Landbrücken zwischen ihnen stehen und doch ein dichtes Waldstück bilden.

Dieser Landschaftsgarten, der künstlicher gar nicht gedacht werden kann und sich dem Betrachter wie eine besondere Laune der Natur darbietet, ist unlängst mit einem neu gestifteten, hoch dotierten Preis ausgezeichnet worden, dem dänischen Obel Award 2019.

Die Schau unterstreicht die Bedeutung von Aedes

Dieser Architekturpreis soll nicht ein weiteres Mal ein Gebäude auszeichnen, sondern eher ein Konzept, genauer: „herausragende aktuelle Architekturbeiträge zur menschlichen Entwicklung weltweit“. Dass die japanische Teichlandschaft ausgezeichnet wurde, ist vielleicht nicht ganz zufällig, wurde die Jury des Obel Award doch von der renommierten amerikanischen Landschaftsarchitektin und Harvard-Professorin Martha Schwartz geleitet.

Ausgestellt wird der Träger des erstmals vergebenen Preises in Berlin, im Aedes Architectural Forum, der früheren Aedes Galerie. Sie feiert ihr 40-jähriges Bestehen oder vielmehr hätte es ohne Corona gerne gefeiert; immerhin konnte jetzt die Ausstellung zu Ishigami eröffnet werden.

Dass der dänische Preis seine Publikumspremiere in Berlin vornimmt, unterstreicht die Bedeutung von Aedes als einem weltweit vernetzten Zentrum des Architekturdiskurses. Allein die Adresskartei von Aedes, die zum Versand des im üblichen quadratischen Design gehaltenen Katalogs und damit zur weltweiten Bekanntmachung des neuen Preises zum Einsatz kommt, ist Gold wert.

Über das gewürdigte Projekt von Ishigami kann man durchaus geteilter Ansicht sein. Zunächst frappiert die enorme Sorgfalt, mit der der knapp 45-jährige Nachwuchsstar der japanischen Architektur die von ihm transponierte Natur behandelt. Da wurde jeder einzelne Baum vermessen und gezeichnet, um anschließend ein fein austariertes Waldstück zu ergeben.

Gestaltungswillen freien Lauf lassen

Da wurden die Bewässerungsleitungen des früheren Reisfeldes ertüchtigt, um die flachen Teiche zu be- und entwässern. Was der Besucher, der dieses Biotop auf durch unregelmäßige Steinplatten gebildeten Wegen durchwandert, nicht sieht, ist der komplizierte Untergrund, der Teiche und Baumwurzeln voneinander trennt – denn die Bäume könnten nicht in Grundwasser anwachsen.

Mithin ist diese kleine Landschaft, so poetisch sie wirkt, in Wahrheit hoch technisiert. Wenn man so will, führt Ishigami die fernöstliche Tradition einer aufs Feinste gestalteten, dies aber gerade nicht vorzeigenden Natur fort.

Doch verwundert der ungeheure Aufwand, den sich die Betreiber des „Art Biotop Nasu“ haben abhandeln lassen, um ebendiesen, seit seinem Londoner Serpentine Pavilion von 2019 international beachteten Architekten für ihr Vorhaben zu gewinnen.

Der „Wassergarten“ ist ein Exempel für das, was möglich ist, wenn dem schieren Gestaltungswillen freier Lauf gelassen wird. Schön sieht’s halt aus, und ganz besonders im Winter, wenn sich die Bäume als pure Grafik vor Schnee und Wasserflächen abzeichnen. Die vom Tokioter Tempo gestressten Künstlergäste des Hotels werden es zu schätzen wissen.

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