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Die jungen Leute sollen Spaß beim Musizieren haben. Um den Rest kümmern sich die Festivalmacher.

© Kai Bienert

Jugendorchestertreffen in Berlin: Hinter den Kulissen von "Young Euro Classic"

1200 Musikerinnen und Musiker kommen zum Festival „Young Euro Classic“ nach Berlin. Ein Organisationsteam sorgt dafür, dass die Konzerte reibungslos ablaufen.

Wenn im Saal der Schlussapplaus aufbrandet, wenn das Publikum – wie so oft beim Young Euro Classic-Festival – völlig aus dem Häuschen ist, dann kann sich Friederike Pachowiak entspannt zurücklehnen: Geschafft! Wieder ein Konzert pannenfrei über die Bühne gebracht. Bis zum 21. August wird die 40-Jährige mit der blonden Lockenmähne dieses schöne Gefühl hoffentlich Abend für Abend erleben können – denn 17 verschiedene Ensembles treten hintereinander beim internationalen Jugendorchestertreffen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt auf, mit insgesamt 1200 Mitwirkenden.

Friedrike Pachowiak ist die Projektleiterin von Young Euro Classic. Bei ihr laufen alle organisatorischen Fäden zusammen. Festivalgründerin Gabriele Minz und ihr künstlerischer Leiter Dieter Rexroth sind für den großen Bogen zuständig bei dem privat organisierten Festival, das im Jahr 2000 von einen paar Freunden als kulturelle Bürgerinitiative gegründet wurde.

Ein eingeschworenes Team

Wenn es im Sommer dann um die konkrete Umsetzung der Planungen geht, um die Koordination von Marketing und Ticketing, von Orchestermanagement und Spielstättenbetreuung, ist Frederike Pachowiak gefragt. Für gute Stimmung sorgen, in Stresssituationen einen kühlen Kopf bewahren, den Teamgeist stärken, das alles gehört, – neben Organisationstalent und Managementkompetenz –, zu ihrem Job. Den sie liebt.

Ihr halbes Leben schon ist sie mit Young Euro Classic verbunden. Als Studentin im Fach „Internationale Betriebswirtschaft“ suchte sie sich bei der Initiative einen Praktikumsplatz, fühlte sich sofort wohl in der eingeschworenen Truppe um die Unternehmensberaterin Gabriele Minz, wurde freie Mitarbeiterin. 2007 kam die Festanstellung, sie organisierte Projekte wie die Orchesterakademien, bei denen Nachwuchstalente aus zwei verschiedenen Ländern sich zum gemeinsamen Musizieren treffen, bevor sie 2015 dann zur Young Euro Classic-Projektleiterin wurde.

Jedes Orchester hat andere Bedürfnisse

Während des Jahres besteht das Organisationsteam aus acht Personen, zum August hin wächst die Zahl der Mitarbeitenden dann jeweils auf über 20. Jeder einzelne Abend muss individuell geplant werden – weil nicht nur jedes Programm anders ist, sondern auch jedes Jugendorchester. Manche werden superprofessionell gemanagt, so wie das National Youth Orchestra of the USA, das mit einem ganzen Tross von Betreuern anreist.

Andere leben von der Initiative einzelner Menschen, wie das Jovem Orquestra Portuguesa, um das sich der Dirigent Pedro Carneiro zusammen mit seiner Frau und zwei Helfern kümmert. Da packen Frederike Pachowiak und ihre Leute dann schon mal mit an, wenn es darum geht, fürs Konzert die Noten auf die richtigen Pulte der Instrumentengruppen zu verteilen

Einige Ensembles machen nur kurz in Berlin Halt, andere gönnen sich auf ihren Tourneen einen zusätzlichen Tag für Sightseeing in der Hauptstadt, manche müssen arg knapsen beim Geld, andere konnten zuhause bei Sponsoren und staatlichen Stellen Fördergelder einsammeln. Bei Young Euro Classic können sie aus langjähriger Erfahrung mit allen Konstellationen umgehen, sie buchen entsprechend die Hotels, organisieren Busse für den Transport von der Unterkunft zum Konzerthaus, mieten bei Berliner Institutionen jene Sonderinstrumente an, die die Orchester nicht dabeihaben.

Manchmal müssen Kontrabässe ausgeliehen werden

Zumeist betrifft das den Bereich der Percussion, vom Gong über Trommeln und Pauken bis zur Windmaschine. Diesmal galt es zudem, ein Cymbalon aufzutreiben, ein Hackbrett, das mit Klöppeln bearbeitet wird. Ensembles, die per Flugzeug nach Berlin kommen, verzichten außerdem oft darauf, die sperrigen Kontrabässe mitzunehmen, so dass auch die vor Ort leihweise besorgt werden müssen

Weil die Aufführungen bei Young Euro Classic so dicht getaktet sind, haben die Dirigent:innen und ihre Schützlinge nur wenig Zeit, um sich auf die Akustik des Konzerthauses einzustellen. Ab 15 Uhr ist der Saal jeweils frei, dann müssen erst die Stühle und Notenpulte aufgebaut werden, nach den spezifischen Anforderungen der Werke, der Besetzungsgröße und der Art, wie die Instrumentengruppen auf dem Podium verteilt sein sollen – je nach Tradition sitzen die 1. und 2. Geigen entweder sich gegenüber oder aber direkt nebeneinander.

Der Auftritt im Konzerthaus ist ein Highlight

Um 16 Uhr kann dann die Probe losgehen. Gegen 18 Uhr gibt es meistens etwas zu Essen für die Mitwirkenden, dann ist Freizeit bis zum Konzert um 20 Uhr (Das Festival startet am heutigen Donnerstag mit einem Auftritt des Ukrainian Freedom Orchestra und läuft bis zum 21. August. Weitere Infos zum Programm unter young-euro-classic.de). Gehen dabei manchmal Musiker:innen verloren, die nur kurz eine Runde in Berlins spannender Mitte drehen wollen? Friederike Pachowiak schüttelt lachend den Kopf: „Die jungen Leute sind sehr verantwortungsbewusst.“

Schließlich haben sie monatelang auf die sommerliche Arbeitsphase ihres Orchesters hingefiebert. Und die Station im prachtvoll-klassizistischen Konzerthaus ist stets ein Höhepunkt der Tournee. Auch dank des extrem begeisterungsfähigen Young Euro Classic-Stammpublikums.

In „nächtelangen Sitzungen“ haben sie im Büro von Gabriele Minz in der Wilmersdorfer Meierottostraße die Ablaufpläne für das diesjährige Festival ausgetüftelt, haben ganz genau festgelegt, wer wann wo für wen und was zuständig ist. Wenn es jetzt losgeht, hilft nur noch Daumendrücken, dass niemand krankheitsbedingt ausfällt, im Managementteam oder bei den Orchestern.

Was passiert, wenn ein Musiker Corona bekommt?

Im Vorfeld ausgearbeitete Notfallpläne gibt es nicht. Sollte Corona zuschlagen und beispielsweise eine Solo-Oboistin oder einen 1. Trompeter wenige Stunden vor dem Auftritt aus dem Spiel nehmen, müssen die Organisatoren auf ihr Netzwerk vertrauen. Das über die vielen Jahre gesammelte Wissen wird gepflegt und ist so aufbereitet, dass im Falle eines Falles jede und jeder sofort darauf zugreifen kann.

Echte Dramen aber sind in 22 Jahren Young Euro Classic noch nicht passiert, sagt Friederike Pachowiak. Sicher, im vergangenen Jahr mussten vier Orchester kurzfristig ihre Teilnahme absagen, weil es Pandemieausbrüche gab oder Reisebeschränkungen nicht rechtzeitig aufgehoben wurden. Es konnte aber Ersatz in der Berliner Klassikszene gefunden werden. Und sonst? Einmal, erinnert sich Friederike Pachowiak, musste per Kurier binnen 24 Stunden eine Klarinette aus Spanien herangeschafft werden. Ein anderes Mal ging die Brille eines Spielers kaputt: „Da haben dann alle aus dem Team von zuhause ihre Sehhilfen mitgebracht, in der Hoffnung, dass eine schon die richtige Stärke haben würde.“ Und dann war da noch der Trommler, der in Ravels „Bolero“ plötzlich schlapp machte. Im Saal aber saß ein anderer Perkussionist des Orchesters und konnte spontan einspringen. Möge das Glück also auch 2022 wieder mit den Tüchtigen von Young Euro Classic sein!

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