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Jugendbuch über Sterben und Tod: Wie riechen Mumien?

Neugier ist stärker als Angst: Die Bestatterin Caitlin Doughty, bekannt geworden als YouTube-Star, gibt Antworten auf letzte Fragen.

"Media vita in morte sumus“, lautet eine unsterbliche Weisheit. Sie entstammt einem gregorianischen Choral, der um das Jahr 750 zuerst in Frankreich gesungen wurde. Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Klar, alle müssen irgendwann sterben, für jeden ist es eine Premiere. Muss man sich deshalb fürchten? Ein Europäer des 8. Jahrhunderts hätte wahrscheinlich geantwortet: nein. Denn auf einen gläubigen Christen – da waren sich die Theologen sicher – würde im Jenseits das ewige Leben warten.

Der Zweifel wächst

So einfach ist es heute nicht mehr. Religionen haben ihre alleinseligmachende Kraft verloren, der Zweifel wächst. Trotzdem sind es die alten Fragen, die immer noch gestellt werden. Was passiert mit unseren Körpern, wenn wir tot sind? Und wo bleibt die Seele? Caitlin Doughty hatte schon immer ein Faible für Leichen. Die Amerikanerin, 1984 auf Hawaii geboren, hat Mediävistik studiert und ihre Abschlussarbeit über Hexenverbrennungen in der frühen Neuzeit geschrieben.

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Mit 22 Jahren begann Doughty, in einem Krematorium zu arbeiten, heute betreibt sie ihr eigenes Bestattungsunternehmen in Los Angeles. Zum YouTube-Star wurde sie mit der Ratgeberserie „Ask a Mortician“ („Frage eine Bestatterin). Das daraus entstandene Buch, 2016 herausgekommen, wurde ein internationaler Bestseller. Jetzt erscheint ihr Jugendbuch „Was passiert, wenn ich tot bin?“. Die letzten Dinge erforscht sie mit den Methoden einer exakten Wissenschaftlerin und einer gewissen Grundheiterkeit. Neugier ist stärker als Angst.

Der Scharfsinn der Kinder

„Beim Thema Tod gibt es keine dummen Fragen, und die direktesten und provokantesten kommen von Kindern“, schreibt Doughty. Sie war viel unterwegs, um zu erfahren, wie andere Kulturen mit dem Sterben umgehen. In Indonesien staunte sie über Familien, die ihre Toten mumifizieren und noch jahrelang mit ihnen leben. Bei Diskussionen fiel ihr auf, dass Jugendliche oft „mutiger und scharfsichtiger“ gewesen seien als die Erwachsenen. Weniger interessant als die unsterbliche Seele ihres Wellensittichs war für sie die Frage, wie schnell das Tier im Schuhkarton unter dem Ahornbaum verwest.

Weiße Schädel, schwarzes Nichts. Gevatter Tod im Weltall.
Weiße Schädel, schwarzes Nichts. Gevatter Tod im Weltall.

© Illustration: Dianné Ruz

Mit metaphysischen und philosophischen Problemen hält Doughty sich nicht lange auf. Sie geht 33 sehr konkreten, teilweise skurril anmutenden Fragen nach und liefert Zahlen, Daten, Fakten. Stimmt es, dass Haare im Sarg weiterwachsen, wenn ich unter der Erde liege? Nein, auch wenn sich dieser Mythos hartnäckig hält. Haben Mumien gestunken, als sie eingewickelt wurden? Wieder nein, weil Pharaonen und andere Würdenträger vor ihrer Beisetzung oft monatelang einbalsamiert wurden. Schmeckt das Trinkwasser schlecht, wenn ein Friedhof in der Nähe liegt? Und nochmals nein, denn nährstoffreicher Boden wirkt als reinigendes Element, und die Erde dicht unter der Oberfläche verhindert, dass Verunreinigungen ins Grundwasser gelangen.

Leichen im Weltraum

Die Bestatterin überprüft Legenden, zitiert Studien, gibt Empfehlungen. Über den oft anekdotischen Einstieg ihrer kurzen, drei bis sechs Seiten langen Geschichten kommt sie zu überraschenden Phänomenen. Über Leichen im Weltraum lässt sich wenig sagen. Bislang sind zwar Astronauten bei Starts und Landungen gestorben oder beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht. Aber keiner hat in der Schwerelosigkeit einen Herzinfarkt erlitten, keiner erlag beim Weltraumspaziergang einem Unfall. Was passieren würde, wenn der Raumanzug einer Forscherin von einem winzigen Meteoriten getroffen würde? Ihr blieben zehn Sekunden, um wieder in eine Umgebung mit Luftdruck zu gelangen. Falls nicht, könnten einige Körperteile auf das Doppelte der Normalgröße anschwellen. Die Tote würde so ähnlich aussehen „wie das Mädchen, das in ,Charlie und die Schokoladenfabrik‘ in eine riesige Blaubeere verwandelt wird“.

Oma wird eingeäschert

Oma, da muss Doughty die Leser enttäuschen, kann keine Wikingerbestattung bekommen. Dass die Leichname von Kriegern auf Holzboote gelegt, ins Meer geschoben und mittels eines brennenden Pfeils entzündet werden, ist eine Hollywood-Erfindung. Es wäre auch physikalisch unmöglich, da das Wasser den Brand löschen würde. Kompromissvorschlag: Oma wird eingeäschert, ihre Überreste legt man auf ein brennendes Schiffchen, das aufs Wasser gesetzt wird. Während es verglüht, gleitet die Asche hinab.

In einer anderen Frage gibt die Autorin Entwarnung. Katzen fressen nach dem Tod ihrer Besitzer nicht deren Augäpfel. Sie bevorzugen weichere Körperteile, vor allem Mund und Nase. Das ist Biologie, der Kreislauf von Sterben und Werden (Caitlin Doughty: Was passiert, wenn ich tot bin? Aus dem Englischen von Heide Horn und Rita Seuß. Illustrationen: Dianné Ruz. C.H. Beck, München 2020, 240 Seiten, 15 €. Ab acht Jahren).

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