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Britische Soldaten marschieren 1915 zur Front bei Ypern.

© DPA

Jugendbuch über den Ersten Weltkrieg: Als der Krieg nach Flandern kam

Alltag unter Bomben: Kathleen Vereecken schildert in ihrem Roman "Alles wird gut, immer" die Schlacht von Ypern aus der Sicht eines 12-jährigen Mädchens.

Alles wird am Ende immer gut“, das ist das Credo von Alices Mutter. Alice, zwölf Jahre alt, lebt in Ypern im Westen Belgiens und freut sich in diesem herrlichen Sommer 1914 auf die Kirmes und den Markt. Nur die Erwachsenen bereiten ihr Sorge. Sie tuscheln und stecken die Köpfe zusammen. Alice schnappt das Wort „Krieg“ auf, aber die Mutter beschwichtigt: „Alles wird gut“.

Die belgische Schriftstellerin Kathleen Vereecken erzählt in ihrem Roman „Alles wird gut, immer“, wie ein Mädchen den Ersten Weltkrieg erlebt. Er ist fest verwurzelt im kollektiven Gedächtnis des Landes, fast jede Familie hat Opfer zu beklagen, vor allem im heftig umkämpften Ypern. Vier große Schlachten tobten dort, dort begann der Stellungskrieg, dort setzten die Deutschen zum ersten Mal Gas ein. Granaten pulverisierten die prachtvolle Altstadt. Mehr als 550 000 Menschen fanden allein bei Ypern den Tod.

Der Tod frisst sich ins Leben

Trotz des schwierigen Themas kommt Vereeckens Roman wunderbar leicht daher. Sie erzählt konsequent aus der Sicht der Zwölfjährigen, wie sich der Krieg mit allen Folgen nähert und sich immer mehr ins Leben der Menschen hineinfrisst. Mit kindlicher Naivität, aber glasklarer Beobachtungsgabe registriert Alice all das, was sie sieht.

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Erste Anzeichen des nahenden Krieges sind die belgischen Flüchtlinge. Sie sprechen zum Teil Französisch, zum Teil einen flämischen Dialekt, den Alice kaum versteht – fast Fremde aus dem eigenen Land. Aber das Leben geht weiter. „Ja, wir spielen, dass wir normal sind“, sagt ihre beste Freundin Johanna, doch was heißt das schon in diesen Zeiten. Erst als endlose Kolonnen deutscher Soldaten durch die Stadt Richtung Frankreich marschieren, verändert sich das Leben der Kinder schlagartig. Unbekümmert spielen sie Krieg, doch keiner will ein Deutscher sein. Als die Lage gefährlicher wird, beschließt der Vater, mit der Familie nach Norden zu fliehen, zu Verwandten nahe der französischen Grenze.

Erinnerungen, gesammelt im Museum

Vereeckens Roman fußt auf Erzählungen und Erinnerungen von Kindern, die das Flanders Fields Museum in Ypern gesammelt hat, besonders auf denen von Jeanne Mesdom. Um ihre Erlebnisse hat die Autorin weitere Schicksale gruppiert. Der Krieg bleibt weitgehend im Hintergrund. Seit 1993 schreibt die 1962 in Gent geborene Autorin Kinder- und Jugendbücher. Im Laufe der Zeit entdeckte sie ihre Vorliebe für historische Stoffe.

[Kathleen Vereecken: Alles wird gut, immer. Illustriert von Julie Völk. Aus dem Niederländischen von Heike Blatnik. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2021. 144 Seiten. 14€. Ab zehn Jahre.]

Ihr Buch weist weit über die historischen Ereignisse in Flandern während des Ersten Weltkriegs hinaus. Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Im Roman sind die ersten Flüchtlinge Landsleute. Später flieht Alices Familie selbst, Binnenflüchtlinge heißt das heute, eine Kategorie, unter die Millionen von Syrern und Äthiopiern fallen. Vereecken schreibt mit großem Einfühlungsvermögen. „Ich wurde mit Heimweh nach Menschen und Zeiten geboren, die ich nie kannte. Ich suche sie auf, tauche in sie ein“, beschreibt sie ihre Methode. „Innerhalb der Grenzen dessen, was wir wissen, erzähle ich eine Geschichte, die hätte sein können. Von den Rändern der großen Geschichte, denn dort brodelt und sprudelt das wahre Leben.“

Normalität im Schrecken

Bei allem Schrecken und Leid, das die kleiner werdende Familie durchstehen muss, gibt es auch so etwas wie Normalität. „Wir hatten manchmal Angst. Meistens jedoch lebten wir einfach weiter“, stellt Alice erstaunt fest. Vereecken zeigt, dass es auch im größten Elend Hoffnung gibt, dass auch weiter gelacht und geträumt werden kann, wenn man nur zusammenhält. Für Optimismus brauchten die Menschen von Ypern Mut, denn ihre Heimat wurde komplett zerstört, das Land förmlich umgepflügt. Nach Kriegsende entschieden die Einwohner ihre zu fast hundert Prozent zerstörte Stadt im historischen Stil wiederaufzubauen. Sie ließen sich nicht unterkriegen.

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