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Inseln auf dem Pflaster. „Freischütz“ auf dem Gendarmenmarkt.

© Markus Werner

Jubiläum von Webers Oper "Der Freischütz": Hände weg vom Wald

Applaus bis in den Abendhimmel: Das Konzerthaus feiert 200 Jahre „Freischütz“ – im Stream und auf dem Gendarmenmarkt.

Obwohl über dem Gendarmenmarkt bereits ein gnädiger Schatten liegt, zeigt das Thermometer noch mehr als 30 Grad an. Dass hier draußen der 200. Geburtstag von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ gefeiert wird, war eine Entscheidung im letzten Augenblick. Drinnen im Konzerthaus hat die katalanische Theatertruppe La Fura dels Baus die Regie übernommen und Webers romantische Oper für die Kameras neu inszeniert. Ein Live-Stream geht via Arte Concert (die nächsten drei Monate abrufbar) vom Ort der Uraufführung in die Welt.

1821 erlebte das kurz zuvor eröffnete Konzerthaus einen fulminanten Besucheransturm, der wie durch ein Wunder nur zu einigen Quetschungen führte und Kleider ruinierte. Heute markieren 250 Kreise auf Gendarmenmarkt Inseln mit je zwei Stühlen. Erst Freitag vergangener Woche hatte das Konzerthaus bekannt gegeben, seine große Jubiläumsproduktion aus dem zuschauerfreien Saal nicht nur ins Internet, sondern auch auf den Platz zu übertragen.

Links und rechts der Freitreppe sind LED-Wände und Soundsysteme aufgebaut, die ein Public Viewing mit gestochenem Bild und körperreichem Klang ermöglichen.

Nackte Füße wippen bei der Ouvertüre auf dem Pflaster, ein leichter Windhauch zieht über den Gendarmenmarkt, Sonnenbrillen werden ins Haar geschoben. La Fura dels Baus haben den großen Konzerthaussaal mit Stoffbahnen in eine wogende Welt verwandelt, in die ein Theaterkran hineinragt. Was sich eigentlich inmitten des deutschen Waldes abspielt, scheint zugleich durch eine Kathedrale zu ziehen oder auch über die Planken eines Schiffs unter Segeln.

Wie wir unsere Meere mit Plastik verseucht haben

In diesem Assoziationsraum erscheinen die Menschen bedrückt von Vorahnungen. Auch manche Textzutat betont, dass, wer Hand an Bäume legt, mit der Rückkehr dunkler Seelen rechnen muss. Selfies unter den Jägern werden angedeutet, ihre Trinkhörner erinnern an Kaffeebecher to go.

Zum salbungsvollen Finale zeigt eine Artistin im Wasserbassin, wie wir unsere Meere mit Plastik verseucht haben.

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Doch bei allen abstürzenden Gestalten und oszillierenden Bildern macht La Fura dels Baus aus diesem „Freischütz“ kein selbstverliebtes Spektakel. Regisseur Carlus Padrissa und sein Team vergessen nicht, dass hier das Konzerthaus und sein Orchester gefeiert werden wollen, dessen Solist:innen an Oboe, Cello und Bratsche Trost und Halt im teuflischen Ringen mit der Versagensangst sind.

Die verkörpert Benjamin Bruns als verliebt-ladegehemmter Max mit verzagter Mimik, aber wunderbar geschmeidiger Stimme, die selbst durch die finsterste Nacht leuchtet. Überhaupt ist es eine starke „Freischütz“-Besetzung mit Christof Fischesser als schwarzstimmigen Gegenspieler Kaspar, Jeanine de Bique als von weltentrückter Trauer erfüllter Braut Agathe und einem beherzt berlinernden Ännchen von Anna Prohaska.

Die knifflige Koordination mit den Solisten und dem Rundfunkchor, die sich im Raum bewegen, gelingt Christoph Eschenbach am Pult des sonor musizierenden Konzerthausorchesters oft traumwandlerisch. Nach dem letzten Takt treten die Akteure hinaus auf die Freitreppe, und von den Inseln steigt Applaus auf in den Abendhimmel.

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