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Der „Spiegel“-Repoerter Juan Moreno.

© imago images/Future Image

Juan Moreno über Claas Relotius: Showtime im Bunker

Juan Moreno beschreibt im Buch „Tausend Zeilen Lüge“, wie er seinen Reporter-Kollegen Claas Relotius überführte, der zahlreiche „Spiegel“-Texte erfunden hat.

Es ist die Crime-Story des Jahres. Eine Hochstapler-Geschichte, wie sie besser nicht sein könnte. Und einer, der sie aus nächster Nähe erlebt hat, ist nun auch derjenige, sie dem Publikum als das Schurkenstück zu präsentieren, das den deutschen Printjournalismus tief erschüttert hat. Juan Moreno, seinerzeit freier Reporter des „Spiegel“, kam seinem Kollegen Claas Relotius auf die Schliche, als der für eine gemeinsame Geschichte eine Bürgerwehr erfand, die an der Grenze zu Mexico angeblich Jagd auf illegale Einwanderer machte. Moreno äußerte seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Materials, machte die Redaktion auf Fehler aufmerksam und wurde abgebügelt. „Du weißt, was das bedeutet, oder?“, fragte ihn ein Chef.

Trotz dieses Widerstands deckte Moreno den Schwindel auf. Es stellte sich bald heraus, dass Relotius nicht nur in diesem Fall Personen und Begegnungen fingiert hatte. Sein Betrug hatte System und sich über Jahre hingezogen. So zeichnet Juan Moreno auch das traurige Psychogramm eines Unscheinbaren, dessen Persönlichkeitsstörung ihn zum notorischen Lügner werden ließ – und zum Opfer seiner eigenen erfolgreichen Masche.

Das macht „Tausend Zeilen Lüge“ zu einer ebenso spannenden wie erschreckenden Lektüre (Rowohlt Berlin, 288 Seiten, 18 €). Ob das Buch auch etwas über den Zustand des Journalismus in diesem Land aussagt, ist eine andere Frage. Denn Fälschungsaffären hat es früher schon gegeben. Allen voran Hitlers Tagebücher, die der „Stern“ sich andrehen ließ. Dann die erfundenen Interviews mit Hollywoodstars, die Tom Kummer im „SZ-Magazin“ unterbrachte. Nicht zu vergessen kleinere Fälle, die redaktionsintern aufgeklärt werden, ohne dass die Öffentlichkeit je davon erfährt.

Das war bei Claas Relotius nicht möglich. Der 33-Jährige hatte über 40 Journalistenpreise gewonnen, beinahe jede seiner Reportagen galt als Meilenstein und saugut geschrieben. Das machte ihn zum Hoffnungsträger beim „Spiegel“, der von jeher viel auf seine eigenen Standards hält. Wobei Relotius’ kometenhafter Aufstieg einherging mit der wachsenden Schwierigkeit des Hamburger Nachrichtenmagazins, an exklusive Informationen aus dem politischen Betrieb zu gelangen. Wenn also etwas faul war mit Relotius, dann musste es der Boden, der ihm bereitet wurde, auch sein.

Der „Spiegel“ hat eine eigene Kommission zur Aufklärung der Relotius-Affäre eingesetzt. Der Abschlussbericht soll in seiner nüchternen Klarheit verlorenes Vertrauen wieder herstellen. Außerdem sind zwei von Relotius’ Förderern, beides hochgelobte Journalisten, aus ihren leitenden Funktionen abgetreten. Die Redaktion glaubt, ihre Sicherungsmechanismen verbessert zu haben, wie sie sagt. Heute können sich Mitarbeiter bei Verdachtsfällen an eine Ombudsstelle wenden. Reicht das?

Moreno hat ein Buch über den Relotius-Skandal zunächst gar nicht schreiben wollen. Aber andererseits, sagte er sich, wer, wenn nicht er?

Die Frage ist allerdings: Ob der, dem übel mitgespielt wurde, den Elfmeter schießen sollte. Wenn er gescheitert wäre, dann würde Claas Relotius heute eines der wichtigen „Spiegel“-Ressorts leiten, und Juan Moreno bekäme keine Jobs mehr. Es gibt also keinen, der betroffener ist, als er. Und beschädigt, wie sich die Branche insgesamt zeigt, gibt es in der Tat niemanden, der berufener wäre.

Trotzdem. Sätze wie diesen will man aus vielerlei Gründen nicht lesen: „An diesem 3. Dezember, der für Claas Relotius mit einer E-Mail aus Arizona begann und sich mit dem Schulterklopfen hunderter Kollegen dem Ende neigte, war Claas Relotius zugleich der König seiner Branche, der größte Fälscher im deutschen Journalismus und in Gedanken bei mir.“

Das ist clever formuliert. Doch im Feinschliff der Pointe zeigt sich dasselbe Muster der Überhöhung, das schöner als die Wirklichkeit sein will und beim „Spiegel“ geradewegs ins Desaster geführt hat. Der Autor weiß sogar, was ein anderer gedacht haben soll. Das geht zu weit.

Schon der „Spiegel“-Star Ullrich Fichtner handelte sich mit seinem ersten Text zur Relotius-Affäre den Vorwurf ein, den Fall aus zu großer Nähe als ein Stück Literatur beschrieben zu haben. Eine nüchterne Analyse wäre besser gewesen. Befremdlich war auch die hemdsärmelige Art, mit der Steffen Klusmann als neuer Chefredakteur meinte, ihm sei es lieber, das Buch zum Relotius-Skandal schreibe „einer, der wirklich nah dran war“, als „irgendein Honk.“ Willkommen im Bunker. So tief verankert ist die Sehnsucht nach der „großen, berührenden Geschichte“, die sich aus der Nähe ergibt, dass selbst im Post-Relotius-Trauma noch an diesem trügerischen Qualitätsmerkmal unbeirrt festgehalten wird.

Glücklicherweise ist sich Moreno dieses Umstands bewusst. In seinem persönlich formulierten Rückblick geht er offen mit der prekären Situation um, in die ihn seine eigene Trotzigkeit gebracht hat, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er eigentlich nur um seinen Ruf kämpfte. Eine heroische Tugend ist das nicht. Aber es verhindert, dass seine Aufarbeitung zur Abrechnung wird. Man muss Moreno unbedingt zugute halten, die eigene Eitelkeit ebenso zur Sprache zu bringen wie die krankhaften Züge seines Gegenspielers. In dieser Geschichte gibt es keine Helden.

Auch Relotius war nie einer. Er geriet nicht auf Abwege, weil, wie er selbst behauptete, der Druck auf ihn zu groß geworden war. Er war ein stiller, scheuer Typ, mittelmäßig begabt, der seine Umwelt belog, weil er sie mit Geschichten beeindrucken konnte. Er erfand ohne Not eine krebskranke Schwester als Begründung dafür, dass er den ihm angebotenen Traumjob beim „Spiegel“ nicht annehmen könne. Das brachte ihm in der Redaktion den Titel „Der treue Claas“ ein. Noch nie hatten Kollegen einen so edlen Charakter erlebt. Moreno war ebenfalls wie geblendet: „Welcher Reporter gibt eine Woche vor der Frist ab?“, schreibt er über die gemeinsame Arbeit. „Relotius war also nicht nur brillant, beliebt und erfolgreich, er war auch noch unfassbar schnell. Ich klickte auf die angehängte Datei. Der Text erschien. Anders als ich, der das nie macht, hatte sich Relotius auch eine Überschrift überlegt: ,Showtime’.“

Einer, der die Unwahrheit zur Methode seiner Selbstprofilierung erhoben hatte, agierte im Zentrum einer Branche, in der es vor allem um Wahrheit geht. Wie konnte einem Blender das gelingen?

Das ist bei jeder Hochstapler-Geschichte der kuriose Aspekt. Nun, auch Banken werden überfallen, obwohl es Tresore, Überwachungskameras und Alarmsysteme gibt. Gegen einen raffiniert vorbereiteten Coup ist niemand gefeit. Dennoch bleibt die Frage nach der Schuld. Dass die Dokumentation des „Spiegel“ versagt hat, geschenkt. Sie wurde auch raffiniert getäuscht von einem, der schön früher hätte auffliegen können. Nein, Relotius wurde durch eine viel stärkere Macht als bloße Nachlässigkeit geschützt. Doch tut sich Moreno schwer mit einer Erklärung. Welche Faktoren innerhalb des "Spiegel" und in der Medienlandschaft mit ihrer Fixierung auf Journalistenpreise das Blendwerk dieses Einen gefördert haben, wird von ihm entlang der Argumente diskutiert, die von Anfang an kursierten. Relotius habe als ,Mann ohne Eigenschaften' eigentlich nur Erwartungen gespiegelt. Auch in seinen Texten. Sie gaben nur wieder, was man schon wusste. Seine Verklärungen wurden gefeiert, weil sie so schön ins eigene linksliberale Weltbild passten.

Sein Ressort, das „Gesellschaft“ heißt und die besten Reporter beschäftigt, habe sich von ihm „betrügen lassen“, meint Moreno. Es musste sich hervortun mit Stories, die seine Exklusivität untermauerten. Wie schwer dieser Anspruch zu erfüllen ist, begriff Relotius vermutlich nicht einmal. Er ließ es nicht schwer werden, denn nichts ist so einzigartig wie Fantasie.

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