zum Hauptinhalt
Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff, 52

© Ingo Pertramer/Kiepenheuer & Witsch

Krankheit und Literatur: Joachim Meyerhoffs Schlaganfall-Roman "Hamstern im hinteren Stromgebiet"

Im Echoraum der Sorge: Joachim Meyerhoff erzählt in „Hamster im hinteren Stromgebiet" von den Tagen im Krankenhaus nach seinem Schlaganfall.

Man muss dann doch noch einmal nach ganz vorn blättern, dahin, wo in einem Buch Autor und Titel auf einer extra Seite genannt werden, bevor es mit dem Text losgeht: Gehört dieser Joachim-Meyerhoff-Roman eigentlich in seine „Alle-Toten-fliegen-hoch“-Reihe, die 2007 am Theater begann und schließlich in Form von vier autobiografischen Romanen immens erfolgreich aufbereitet wurde?

Doch, ja, auch „Hamster im hinteren Stromgebiet“ (KiWi, Köln 2020. 307 S., 24 €.) zählt zu diesem Zyklus, der Roman wird als fünfter Teil gelistet. Aber er ist der spontanste, lange nicht mehr auf den Theaterabenden beruhende, gegenwärtigste Meyerhoff-Roman. Die Erinnerung, die willentliche, an eine mal mehr, mal weniger lang zurückliegende Vergangenheit, sie spielt zwar in diesem Band abermals eine Rolle. 

Nur bildet sie nicht wie in den vorherigen Teilen das poetologische Grundgerüst, sondern hat therapeutischen Charakter. Sie ist ein Anxiolytikum, um es medizinisch zu sagen, und dient dem Erzähler dazu, einige Nächte im Krankenhaus zu überstehen.

Der langjährige Burgschauspieler, der seit einem Jahr dem Ensemble der Berliner Schaubühne angehört, hat nämlich im Dezember 2018 in Wien einen Schlaganfall gehabt, in der linken Hälfte des Kleinhirns. Nun will Meyerhoff davon erzählen, so steht es in einem kurzen Prolog „wie es ist, wenn die Selbstverständlichkeit der Existenz von einem Moment auf den anderen abhandenkommt. Man eben noch das war und jetzt dies sein soll“.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's jetzt mit Tagesspiegel Plus. Jetzt 30 Tage kostenlos testen]

„Dies“ ist ein Mann, der von einer Minute auf die andere zum Notfall wird, der in Lebensgefahr schwebt, der auf fremde Hilfe angewiesen ist: zunächst auf die seiner 18-jährigen Tochter und zweier Rettungssanitäter. Sie sorgen dafür, energisch die Tochter, mürrisch die Sanitäter, weil gerade kein Platz frei ist, dass Meyerhoff so schnell wie möglich in eine sogenannte stroke unit gebracht wird. 

Denn um Zeit geht es bei Schlaganfällen, „Zeit ist Hirn“, wie es von den Schlaganfall-Notfallhilfen überall in Wien plakatiert wird.

Meyerhoff schildert diese ersten Stunden enorm spannend und rasant: die Fahrt ins Krankenhaus, in die Aufnahme, seine ratternden Gedanken, die schlaflose Nacht nach dem Ereignis: „Der Vaterheld hatte aufgrund von Hirnproblemen abgedankt und überließ der Tochter das Einsatzkommando“. Oder: „Tag und Nacht auf dem inneren Hochsitz hocken und Ausschau nach Symptomen halten. Das Innen als ewiger Echoraum der Sorge. Wobei das Absurde war, dass Katastrophe und Berichterstattung im selben Organ untergebracht waren.“

Meyerhoff ist immer am Anschlag, in einem "hyperaktiven Wirbel"

So wie Meyerhoff erzählt, hat das was Hypermotorisches, Übersprudelndes. Es entspricht seinem Charakter, wie er selbst häufig einräumt: immer am Anschlag, mitten in einem „hyperaktiven Wirbel“. Den Eindruck hat man selbst dann noch, da er nun, gerettet, mit einem Thrombolytikum behandelt, mit sich, der linken Körperseite, die nicht mehr so kann, wie er will, und seinen Gedanken allein ist.

Die Nächte aber sind lang, die Angst groß, dass es zu einem zweiten Infarkt kommt, und nach und nach nimmt Meyerhoff sein Anfangstempo raus und erinnert sich zurückliegender Reisen mit seinem Bruder nach Norwegen, mit seiner zweiten Frau Sophie in den Senegal und einer großen Patchworkfamilienreise nach Mallorca. Man spürt, dass Meyerhoff auch hier das Groteske, die Komik bewusst herausarbeitet, gerade die Senegal-Tour bietet sich da an. 

Trotzdem fallen diese Stücke aus der Krankenhauserzählung arg raus. Bei ihrer Lektüre sehnt man sich förmlich nach dem Neurologie-Setting, das wie geschaffen zu sein scheint für einen tragikomisch bewanderten Erzähler wie Meyerhoff: die Mitpatienten auf der Intensivstation, die Visiten des Arzttrosses, die Koordinationsübungen, die er machen muss, insbesondere den Finger-Nase-Versuch, die Besuche bei Logopädin und Ergotherapeutin, das erste Essen mit anderen, viel älteren Leidengenossen im Gemeinschaftssaal.

Das ist mitunter schreckliche Krankenhausalltagsrealität. Joachim Meyerhoff macht sie mit seiner Prosa zum Teil erträglich, weil er das Abseitige, das Absurde daran genauso erkennt wie er stets in sich selbst hineinschaut.

Der Roman lebt von der Situationskomik, von der Sprachkunst des Autors

Witzig ist es, wenn Meyerhoff die Mediziner-Poesie „ohne Stress und Kinkerlitzchen“ („Pat stabil“) auch in seinen Text einfließen lässt und sich fragt, „ob Pat wirklich so stabil war, wie es in unumstößlicher Kürze verkündet wurde“. Oder er über das titelgebende „hintere Stromgebiet“ sinniert, wie eins seiner Hirnareale bezeichnet wird. Oder er gewissermaßen Erscheinungen hat, veritable Geruchshalluzinationen beispielsweise. Nur weiß er nicht, ob das wirklich mit zum Insult-Geschehen gehört.

Weniger witzig, sondern streckenweise öde sind die Erlebnisse mit seinen Kindern, die Meyerhoff während der neun Krankenhaustage stetig in den Sinn kommen: von den Turnschuhtauschereien seiner ältesten Tochter über die Leidenschaften seiner zweiten Tochter (Slime, TikTok, griechische Mythologie) bis hin zu den Spielen mit dem vierjährigen Sohn.

Meyerhoff erinnert hier mehr an einen nicht besonders feinsinnigen Kolumnisten, an einen Vater, der zwischen Verständnis und Verständnislosigkeit schwankt und mit großen Augen eine andere Generation betrachtet. Das braucht kein Mensch mehr, das gehört eher ins überkommene Kolumnenwesen der nuller Jahre.

Andererseits gehören Passagen ohne schlagende poetische Funken natürlich mit in einen Krankenbericht, in dem geradezu naturgemäß Rückschau gehalten wird. So ein Lebensabschnittsroman lebt nun einmal von seiner Authentizität und trägt allgemeingültige Züge: Mit dem Schlaganfallpatienten Meyerhoff dürfte sich so mancher Patient, manche Patientin identifizieren.

Literarischen Weihen bekommt „Hamster im hinteren Stromgebiet“ durch die Überdrehtheiten von Meyerhoffs Prosa, durch seinen Sinn für Situationskomik, durch seine Sprachkunst. Unter keinen Umständen wollte der Autor zulassen, „dass der Schlaganfall mich sprachlos machte“, dieser ihm seine Gedanken raubt. Das hätte in Anbetracht des gerade Erlittenen ein frommer Wunsch sein können: Schlaganfallpatienten passiert genau das leider reihenweise, es kommt halt auf das beschädigte Areal im Hirn an.

Joachim Meyerhoff hat ein gewisses Glück im Schlaganfallunglück gehabt. Deshalb verzeiht man ihm den dezent ein Leben, ein Buch rundenden Kitsch am Ende. Nach der Entlassung, noch auf dem Weg nach Hause, öffnet er seinen Laptop und formuliert auf einer leeren Seite den Titel seines Romans.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false