zum Hauptinhalt
Klangästhet. Der Pianist Jan Lisiecki.

© Promo

Jan Lisiecki im Kammermusiksaal: Der Zauberer am Klavier

Einspringer mit magischen Fähigkeiten: der Pianist Jan Lisiecki spielt im Kammermusiksaal.

Störungen im Betriebsablauf können auch etwas sehr Erfrischendes, Befreiendes haben. Dann etwa, wenn Arcadi Volodos seinen Auftritt im Kammermusiksaal einen Tag vorher wegen Krankheit absagt und für Einspringer Jan Lisiecki auf die Schnelle natürlich kein fein ausgetüfteltes Programm zusammengezimmert werden kann. Also spielt der 24-Jährige Kanadier mit den polnischen Wurzeln das, was er gerade sowieso am Besten drauf hat. Frei aller dramaturgisch ziselierter Bezüge. Die Aufmerksamkeit fürs einzelne Stück ist eine ganz andere.

Es wird ein in seiner Perfektion fast unheimliches Konzert. Denn Lisiecki gehört zu den besten Pianisten seiner Generation. Igor Levit, der Intellektuelle, Daniil Trifonov, der Dämonische – und Lisiecki, der Ästhet. Er beginnt mit Bachs Capriccio „Über die Abreise des geliebten Bruders“, viel von Mendelssohn Bartholdy folgt und natürlich: Chopin. Was sofort auffällt, ist die Bandbreite, die Variabilität des Ausdrucks. Wie sich Lisiecki den charakterlich so verschiedenen Sätzen bei Bach anschmiegt: dynamisch, impulsiv, träumerisch-versponnen. Wie er immer noch ein neues Kaninchen aus dem Hut zieht, auf Basis einer unfassbaren Ruhe, die zur Voraussetzung wird für überschießende Emotionsspitzen. Das Konstruktive der Stücke gewinnt so eine ganz neue Transparenz, die Posthorn-Oktave etwa, auf der Bach seine finale Fuge aufbaut.

Bei Chopin kommt er schließlich ganz zu sich

Auch bei Mendelssohn – in den Liedern ohne Worte op. 67 oder den Variations sérieuse op. 54 – schlüpft der Zauberer Lisiecki quasi mit jedem Satz in eine neues Gewand, mal zartfüßig, mal mit einem Anschlag von diamantener Härte, im nächsten Augenblick hängen die Töne im Saal wie Glühwürmchen im nächtlichen Wald. Cut, ein Griff zum Schweißtuch – und sogleich findet er Eingang in eine völlig andere Welt, in die atemberaubende Sechzehntel-Kleinteiligkeit von Beethovens Rondo „Die Wut über den verlorenen Groschen“. Wie eine Spieluhr, souverän und geschmeidig, setzt Lisiecki die diversen harmonischen Verrenkungen des Themas in Klang um: glänzend. Voller charmanter Crescendi und Rubati schließlich die Valse-Caprice von Anton Rubinstein.

Es ist aber bei Chopin, in den Nocturnes von op. 27 und 62, wo Lisiecki ganz zu sich zu kommen scheint. Weil er das findet, was bei Chopin am schwersten ist: eine Haltung. Ein aufmerksames Existieren im Hier und Jetzt, jenseits überschäumender Brillanz und gestaltloser Sentimentalität. Schwebend die Rechte im Larghetto, sphärisches Flimmern, heiteres Erinnern. Dann wird der Klang bronzefarben – und ist auch schon vorbei. Voller Kantabilität die vierte Klavierballade, ein Genre, das Chopin überhaupt erst erfunden hat. Wie Lisiecki das alles quasi aus dem Arm schüttelt, natürlich auswendig gespielt, wie alles an diesem Abend: Das lässt einem noch im Schlussapplaus den Mund offen stehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false