zum Hauptinhalt
Der Goldene Löwe geht an Gianfranco Rosi für seinen Dokumentarfilm „Sacro GRA“.

© Reuters

Filmfest Venedig: Italien im Glück

Der Goldene Löwe geht an Gianfranco Rosis Dokumentarfilm „Sacro GRA“ – was am Lido mit Applaus und Buhrufen quittiert wurde. Auch Deutschland gewinnt, mit dem Spezialpreis der Jury für Philip Grönings „Die Frau des Polizisten“.

Darauf hatten die Italiener lange gewartet: Mit dem Golden Löwen für „Sacro GRA“ geht der Hauptpreis des 70. Filmfests Venedig erstmals nach 15 Jahren wieder an einen italienischen Film. Gianfranco Rosis Reportagefilm über den Stadtring von Rom, Italiens meistbefahrene Autobahn, ist nach Michael Moores „Fahrenheit 9/11“  der zweite Dokumentarfilm, der auf einem der großen internationalen Festivals den Sieg davonträgt. Höflicher Applaus im Palazzo del Cinema, Buhrufe bei der Live-Übertragung im Pressezentrum: Die Entscheidung der Jury unter Leitung von Bernardo Bertolucci wurde am Lido zwiespältig aufgenommen, denn das konventionelle Werk des in New York lebenden italienischen Regisseurs, Jahrgang 1964, hatte schon während des Festivals wenig Zustimmung gefunden.

Ein Rettungssanitäter, ein Neureicher in einem Kitsch-Palazzo, zwei Prostituierte, alte Fischerleute, die reichlich skurrilen Bewohner eines Hochhauses mit Sozialwohnungen, ein Botaniker, der die käferbefallenen Palmen am Autobahnrand erforscht: „Sacro GRA“ verschränkt Porträtszenen, ohne dass sich die Puzzleteile zum Gesamtbild fügen oder das Dokumentarfilmgenre um eine neue, ungewöhnliche Spielart bereichert wird.

Bertolucci, ein patriotischer Jury-Präsident? Auch die Coppa Volpi für die beste Darstellerin – Elena Cotta im Palermo-Film „Via Castellana Bandiera“ – holte Italien, was den Gästen im Palazzo del Cinema den bewegendsten Moment der Abschluss-Gala bescherte. Bei der Entgegennahme der Trophäe bedankte sich Elena Cotta nicht nur bei Regisseurin Emma Dante, sondern auch bei ihrem Ehemann, mit dem sie gerade ihre diamantene Hochzeit gefeiert hat. Eine dennoch wenig verständliche Entscheidung der neunköpfigen Jury, der unter anderem die Schauspielerinnen Martina Gedeck und Virginie Ledoyen angehörten: Judi Denchs überragendes Schauspiel als „Philomena“ ging leer aus. Stephen Frears’ Film nach der wahren Geschichte der Schottin Philomena Lee, die in Amerika ihren vor 50 Jahren von rigorosen katholischen Nonnen an Adoptiveltern verkauften Sohn sucht, war beim Publikum wie der Kritik der Festival-Favorit. Er gewann jedoch lediglich den Drehbuchpreis.

Ein pikanter Moment bei der Löwen-Vergabe: Die Autoren Jeff Pope und Steve Coogan, der außerdem die männliche Hauptrolle des Philomena begleitenden Journalisten spielt, ließen sich vertreten. Sie sind gerade auf dem Filmfest Toronto, wo „Philomena“ ebenfalls Premiere feiert. Venedigs Festivalchef Alberto Barbera hatte sich im Vorfeld über die verschärfte Konkurrenz mit Toronto beklagt, obwohl es in Kanada keinen Wettbewerb gibt, hatte ihm das Festival mehrere Wettbewerbs-Kandidaten abspenstig gemacht.

Mutiger zeigte sich die Jury bei den übrigen Auszeichnungen, die an die  kompromisslosesten Arthouse-Produktionen unter den 20 Wettbewerbsfilmen gingen: Regie- und Darstellerpreise verlieh sie an Alexandros Avranas’ griechisches Familiendrama „Miss Violence“ mit Themis Panou, den Großen Jury-Preis sprach sie Tsai Ming-Liangs „Stray Dogs“ aus Taiwan zu, den Nachwuchsdarstellerpreis Tye Sheridan in David Gordon Greens „Joe“. Und den Spezialpreis der Jury erhielt Philip Grönings Drei-Stunden-Studie über häusliche Gewalt „Die Frau des Polizisten“. So kann auch Deutschland sich freuen: Der stark stilisierte Drei-Stunden-Film mit 57 durch Schwarzblenden getrennte Episoden aus dem Alltag einer Kleinfamilie in der Provinz war der meistdiskutierte Beitrag des Festivals und der einzige Wettbewerbsfilm made in Germany. Schöne Parallele: Vor 15 Jahren, als Gianni Amelio mit „Cosi ridevano“ den Löwen gewann, war die einzige deutsche Wettbewerbskonkurrenz leer ausgegangen – Tom Tykwers „Lola rennt“.

Im Nebenwettbewerb „Orrizonti“ zeichnete deren Jury unter Leitung von Paul Schrader Robin Campillos „Eastern Boys“ mit dem Hauptpreis aus, einen Film über Straßenjungs aus Osteuropa am Pariser Gare du Nord. Für die beste Regie wurde Uberto Pasolini geehrt, in „Still Life“ erzählt er von einem Beamten, der sich um die Bestattung von Toten ohne Angehörige kümmert. Den mit 50.000 Euro dotierten Erstlingsfilm-Preis erhielt Noaz Deshe für „White Shadows“, einen Film über verfolgte Albinos in Tansania.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false