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Weiße Pracht. Isaac Juliens Video- installation „True North“ entstand 2004.

© Courtesy of the artist and V. Miro, London/Venice

Akademie der Künste: Ist da was oder ist da nichts?

Die Akademie der Künste zeigt in einer Ausstellung die Farbe Weiß in allen denkbaren Variationen.

Fast wirkt es wie ein Wettstreit der Maler. Auf wessen Bild ist am wenigsten zu sehen? Zwei quadratische Leinwände häntgen nebeneinander, in „Two Whites“ setzt der amerikanische Künstler Ellsworth Kelly 1959 eine weiße Raute in des weiße Quadrat, die Flächen unterscheiden sich nur in Farbnuancen voneinander und in der sichtbaren Führung des Pinsels. Robert Ryman, Spezialist für die Farbe Weiß, verzichtet zwölf Jahre später ganz auf die Strukturierung mit dem Pinsel, lässt aber die Befestigungen auf der weißen Fläche sichtbar werden.

Karin Sander schließlich pfeift auf alles, auf Pinselstrich, Gewebemaserung, Bildträger. Sie poliert die weiße Wand des Ausstellungsraums so lange bis sie spiegelt. Kein Weiß gleicht dem anderen oder wie der Dichter Eugen Gomringer schreibt: „wie weiss ist wissen die weisen“.

Wie entsteht aus der Leere, aus dem Weiß, aus der Stille ein neuer Anfang? Wie gestalte ich aus der vermeintlichen Unmöglichkeit eine Fülle von Spielräumen? Bei diesem herrlichen Ausstellungsthema kann man von der Kunst fürs Leben lernen. „nothingtoseeness – Leere/Weiß/Stille“ lautet der Titel der Ausstellung in der Akademie der Künste. Er bezieht sich auf eine Wortschöpfung des Komponisten John Cage. Dessen Stück „4'33“ entfachte 1952 bei der Uraufführung mit dem Pianisten David Tudor noch den Zorn der Zuhörer. Während des Konzerts war nämlich nur die Unruhe des Publikums zu hören, sonst nichts, kein einziger Ton.

Mit „nothingtoseeness“ meinte Cage das Pendant der Stille in der Kunst: die Leere. Heute, in Zeiten der Reizüberflutung, ist das Thema der weißen Monochromie weniger provozierend, sondern eher vergnüglich. Auch wenn sich John Cage möglicherweise über dieses Wort geärgert hätte.

Die Kuratoren Wulf Herzogenrath und Anke Hervol entwickeln das Thema aus der Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Leider konnte keines von Robert Rauschenbergs „White Paintings“ ausgeliehen werden, die der Komposition von John Cage voraus gingen. Dafür ist die verschmitzte Antwort von Nam June Paik „Zen for Film“ von 1962/64 zu sehen. Da rattert ein Klarfilm als Schleife durch den Projektor. Die Bilder in den leeren Lichtfenstern an der Wand muss sich das Publikum selbst vorstellen. Der Film entsteht im Moment des Betrachtens.

Der Kreis der Ausstellung schließt sich am Ende versöhnlich

Die Leere, das Weiß, die Stille klären den Blick und weiten die Sinne. Die weißen Werke fordern aber auch eine erhöhte Achtsamkeit. Sonst übersieht man die bauchige Wölbung in Gotthard Graubners weißem Farbkissen, sonst verpasst man die weiße Wolke, die im Garten aus der „Wolkenmaschine“ von Reiner Maria Matysik aufsteigt und sich verflüchtigt. Sonst läuft man an den fast durchsichtigen Fotos von Nina Schuiki vorbei, die verblassende Schatten festhalten. Oder man verwechselt die Skulptur „Condensation Cube“ von Hans Haacke mit dem Gerät zur Kontrolle des Raumklimas. Da verwandeln sich Wasserperlen an der Wand eines Plexiglaswürfels in Nebel.

[Akademie der Künste, Hanseatenweg, bis 12. Dezember, dienstags bis sonntags von 11 – 19 Uhr.]

Die Provokation hat sich im Lauf der Jahre verlagert. Über Lucio Fontanas aufgeschlitzte Leinwand kann sich heute wohl kaum mehr jemand aufregen. Irritation löst höchstens aus, dass sich die meisten Arbeiten einer Abbildung im Internet verweigern. Im Netz verlieren die weißen Werke ihre Tiefe.

Eine Ausnahme bildet der Videofilm „Weiße Folter“ von Gregor Schneider. Da fährt die Kamera durch ein Labyrinth von glänzend weißen Gängen, deren Vorbild das Gefangenenlager Guantanamo ist. Das aggressive Weiß lässt den Blick abprallen. Der Entzug sinnlicher Reize zersetzt die Integrität der Persönlichkeit. Das lässt sich auf dem Bildschirm problemlos nachvollziehen.

Am Ende der Ausstellung schließt sich der Kreis versöhnlich. Olafur Eliasson empfindet die Monochromie als offen und gastfreundlich. Er folgt ihrer Einladung und zeichnet freihändig Kreise auf das weiße Blatt. Schon Robert Rauschenberg beschrieb seine „White Paintings“ als den Punkt, an dem der Kreis „zu enden beginnt“. Da wagt die Ausstellung über Leere/Weiß/Stille doch noch einen Blick ins Nichts.

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