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Der Literaturkritiker Denis Scheck.

© picture alliance / Rolf Vennenbernd / dpa

Isabel Allende, Matthias Brandt, Rafik Schami: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Einmal monatlich bespricht der Literaturkritiker die „Spiegel“-Bestsellerliste - parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal: die Rubrik Belletristik.

10. Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (Hanser, 431 S., 26 €)

Dass die Bibel an 72 Stellen zur Gewalt aufruft, und damit mehr als der Koran, lässt sich aus diesem auch sonst sehr einsichtsreichen Krimi über ein Verbrechen in einem verbrecherischen Staat erfahren.

9. Axel Hacke: Wozu wir da sind (Kunstmann, 240 S., 20 €)

Der Schreiber einer Nachrufseite wird gebeten, einer hochbetagten Freundin eine Rede zum Geburtstag zu halten, was ihm zum Anlass wird, anekdotisch verschiedene Lebensentwürfe aus seinem Umfeld Revue passieren zu lassen.

8. Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse (Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Hanserblau, 461 Seiten, 22 €)

Ein Schmöker, aber einer mit literarischer DNA: zu einem Drittel Krimi, zu einem Drittel Entwicklungsroman und zu einem Drittel Nature Writing. Die 70-jährige Zoologin Delia Owens erzählt in ihrem ersten Roman von einem jungen Mädchen, das allein in den Sümpfen North Carolinas aufwächst. Ein Debüt, das durch unvergessliche Naturschilderungen besticht.

7. Isabel Allende: Dieser weite Weg (Deutsch von Svenja Becker, Suhrkamp, 381 S., 24 €)

Gut gemeinter, aber schlecht gemachter Politkitsch, geografisch angesiedelt zwischen Francos Spanien und Chile unter Präsident Allende, literarisch zwischen Simmel und Pilcher.

6. Matthias Brandt: Blackbird (Kiepenheuer & Witsch, 288 S., 22 €)

Die Bundesrepublik des Jahres 1977. Morten ist 15, seine Eltern lassen sich scheiden und sein bester Freund stirbt am Non-Hodgkin-Lymphom, am Ende bleibt eine Urne mit seiner Asche. Spieluhrenhafte Literatur zieht spieluhrenhafte Kritik nach sich.

Daher: Das liest sich recht kurzweilig, verstimmt aber durch seine sehr formelhafte, mechanische und vor allem kalkulierte Konstruktion, und drückt für meinen Geschmack obendrein zu sehr auf die Tränendrüse.

5. David Lagercrantz: Vernichtung (Deutsch von Susanne Dahmann, Heyne, 429 S., 22 €)

Noch mehr Politkitsch, diesmal in der skandinavischen, politisch korrekten Thriller-Fassung. Außerdem kann man an diesem Zombiebuch studieren, was passiert, wenn sich gierige Erben und Auftragsschreiber über die Figuren eines toten Bestsellerautors wie Stieg Larsson hermachen.

4. Ildikó von Kürthy: Es wird Zeit (Wunderlich, 384 S., 20 €)

Die Bundesrepublik unserer Gegenwart. Die Erzählerin trennt sich von ihrem Mann, einem Zahnarzt, und ihre beste Freundin stirbt an Krebs, am Ende bleibt eine Urne mit ihrer Asche. Spieluhrenhafte Literatur zieht spieluhrenhafte Kritik nach sich. Daher: Das liest sich recht kurzweilig, verstimmt aber durch seine sehr formelhafte, mechanische und vor allem kalkulierte Konstruktion und drückt für meinen Geschmack obendrein zu sehr auf die Tränendrüse.

3. Ursula Poznanski: Erebos 2 (Löwe, 512 S., 19,95 €)

Geheimdienste arbeiten längst mit den Mitteln, die die Künstliche Intelligenz Erebos in diesem Buch einsetzt, um die Spieler eines Computerspiels zu manipulieren: Kontrolle und fortlaufende Ortung, Abhörung, gefälschte Nachrichten aller Art, Desinformation.

Besonders gut gelingen Poznanski die Schilderungen, wie die virtuelle Wirklichkeit des Spiels die reale erfasst, wie das Smartphone plötzlich zum Feind wird. Was Stephen King in den 80ern der Horrorclown „Es“ war, sind Ursula Poznanski die Displays unserer Rechner. Ihr gelingt ein spannendes Jugendbuch mit hoher Technikaffinität – kein geringes Kunststück. Natürlich ist das literarisches Junk Food, aber auf erfreulichem Niveau.

2. Jo Nesbø: Messer (Deutsch von Günther Frauenlob, Ullstein, 576 S., 22 €)

Ein unerträglich ausgewalzter norwegischer Gewaltporno, schon der zwölfte um den Ermittler Harry Hole, der in diesem Buch in Alkohol und Selbstmitleid zerfließt. In Nesbøs literarischem Kosmos reden Töchter, die gerade ihre Mütter erstochen haben, so über diese: „Hasse diese Scheißhure! Ich hätte noch öfter zustechen sollen, ich hätte ihr das Gesicht zerfetzen sollen, auf das sie so verflucht stolz war.“

Es wäre eine schöne Geste vom Gastland Norwegen, einen Container auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse aufzustellen, wo man diesen Mist klimafreundlich entsorgen kann. Fressen Lachse eigentlich Bücher?

1. Rebecca Gablé: Teufelskrone (Lübbe, 928 S., 28 €)

„Meine Brüder zu lieben fällt mir wesentlich leichter, wenn sie tot sind“, lässt Rebecca Gablé Prinz John in ihrem historischen Roman sagen. Diese Figur – der abgründige, versoffene und gewalttätige Bruder von Heinrich Löwenherz – gelingt ihr besonders gut in ihrem zwar konventionell, aber sorgfältig gebauten Schmöker.

Nach der Lektüre der 926 Seiten fühlt man sich zwar wie nach drei Tagen im Sattel, hat dafür aber einen lebendigen Einblick in die Welt des 13. Jahrhunderts genommen.

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