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Colin (Christopher Abbott) dient als Wirtskörper für die Killerin.

© Kinostar

Ein Horror der anderen Art: In „Possessor“ lebt der Killer im eigenen Körper

Im Sci-Fi-Film übernimmt eine Auftragskillerin andere Menschen. Doch die Frage, wer Kontrolle über wen hat, ist irgendwann nicht mehr so einfach zu klären.

Die Zukunft sieht alt aus in „Possessor“. In Leder gehüllte Gerätschaften, Staub auf den Schaltern, überall Schläuche, Knöpfe. Auch die Apparatur, in die sich Tasya (Andrea Riseborough) legt, wirkt mit ihrer vogelartigen Maske wie Science-Fiction-Design von gestern.

Dabei erfüllt sie einen Zweck, der momentan noch außerhalb des Machbaren für die Wissenschaft liegt: Die Maschine transferiert Tasyas Geist in einen anderen Körper. Sie entert den Wirt, um Unheil anzurichten - denn Tasya ist eine Auftragsmörderin.

Regisseur und Autor Brandon Cronenberg erklärt, ihm habe als Schauplatz ein alternatives Toronto des Jahres 2008 vorgeschwebt. Ein Paralleluniversum, in dem die Technik weniger digital wirkt, und die Menschen E-Zigarette rauchen. Wer jetzt denkt: „Science Fiction, Kanada, Cronenberg – war da nicht mal was?", hat recht. Brandon ist der Sohn von David Cronenberg, dem Vermessungsmeister des Körperhorrors.

Wie sein Vater nutzt der 41-Jährige das Genre als Ausgangspunkt, um philosophische und psychologische Subtexte zu verhandeln. In seinem zweiten Film kommt noch eine Prise Kapitalismuskritik hinzu, denn die Killerin handelt im Auftrag eines Konzerns mit brutalem Expansionsdrang.

Der Boss eines anderen Unternehmens (Sean Bean) steht auf der Abschlussliste. Dafür muss Tasya in den Körper von Colin (Christopher Abbott) eindringen. Der ist einerseits Angestellter in der Firma des Opfers, andererseits mit dessen Tochter (Tuppence Middleton) verbandelt. Doch beim Transfer läuft etwas schief: Colins Geist ist widerständiger als erwartet. Bald schon ist nicht mehr klar, wer hier die Kontrolle über wen hat.

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Cronenberg Jr. inszeniert dieses Ineinander der Seelen als einen kalten Strudel der Bilder. Erinnerungen blitzen durcheinander, dazwischen albtraumhafte Visionen: Wie aus Wachs zerrinnen Körper und Gesichter, morphen zusammen, brechen auseinander. Der Regisseur verzichtet auf CGI-Effekte, das Sichtbare bekommt dadurch eine unangenehm haptische Qualität: eine weitere Parallele zum Kino seines Vaters.

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Der hat 1999 mit „eXistenZ“ eine ähnlich Idee. Darin dringt eine Videospiel-Designerin in die von ihr geschaffene virtuelle Welt ein, um einen Fehler im System zu beheben – und weiß bald nicht mehr, wo die Realität aufhört und das Universum des Spiels beginnt. In der Hauptrolle damals: Jennifer Jason Leigh. Sie spielt in „Possessor“ nun Girder, die Auftraggeberin Tasyas.

Es ist nie klar, von wem die Bedrohung ausgeht

Girder gibt sich alle Mühe, die letzten menschlichen Regungen in ihrer Lieblingskillerin zu beseitigen. Tasya hat zwar noch einen Ehemann und einen Sohn, doch bevor sie von einem Auftrag heimkehrt, muss sie die Wiedersehensfreude erst einmal einstudieren. „Hi Darling“, murmelt sie immer wieder, während sie vor ihrem Reihenhaus an der E-Zigarette zieht.

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Vieles funktioniert in „Possessor“ anders als im klassischen Horrorfilm, auch die Angst. Tasya ist keine Figur, mit der man sich identifiziert. Gleichzeitig bleibt man auch zu Colin, ihrem Wirt, emotional auf Abstand. So ist nie klar, von wem hier die Bedrohung ausgeht. Stattdessen macht sich eine Beunruhigung breit. Daran hat auch die knallige Gewalt des Films ihren Anteil, sie übertönt die leiseren Untertöne nachhaltig.

Cronenberg misst die Grenzen der Körper aus, durchbricht sie wiederholt, nicht nur auf dem Weg der maschinellen Seelenwanderung. Mit Büffetmesser, Schürhaken und Küchenbeil nimmt Tasya ihre Opfer auseinander. Wie die Kamera dabei förmlich in die Wunden hineinkriecht, verleiht „Possessor“ auch einen pathologischen Zug. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier ein junger Regisseur mit Nachdruck das Kino des Vaters zu überflügeln sucht. Zumindest in Bezug auf die Brutalität der Bilder gelingt ihm das.

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