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Der Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker

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Deutscher Buchpreis: Kaiser-Mühlecker-Roman "Fremde Seele, dunkler Wald": In die Enge geht alles

„Fremde Seele, dunkler Wald“: Der Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker setzt die Reihe seiner schön aus der Zeit gefallenen Heimatromane fort.

Heimatromane sind gemeinhin nicht das, was der Literaturbetrieb goutiert. Dennoch schafft es der 1982 im oberösterreichischen Traunviertel geborene und in dem 2500-Seelendorf Elberstalzell aufgewachsene Reinhard Kaiser-Mühlecker seit 2008 immer wieder, mit seinen, wie es gerne heißt, aus der Zeit gefallenen Romanen die Kritik zu verblüffen. Seine Figuren, die so ungelenk in der Landschaft stehen wie ihre Sprache, scheinen dem 19. Jahrhundert entsprungen, am liebsten fühlt man sich an das Personal von Adalbert Stifter erinnert, nur dass sich dieses mit der Welt einverstandener erklärte.

In einem Örtchen wie Elberstalzell spielt auch Kaiser-Mühleckers Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“, der vor kurzem auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelangte. Wie schon der Titel vermuten lässt, kommt er so entrückt daher wie seine Vorgänger. Die Geschichte der beiden ungleichen Brüder Alexander und Jakob, Bauernsöhne, hätte sich auch anders entwickeln können, wenn nicht die Umstände gewesen wären: „Daran zeigt sich der Charakter“, ist der Großvater überzeugt, „ob die Umstände einen verändern oder nicht.“

Der leutselige Alexander kehrt dem Dorf den Rücken. Er wird Zögling des Stiftgymnasiums, doch seine Priesterkarriere scheitert an einem amourösen Zwischenfall, den er als Erwachsener, inzwischen unter den Schutzschirm des militärischen Korpsgeists geschlüpft, wieder erinnert. Seine Zeit schlägt er bei Auslandseinsätzen tot, während der gerade 17-jährige wortkarge Jakob, Bauer aus Leidenschaft, den elterlichen Hof am Laufen hält. Um den allerdings steht es schlecht, weil der Vater Acker für Acker verkauft, um seine fantastischen „Investments“ zu realisieren. Geld aus dunklen Quellen besitzt nur der Großvater, und der hockt darauf wie „Uli der Knecht“ bei Jeremias Gotthelf.

In dieser verkapselten Welt bricht nur der Tratsch das lastende Schweigen auf. Eine Pleite, ein Suizid oder der Axtmord an der Bäckersfrau erhöhen die Zirkulation der Gerüchte und damit den Bewegungskreislauf des Sozialen. Die Kirche spielt keine große Rolle mehr im Dorf, dagegen eine von einer „Berufenen“ ins Leben gerufene Sekte, in der die Außenseiter und Verzweifelten ihr Gruppenerlebnis finden.

Kaiser-Mühlecker umkreist die Schuldzusammenhänge in einer engen dörflichen Gemeinschaft.

Als Alexander auf den Hof zurückkommt, hat Jakob mit Nina angebandelt. Er liebt sie nicht, dennoch stolpert er in eine Ehe und wird Vater. Aber „nichts reichte an ihn heran, als hätte nichts mehr etwas mit ihm zu tun“. Aus der Nicht-Liebe wird harsche Abneigung, selbst das Kind lehnt er ab. Jakob fühlt sich mehr und mehr „umstellt“.

Der bindungsscheue Alexander seinerseits wechselt ins Verteidigungsministerium in Wien. Erst der Verlust seiner Affäre Lilo, der Frau seines Vorgesetzten, macht ihn zu einem ewig wartenden, stillen und scheuen Mann. Die Ehe von Jakob indessen zerbricht, als ein Jugendfreund Selbstmord begeht. Aber auch der Tod des Großvaters bringt ihm keine Erlösung, denn die Großmutter vermacht das Geld am Ende lieber der „rechten Partei“, sodass es wieder dorthin geht, wo es hergekommen ist, wie der Vater konstatiert: „das einzig Richtige“.

Wie in seinen früheren Romanen umkreist Kaiser-Mühlecker die Schuldzusammenhänge in dieser unentrinnbar engen dörflichen Gemeinschaft. Die „Bewegung nach vorne“, die Alexander mit seinem Ausbruch anstrebte, fällt zusammen „wie ein Kartenhaus“. Und auch für Jakob scheint es keine Lösung zu geben. Sein dahintreibendes Leben ist wie der Sommer „allzu kühl und wie nicht recht gewesen“.

Solche den seelischen Aggregatszustand der Protagonisten ausleuchtenden Bilder über die Landschaft oder das Wetter gehören zur großen Stärke dieses sich an keinen modischen Duktus anschmiegenden Autors. Wie der „Himmel aus Eisen“ wölben sie sich über die kleine Erinnerungswelt der Figuren, deren Sprachlosigkeit schmerzt und deren verlangsamte Rede doch so sprechend ist: „Das alles ging eigentlich in eine Leere“, heißt es an einer Stelle.

Das erinnert an eine berühmte Sentenz einer anderen Heimatchronistin, Marieluise Fleißer, die schrieb: „In die Enge geht alles.“ Kaiser-Mühlecker stelle, hat Peter Hamm seinem Schriftstellerkollegen einmal treffend attestiert, die „Sprachscham“ seiner Protagonisten aus.

Um dieser Enge zu entkommen, begehen die einen Selbstmord, die anderen flüchten ins gemeinschaftliche Gebet in der Sekte und wieder andere wie Luisa, die nach Schweden geflogene Schwester, scheitern in der Ferne. Über diese menschlichen Dramen hinaus jedoch lässt sich der Roman auch als Betrachtung lesen über die stillstehende und vergehende Zeit und über den Aufschub, der am Ende schuldig macht.

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016. 300 Seiten, 20 €.

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