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Als die Bravo tonangebend war und rebellische Bands präsentierte. Die Rolling Stones am 15. September 1965 in der Berliner Waldbühne, kurz vor Abbruch des Konzerts.

© imago

"Jugend Pop Kultur" von Bodo Mrozek: In den Höllen der Jugend

Bodo Mrozek erzählt in „Jugend Pop Kultur“ die Geschichte des Pop und seiner transnationalen Entwicklung in den Jahren 1956 - 66.

Laut der Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ war es „eine blutige Schlacht“, die da am 26. Oktober 1958 im Sportpalast in der Potsdamer Straße stattgefunden hatte. Schon vor dem Konzert des Rock’n’Roll-Königs Bill Haley, des „Massenaufpeitschers“, wie der „Spiegel“ ihn bezeichnete, hatten sich einige hundert Jugendliche ohne Karten gewaltsam Einlass verschafft; und während des Auftritts der Vorgruppe, der Jazz-Band von Kurt Edelhagen, war ein Teil aus den vorderen Reihen des 7000 Menschen zählenden Publikums auf die nur unwesentlich erhöhte Bühne gestürmt, um Edelhagen und seine Band zu vertreiben und Haleys Auftritt zu forcieren. Aber auch Bill Haleys Show ging in Tumulten unter. Nach knapp vierzig Minuten wurde sie abgebrochen, und dann „war die Hölle los“, wie die „B.Z.“ berichtete: „Tausende drängten mit Schlagwaffen in den Händen auf die Bühne. Sie schoben die Saalordner vor sich her und versuchten, die Künstler-Garderoben zu stürmen. Mit Wasserfontänen aus zwei Feuerwehrschläuchen mussten Haley und seine Musiker geschützt werden.“

Der Historiker Bodo Mrozek schildert in seinem Buch „Jugend Pop Kultur“ dieses Konzert und seine Begleitumstände unter der Überschrift „Die Kriminalisierung der internationalen Tournee“. Nach der Haley-Tour durch die Bundesrepublik dominierten nicht nur die Krawalle die Berichterstattung. Die Tage danach diskutierte man in Politik und Medien auch darüber, ob es nicht sinnvoller sei, solche Veranstaltungen gänzlich zu verbieten. Was sich in den folgenden Jahren wiederholen sollte, in England, Frankreich, Belgien, den USA und in den beiden deutschen Staaten: Während der Konzerte von Bands, die Rock’n’Roll, Twist oder Beat spielten, gab es Ausschreitungen und im Anschluss öffentliche Diskussionen und gegenseitige Schuldzuweisungen von Politik, Polizei und Veranstaltern.

Tom Wolfe prägte 1963 den Begriff´ "Pop Society"

Es muss eine turbulente Zeit gewesen sein, bevor es mit dem Pop in den sechziger Jahren richtig losging – und lange bevor der Punk durchbrach und für ganz neue Turbulenzen sorgte. Bodo Mrozek nimmt diese Zeit genau in den Blick, die Jahre 1956 bis 1966, das „ungerade Jahrzehnt“, wie er es nennt, in welchem seinen Worten nach „die Lebensphase Jugend weiter ausdifferenziert, internationalisiert, medialisiert und mit neuen Inhalten gefüllt wurde und sich eine zunehmend altersunabhängige Kultur herausbildete, die schon die Zeitgenossen als ’pop society’ beschrieben.“

Nun sind Dekaden und das, was in ihnen auf gesellschaftlichen und politischen Ebenen passiert, Konstrukte. Sie sind nie mit dem Ende eines Jahrzehnts abgeschlossen. Auch war Pop in den fünfziger und frühen sechziger Jahren kein über die Maßen geläufiger Begriff. Obwohl es die Pop-Art als Kunstströmung gab oder der von Mrozek zu Beginn seines Buches zitierte Journalist und Schriftsteller Tom Wolfe 1963 den Begriff der „pop society“ prägte, gab es nur wenige Menschen, die von „Pop“ sprachen. Trotz solcher kleinerer Einwände ist Bodo Mrozeks Buch eine verdienstvolle Unternehmung, deren eines Hauptaugenmerk auf der Jugend und ihrer neu entstehenden angeschlossenen Kultur und Subkultur liegt.

Als eigener Lebensabschnitt hatte sich Jugend überhaupt Mitte des 20. Jahrhunderts erstmals etabliert. Zwischen Kindheit und Erwachsensein lag das Teenage, das die Entwicklung und den Siegeszug der Popkultur gerade in den westlichen Gesellschaften entscheidend mitbestimmte. Erstmals formierte sich hier mit den Teens und Twens eine Gruppe mit eigener Moral und eigenen Vorstellungen, in Abgrenzung zur Welt der Altvorderen. Was naturgemäß zu Konflikten führte, wie allein die Begriffe aus dem „Spiegel“ über das Bill-Haley-Konzert anzeigen, von „Veitstanz-Fanatiker“ über „Radau-Knilche bis „Halbstarken–Exzesse“.

Immer wieder kam es zu Krawallen nach Konzerten

Ausführlich beschäftigt sich Mrozek mit der „juvenilen delinquency“, dem Abweichlertum der Teenager, mit der Jugend als naturgemäßer Opposition, die oft skandalisiert, mitunter kriminalisiert wird. Im Zeitabschnitt dieses frühen Pops kristallisierten sich ständig Moden, Musikstile, Körperhaltungen und Szenen wie die der Teddy Boys, der Mods oder der Rocker neu heraus. Und gleichzeitig kam es immer wieder zu Krawallen: zum Rock’n’Roll-Riot 1958 in Boston, den Notting-Hill-Riots in London 1958, den Schwabinger Krawallen 1962 oder der „Nuit de la Nation“, als 1964 in Paris zu einem Prä-Woodstock-artigen Gratiskonzert statt der erwarteten 40 000 rund 150 000 Menschen strömten. Die Diskussionen danach ähnelten sich, weshalb Bodo Mrozek nach den Tumulten während des legendären Stones-Waldbühnen-Konzerts konstatiert: „Die Debatte um das Westberliner Rolling-Stones-Konzert reflektierte die Konflikte anderer Staaten und internationalisierte gewissermaßen die Polizeitaktiken.“

Mrozek versucht die Geschichte dieses Erstarkens der Jugend- und Popkultur vor allem auch als globale zu erzählen: als transnationale Geschichte, wie es im Untertitel heißt. Die Kriminalisierung der Jugend in diesen Jahren gehört dazu genauso wie das Aufkommen neuer Medien, von neuen, auf die Teen-Generation zugeschnittenen Formaten im Radio, Fernsehen und auf dem Zeitschriftenmarkt. In England gab es „Mirabelle“, „Boyfriend“ oder „Jackie“, später „Rave“ und „The Mod´s Monthly“, in Frankreich „Salut les Copains“ und in der Bundesrepublik die „Bravo“: Dabei beeinflussten sich Letztere gezielt gegenseitig mit Themen: „Liest man Bravo und SLC parallel“, so Mrozek, „deutet einiges darauf hin, dass durch das grenzüberschreitende ’Lifting’ von Themen und journalistischen Formaten transnationale Synergien hergestellt wurden.“

Was nicht zuletzt die DDR miterfasste, wie Mrozek darlegt. So gab es auch hier den Jugendproblemfilm, ließ die SED einen Radiosender wie DT 64 für die Jugend an den Start gehen, gründeten sich insbesondere in Leipzig zahlreiche Beat-Bands. Natürlich wurden viele der Pop-und Rock’n’-Roll-Entwicklungen zu keinem Massenphänomen. Im kleineren Maßstab aber stellten sie sich nicht so viel anders dar als im Westen. Die innerdeutsche Grenze war popkulturell nicht undurchlässig.

Mrozeks Buch ist auf der Höhe des Pop-Diskurses

Manchmal wird man von dem Material, das Mrozek zutage gefördert und geordnet hat, schier erschlagen; das Buch hat über 700 Seiten, einige zur Hälfte mit Fußnoten gefüllt. Bisweilen aber hat dieser ausführliche Streifzug durch die frühen Jahre des Pops seinen ganz eigenen Charme: Es gibt zum Beispiel Bilder von der „Elvis-Kernseife“ oder von Filmplakaten wie „Berlin-Ecke Schönhauser“ oder „Die Halbstarken“; Mrozek betreibt Typenkunde, charakterisiert „Halbstarke“ oder „Eckensteher“ oder widmet ein ganzes Kapitel den Haarmoden. Oder er erklärt, wie die DDR neuen, vom Westen herüberschwappenden Tanzstilen wie eben dem Rock’n’Roll, dem Boogie-Woogie oder dem Swing mit dem selbst kreierten „Lipsi“ begegnen wollte, der auf dem Walzer aufbaute und „anständig“ und „unamerikanisch“ sein sollte. Was sofort Spott auf sich zog: „Wir brauchen keinen Lipsi und keinen Alo Koll“, skandierte die DDR-Jugend, „wir brauchen Elvis Presley mit seinem Rock’n’Roll“. (Alo Koll war ein Kapellmeister und Schlagerkomponist aus Leipzig.)

Mrozeks Buch hat den Anspruch einer gewissen Vollständigkeit. Es ist auf der Höhe der Pop-Diskurse, von Jon Savage über Diedrich Diederichsen bis zu Mark Greif, dabei betont weniger thesenstark als vielmehr der historischen Sache verpflichtet und sich als „Beitrag zur Konturierung von Popgeschichte“ verstehend. Durch den gewachsenen zeitlichen Abstand, durch einschneidendere Pop-Ereignisse wie 68, Punk oder Techno mit neuen Sounds, Bildern und Körpersprachen ist diese Wiege des Pop zunehmend aus dem Blickfeld und fast ins Vergessen geraten; Bodo Mrozek rückt sie wieder näher an die Pop-Gegenwart, die inzwischen bekanntlich komplett generationsübergreifend geworden ist. „Jugend“ war mal ein Privileg, Ausdruck von Protest, Rebellion und Verweigerung, wie Mrozek deutlich macht; heute sind alle jugendlich – und der Pop in die Jahre gekommen.

Bodo Mrozek: Jugend Pop Kultur. Eine transnationale Geschichte. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 866 Seiten, 34 €.

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