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Kultur: Im Unterholz

Die kleinen Großen (1): Wo die Mächtigen auf die Pirsch gingen. Besuch im Jagdschloss Schorfheide

In Berlins Umgebung gibt es zahlreiche Museen mit ungewöhnlichen Sammlungen: Anlass für sommerliche Tagesreisen zu den „kleinen großen“ Kunst- und Ausstellungshäusern. 2010 stellten wir den Ziegeleipark Mildenberg, das Schloss Friedenstein in Gotha, das Leipziger Grassimuseum und das Kunstmuseum Cottbus vor. Dieses Jahr geht es zum Auftakt in die Schorfheide.

Fest draufhauen! Noch fester! Der braunlederne Boxsack braucht einen kräftigen Knuff, dann fluten die Lautsprecherboxen das Max-SchmelingKabinett mit Wettkampfgejohle. Aus der Ecke eines halben Boxrings blickt eine lebensgroße Puppe des Sportidols auf die Kraftübungen der kleinen Besucher. So eine Haut-den-Lukas-Ecke sollte es in jedem Museum geben – kulturhungrigen Eltern bliebe viel Genörgel erspart.

„In der Woche können Sie ihre Kinder gegen einen kleinen Obulus drüben in der Waldschule abgeben“, sagt die Dame an der Kasse. Leider ist die Waldschule am Wochenende geschlossen, weil dann keine Schulklassen und Kitagruppen anreisen, um auf dem Freigelände das Waldleben der Hirsche nachzuspielen. Also erkundet man den Lehrpfad auf eigene Faust – und in den Ausstellungen halten reichlich ausgestopfte Tiere, Jagdtrophäen und Kuriosa auch die Kinder bei Laune.

Eine flackernde Filmprojektion zeigt, wie sich Max Schmeling 1938 aus seiner Rolle als Vorzeigesportler des NS-Regimes befreite: Der Rückkampf gegen den „braunen Bomber“ Joe Lewis dauerte nur zwei Minuten und vier Sekunden, dann schleppten die Betreuer den schwer lädierten Deutschen aus dem Ring. Zur Strafe musste Schmeling 1941 als Fallschirmjäger über Kreta abspringen, danach war er kriegsuntauglich. Nach 1945 wollte er mit Axel Springer einen neuen Verlag gründen, was die Alliierten verhinderten, also etablierte sich der Boxstar als Generalvertreter für Coca-Cola in Norddeutschland. Auch das Seelenleben des Boxers erhellt die Schmeling-Ausstellung. Über hundert Jagdtrophäen und seine originale Jägerkluft zeugen davon, wie er auf dem Hochsitz „den Ausgleich zum hektischen Sportlerleben“ suchte.

In das gelbe Jagdschlösschen, das der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in Groß Schönebeck bauen ließ, passen die Schmeling-Devotionalien gut. Denn in der nahen Schorfheide ging der Boxer auf die Pirsch wie vor ihm die preußischen Könige und Kaiser. Allein Wilhelm II. erlegte dort über tausend Hirsche. Im Obergeschoss erfährt man mehr über das fürstliche Jagdfieber, und die geräumige Fachwerkscheune überrascht mit einer grandios inszenierten Ausstellung über das Waldleben im 20. Jahrhundert.

Nach der Abdankung des Kaisers wurde das Hofjagdgehege aufgelöst. Die Schorfheide blieb aber Jagdgebiet für den sozialdemokratischen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und den konservativen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, die sich hier bestens vertragen haben sollen. In den Zwanzigern kamen immer mehr Erholungssuchende aus Berlin in den Wald, kampierten wild und ließen Müll zurück. Die preußische Regierung reagierte 1930 darauf mit einer Naturschutzverordnung für die Schorfheide – zum Verdruss der Ausflügler.

In der Nazizeit schwang sich Hermann Göring zum Herrscher über die Schorfheide auf. Hitler, der für die Jagd nichts übrig hatte, ließ ihn, den preußischen Ministerpräsidenten, Reichsluftfahrtminister und späteren Reichsjägermeisters gewähren. Göring ließ sich 120 Hektar Wald übereignen, um seinen pompösen Landsitz Carinhall zu errichten. Von dort erteilte er unter anderem den Befehl zum Luftkrieg gegen England.

Ein Foto zeigt den dicken Feldmarschall stolz an einer großen Modelleisenbahn in Carinhall. Auch plante er ein gigantisches Museum für die in ganz Europa zusammengekauften und geraubten Kunstschätze. Eröffnet werden sollte es 1953, zu Görings 60. Geburtstag. Als jedoch im April 1945 die Rote Armee anrückte, ließ Göring die von ihm in der Schorfheide ausgesetzten Wisente und Elche abschießen und das Anwesen sprengen. Kunstgüter wurden im nahen Döllnsee versenkt. Drei überlebensgroße nackte Frauenfiguren aus Bronze tauchten 1990 dort wieder auf, mit korrodierter Haut, wie verbrannt von der Geschichte. Geschaffen hat sie Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker.

Nach Kriegsende wilderten hungrige Rotarmisten und Deutsche in den Wäldern. Die Wildtiere waren eigentlich für russische Offiziere reserviert, später zäunte die Nationale Volksarmee Sonderjagdgebiete für SED-Funktionäre ab. Eine schwere Jagdtruhe mit eingebauter Minibar zeugt von deutsch-sowjetischer Jagdfreundschaft, Leonid Breschnew schenkte sie dem SED-Wirtschaftslenker Günter Mittag. Erich Honecker ging in der Schorfheide mit Breschnew so lange gemeinsam jagen, bis dieser 1971 der Entmachtung Walter Ulbrichts zustimmte.

Auf Schloss Hubertusstock empfing Honecker Bundeskanzler Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß, der 1983 den Staatsbankrott der DDR durch einen Millionenkredit hinauszögerte. Nach dem Fall der Mauer schoben die Bürger der weiteren Beschlagnahme der Schorfheide durch die Mächtigen einen Riegel vor. Die letzte DDR-Volkskammer erklärte das Staatsjagdgebiet zum Biosphärenreservat. Jetzt kann man dort im knackenden Unterholz Pilze zu suchen oder im Museum eine Runde Boxen gehen.

Jagdschloss Groß Schönebeck, Schlossstr. 6, 16244 Schorfheide, tägl. 10 bis 16 Uhr, Eintritt 5 €. Im Zweistundentakt von Berlin-Karow erreichbar mit der Heidekrautbahn. Telefon: 033393/65272. Informationen: www.jagdschloss-schorfheide.de. Ein Buch zur Ausstellung „Jagd und Macht“ erscheint im September im be.bra Verlag.

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