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California noir. Die Musikerin Chelsea Wolfe.

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Chelsea Wolfe im Berghain: Im kalten Griff der Knochenhände

Chelsea Wolfe schreibt zerbrechliche und zugleich knallharte Lieder. Im ausverkauften Berghain begeistert sie mit ihrem schillernden Düsterpop.

Die Luft erzittert wie von dunklen Schwingen, als der schwarze Engel seinen ersten Schatten auf die Bühne wirft. „Feral Love“, der Hit vom „Pain Is Beauty“-Album schleicht sich in den Körper, krabbelt ins Rückenmark, nagt an der Seele: „Run from the light / Your eyes black like an animal / Crossing the water / Lead them to die / Hey ohh ahh...“. Chelsea Wolfe ist jene Frau, die uns seit Jahren vormacht, dass man auch im sonnigen Kalifornien auf dunkelste Gedanken kommt. Sie schreibt zerbrechliche und zugleich knallharte Liedwerke, die immer die Aura des Geheimnisvollen wahren. Schillernder Düsterpop.

Im ausverkauften Berghain wagt kaum jemand im dichtgedrängten Publikum sich zu bewegen oder seine Erschütterung zu zeigen. Dabei fragt man sich, wovon die 33-jährige Songschreiberin eigentlich getrieben wird – von einer penetranten Schlaflosigkeit, den Dämonen ihrer Albträume, dem Schatten von Alice Cooper oder dem erhabenen Gedröhn ihrer drei Mitstreiter, gegen das sie sich behaupten muss? Egal. Die meisten Songs stammen von „Abyss“, dem letzten Album aus dem Jahr 2015 – ein spannungsgeladenes Opus für starke Nerven, das die Zuhörer mit schlingpflanzenartiger Sogwirkung ins tiefe Wasser zieht, kunstvoll krachend, zuweilen aber auch hübsch melancholisch. „Carrion Flowers“, das Titelmotiv für den Trailer der Kultserie „Fear The Walking Dead“, kommt gleich als zweites, dann „Dragged Out“, „After The Fall“, „Simple Death“ und „Iron Moon“. Dazu einige ältere und zwei neue Songs, die zwischen modrigsüßem Düster-Folk und brutalen Doom-Metal-Attacken zittern. Bedrohliche Geräusche ringsum, knirschende Geheimnisse der Tiefsee, Gewürm im Bodensatz der Seele. Schepprig verhalltes Schleppschlagzeug trifft auf tonnenschwere Bratz-Gitarren und elektronische Soundeffekte, die sich wie kalte Knochenhände aufs Trommelfell legen.

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Wolfes Stimme strahlt emphatisch, theatralisch, melodisch aus der Düsternis heraus. Wenn sie selbstreinigend ihren Weltschmerz herausschreit, ist Heulen und Zähneklappern angesagt. Mit minimalen Gesten setzt sie sich einigermaßen dämonisch in Szene, wobei ihre schwarzumrandeten Augen und das bleich geschminkte Gesicht, eingerahmt von dunklen Haarsträhnen, im nervösen Flackerlicht nur schwer zu erkennen sind. Der andere Star des Abends ist ein Dezibel-Messgerät, das gut sichtbar auf der Bühne steht. Die Anzeige springt ab dem Wert 110 auf Rot um, was bei jedem Stück passiert. Der Topwert von 118 wird erreicht, als der Nervenkitzel nach 70 Minuten mit dem furiosen „Survive“ endet, in dem eine phänomenale Erkenntnis steckt: „We call our home dreams of endless landscapes morphing in love“. Ja, die Liebe ist halt das Schönste aller Übel.

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