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Knarzende Treppe, schmaler Gang. Ausstellungsort Hotel.Lynn Hershman Leeson sorgt bei den Besuchern für Verwirrung.

© Cathrin Mayer

Ausstellung im Hotel: Im Bett mit Anaïs

Die US-Medienkünstlerin Lynn Hershman Leeson bittet in die Berliner Pension „Novalis“ - zur Re-Inszenierung einer Installation aus den 70ern.

Ein schweres Parfüm hängt in der Luft, das Bett ist ungemacht, im Bad brennt noch Licht – und fast hätte Lynn Hershman Leeson ihr Spiel um eine fiktive, dabei der Künstlerin sehr ähnliche Person gewonnen. In der Pension „Novalis“ fühlt es sich an, als hätte man Zimmer Nr. 3 heimlich betreten. Vorbei an der Rezeption, die knarzende Treppe hoch durch einen kleinen Gang. Nr. 3 wartet mit fremden Sachen auf: An der Tür liegen achtlos abgelegte Ballerinas, Wäsche hängt im Schrank und quillt aus einem Koffer, das iPad steht offen. Jede Mail ist zu lesen, genau wie diverse Aufzeichnungen, die verstreut auf der Matratze liegen. Nun muss man eine Entscheidung treffen. Ist das hier ein inszeniertes Arrangement? Oder eine gute Gelegenheit zum heimlichen Stöbern?

Manche verlassen diese beklemmend persönliche Kammer schnell, andere Besucher versenken sich eine gefühlte Ewigkeit in die Notizen. So erzählt es jedenfalls eine Mitarbeiterin der Kunst-Werke e. V. Tagsüber sitzt sie im Frühstücksraum der Pension, erklärt das Werk der feministischen Konzept- und Medienkünstlerin Hershman und verwaltet den Zimmerschlüssel. Die Installation „The Novalis Hotel“ darf immer nur ein Gast besichtigen. Das war schon zu Beginn der 70er Jahre so, als Hershman die Installation zum ersten Mal präsentierte. Im „Dante“-Hotel in San Francisco, wo außerdem eine lebensgroße Puppe unter der Decke lag und Atemgeräusche aus einem Lautsprecher kamen.

Auf solche Narrative verzichtet die 77-Jährige in ihrer Berliner Soloschau unter dem Titel „First Person Plural“. Das Projekt der Kunst-Werke findet an einem anderen Ort statt, denn in den Räumen in der Auguststraße ist ab 9. Juni die Berlin Biennale zu sehen. Deshalb wird Hershman Leeson nun parallel an zwei externen Ausstellungsorten gewürdigt. Einmal im „The Shelf“, einer alten Kreuzberger Gewerbehalle. Und im „Novalis“ unweit der Kunst-Werke, einer Pension im hippsten Areal von Berlin und dennoch völlig aus der Zeit gefallen.

Genau hier fühlte sich die Künstlerin an das „Dante“ erinnert. In ihrer Rekonstruktion der historischen Arbeit vollzieht sie jedoch eine Anpassung an die Gegenwart. „The Novalis Hotel“ sichert genetische Spuren, die damals wie heute jeder Besucher hinterlässt. Inzwischen sind sie zu entziffern. Die Ausstellung im „Novalis“ reagiert darauf mit einer forensischen Untersuchung. So werden jene Besucher sichtbar, die sich in der trügerischen Sicherheit wiegen, unbeobachtet in Hershmans Utensilien wühlen zu dürfen.

Mehr noch als diese Wendung verblüfft das Visionäre von Hershmans Werk. Die Künstlerin begann vor über vier Jahrzehnten mit der Kommunikation via Medien. Schon damals – den Avatar gab es als Begriff noch gar nicht – konstruierte sie verschiedene Hershman-Identitäten. Dabei war sie sich des Potenzials wie der Gefahren im Umgang mit zunehmend intelligenten Maschinen bewusst. Dazu zählte Hershman Leeson in den 80ern auch Fotoapparate, die sie in ihre Frauenporträts integrierte: anstelle der Köpfe.

Hershman nahm die Selbstdarstellungen im Internet vorweg

macht den Eine frühe Arbeit wie „The Dante Hotel“ markiert die spielerische Variante ihrer Arbeit, die den Voyeur ebenso hervorkitzelt wie das Darstellungsbedürfnis der Künstlerin. Schuhe, Mantel und natürlich Anaïs Nins erotischer Roman „Das Delta der Venus“ im Bett sind nicht zufällig gewählt, sondern sollen ein Bild von Hershman zeichnen, das sie selbst vorgibt. Der Geruch des Parfüms macht ihren Körper physisch präsent, dabei ist er längst abwesend. Die Zaungäste ihrer Ausstellung sind Zeugen einer konstruierten Welt, die die Selbstdarstellung im Internet lange vorwegzunehmen scheint.

Im „Shelf“, wo frühere Videos und Installationen wie „Lorna“ (1979/82) zu sehen sind, läuft unter anderem das Video „Commercial for myself“ (1974). Darin konstatiert eine Stimme, Hershman sei leider nicht da. Bloß ihre Stellvertreterin. Tatsächlich beschränkt sich das mediale Substitut der Künstlerin nicht auf eine einzige Figur. So wie der TV-Bildschirm gesplittet und von zahllosen briefmarkengroßen Wiedergängerinnen bevölkert wird, so vielfältig sind die Images, die Hershman über die Jahrzehnte von sich vermittelt; mitunter sogar dank Double.

Strategien einer emanzipierten Nutzung

„First Person Plural“ (1984/96) heißt das titelgebende Werk der Schau, das wie die meisten Arbeiten aus der Sammlung des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien stammt. Es zeigt sie selbst auf vier monumentalen Projektionsflächen – allein in einem Studio im permanenten Beichtmodus. Ihren Erinnerungen an eine von Gewalt geprägte Kindheit schließen sich intime Bekenntnisse und selbstreflexive Passagen an. Ein stream of consciousness als elektronisches Tagebuch, das Hershman laut eigenem Statement am besten vor dem empfindungslosen Gegenüber einer Kamera ausbreiten kann. Gleichzeitig flirtet und kokettiert sie mit dem Selbstbild, studiert seine Wirkung wie in einem Spiegel, der jeden ihrer Blicke für alle sichtbar festhält: die fragenden, unsicheren ebenso wie die selbstgefälligen. Aber was ist davon echt und was inszeniert?

Hershman mag Kritik am unbedarften Umgang mit neuen Technologien üben. Ihre Bedeutung zweifelt sie keine Sekunde an, sondern entwickelt lieber Strategien einer emanzipierten Benutzung. In der interaktiven Wohnzimmerinstallation „Lorna“ von 1979 hat der Besucher diverse Optionen, um der verzweifelten Filmfigur Lorna zu helfen. Per Fernbedienung kann er sie sterben oder ihre Ängste vor der Außenwelt überwinden lassen. Er kann auch auf den Fernseher schießen. Das wäre eine Möglichkeit, aber sicher keine Lösung.

„The Novalis Hotel“, Novalisstr. 5, bis 17. 6.; „First Person Plural“, The Shelf, Prinzenstr. 34, bis 15. 7.; Mi–So 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr

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