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Ein Entwurf der Kunstinstallation von Ai Weiwei an der Fassade des ehemaligen Cinestar-Kinos.

© Ai Weiwei Studio

Human Rights Filmfestival: Ai Weiwei nennt die Absage seiner Installation im Sony Center Zensur

Auf einer spontan einberufenen Pressekonferenz kritisiert der Künstler den vorauseilenden Gehorsam gegenüber chinesischen Interessen.

Von Andreas Busche

Es war als Mahnung gedacht an die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer, stellvertretend für das Schicksal von Millionen geflüchteter Menschen auf der ganzen Welt. Acht rote Schlauchboote, aufgehängt an der Fassade des Cinestars am Potsdamer Platz. Jetzt sind sie zum Streitfall geworden – und ein weiterer Beleg für den wachsenden Einfluss Chinas in Deutschland. So zumindest sieht es der chinesische Künstler Ai Weiwei, der seine prominente Stimme immer wieder für politische Botschaften einsetzt.

Am Freitagmittag steht er im Sony Center vor einer Gruppe Journalistinnen und erklärt, warum ihm die Eigentümer Oxford Properties die Genehmigung für seine Installation kurzfristig wieder entzogen haben, obwohl der 14-seitige Vertrag unterschriftfertig vorlag. Die acht Boote gehörten zum Rahmenprogramm des noch bis zum 10. Oktober laufenden „Human Rights Film Festival“, auf dem auch Ai Weiweis Dokumentarfilme „Coronanation“ und „Vivos“ gezeigten werden sollten – im Imax-Kino, ebenfalls unter dem Sony-Dach. Auch diese Vorführungen wurden am Donnerstag ohne Begründung gestrichen.

Weiwei nennt die Absagen einen Fall von Zensur. Die Imax Cooperation, die das Eventkino über dem Cinestar mietet, habe wirtschaftliche Interessen in China, das kanadische Unternehmen könne es sich daher nicht leisten, die Regierung zu brüskieren. Man kennt diese Argumente Weiweis. Im Februar vermutete er politische Gründe hinter der Entscheidung der Berlinale, „Vivos“ nicht zu zeigen. Zu den Sponsoren der Berlinale gehörten – in diesem Jahr zum letzten Mal – der chinesische Luxusgüterkonzern Tesiro sowie Audi, eine Tochter von Volkswagen, die sich in den kommenden Jahren in China größere Marktanteile sichern wollen. Stattdessen organisierte Weiwei ein eigenes Filmfestival im Kino Babylon Mitte.

Künstlerische Arbeit und politischer Aktivismus

Weiweis künstlerische Arbeit und sein politischer Aktivismus waren zuletzt immer schwieriger voneinander zu trennen, auf Absagen reagiert er zunehmend persönlicher, mit den immer selben Verdächtigungen. „Drei Festivals wollten ’Coronanation' nicht zeigen, Venedig, Toronto und New York. Auch Netflix und Amazon hatten kein Interesse“, sagt er am Freitag. Grund sei die Angst vor China.

2019 hatte die Berlinale Zhang Yimous „One Second“ kurzfristig aus dem Wettbewerb genommen, weil dem Film, offiziell wegen technischer Probleme, das Siegel der chinesischen Kulturbehörde fehlte. Das Festival habe hingegen kein Problem damit, die Arbeiten dissidenter Filmemacher aus dem Iran zu zeigen. Mit China wolle sich die Berlinale jedoch nicht anlegen.

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Bei Weiwei vermischen sich persönliche Verletzung, politische Überzeugung und Paranoia. Am Freitag zitiert er einen Satz aus dem Verschwörungsthriller „Die Unbestechlichen“ von 1976: „Folgen sie dem Fluss des Geldes.“ Sein Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Erst im Juli, rechtzeitig zur Wiedereröffnung der Kinosäle, hatte Imax gemeinsam mit der Unternehmensgruppe Wanda 20 Kinos in China aufgerüstet. Imax betreibt heute 378 Leinwände auf dem rasant wachsenden Kinomarkt, der auch für die US-Filmindustrie an Bedeutung gewinnt.

Auch Disney arbeitet mit Peking zusammen

Die Verzahnung von wirtschaftlichen und politischen Interessen wird dabei immer undurchsichtiger. Vor drei Wochen wurde in den sozialen Medien zum Boykott der Disney-Produktion „Mulan“ aufgerufen, weil der Unterhaltungskonzern bei den Dreharbeiten auf dem chinesischen Festland mit Regionalverwaltungen kooperiert hatte, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Die Drehorte wurden in den Schlusscredits geschickt am Ende versteckt.

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Für Ai Weiwei ist die Absage seiner Kunst-Installation nur Ausdruck eines größeren Problems. Er nennt Deutschland „die 33. Provinz von China“. Ankündigungen wie die von Angela Merkel vor dem jüngsten EU-China-Gipfel, das Thema Menschenrechte auf die Agenda zu setzen, hält er für Augenwischerei. „China geht sehr intelligent vor. Sie haben im Ausland politische Vertretungen, die Lobbyarbeit in vielen gesellschaftlichen Bereichen betreiben. Deutschland wird bald realisieren, dass es mit China kaum noch Verhandlungsspielraum hat – auch was Menschenrechte und Meinungsfreiheit betrifft."

Erst vor einigen Tagen sickerte aus EU-Kreisen durch, dass die Bundesregierung der Telekom beim Einstieg in den chinesischen Markt helfen wolle; als Gegenleistung könnte Deutschland dem Mobilfunkanbieter Huawei ein Türchen zum 5G-Markt offenhalten. Nicht nur Ai Weiwei, auch Brüssel sieht Deutschlands Alleingänge kritisch. „Ich könnte die Klappe halten und mir ein anderes Kino suchen, aber das werde ich nicht tun. Ich mag Deutschland, und mir liegt China am Herzen.“

Bundesregierung sieht Menschenrechtsverletzungen tatenlos zu

Auch darum war Weiwei am vergangenen Dienstag in den Bundestag geladen worden, wo die Initiative „Cinema for Peace“ den Parlamentariern einen neuen Film über die Situation in Hongkong zeigte. Weiwei versucht, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, den Menschenrechtsverletzungen in China nicht weiter tatenlos zuzusehen. Für Jaka Bizilj von „Cinema for Peace“ ist die Absage, zum jetzigen Zeitpunkt, eine „Probe aufs Exempel“, wie er auf der spontan einberufenen Pressekonferenz sagt.

Ai Weiwei insinuiert, dass die Entscheidung etwas mit der Bundestagssitzung zu tun hat. Margarete Bause, die Menschenrechtsbeauftragte der „Grünen“, nennt das Vorgehen von Oxford Properties auf Twitter eine „rückgratlose Unterwerfung unter Pekings Zensur“. Auch sie sieht einen Zusammenhang mit den Berlinale-Vorfällen.

Offiziell hat das Unternehmen in Abstimmung mit der Mietpartei erklärt, dass die Sicherheit der Besucher, Büroangestellten und Mitarbeiter höchste Priorität habe, daher konnte man „aus versicherungs- und sicherheitsrelevanten Gründen der kurzfristigen Anfrage nicht nachkommen“. Nicht äußern wollten sich die Eigentümer zu der Frage, warum eine Filmvorführung in einem Kino nicht möglich sei. Markus Beeko von „Amnesty International“ spricht in einer kurzen Erklärung hingegen davon, dass sich die Vorfälle, in denen vorauseilender Gehorsam gegenüber China gezeigt wird, häufen. „Der Druck auf Kritiker nimmt nicht nur in China zu, sondern auch im Ausland.“

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