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Human Flowers of Flesh (2022)

© Grandfilm

„Human Flowers of Flesh“ im Kino: Bilder wie sanfte Wellenbewegungen

Literarisch und Filmisch: Die deutsche Regisseurin Helena Wittmann spielt in „Human Flowers Of Flesh“ maritime und postkoloniale Motive auf eine sehr sinnliche Weise durch. Ein Erlebnis.

Ein Gerücht geht um am Hafen von Marseille: Ein Boot wurde gesichtet, es gehört einer Frau, sie lebt darauf mit ihrer Mannschaft, niemand weiß etwas über sie. So stellen sich einige die Freiheit vor, ein Leben in Bewegung, im Fluss. Ida heißt die Frau, der Film begleitet sie von Marseille nach Korsika, von Korsika zur algerischen Küste. Die fünf Männer ihrer Besatzung haben sich freundlich den Bewegungen des Meeres hingegeben, sie beobachten, berühren, sammeln, was ihnen in die Netze geht, pressen es in Büchern, verschicken die Pflanzen, Federn und versteinerten Tiere vom nächsten Hafen aus in die Archive des Festlands.

Ida (Angeliki Papoulia) spricht nicht, und die deutsche Regisseurin Helena Wittmann erzählt in „Human Flowers of Flesh“ auch keine Geschichte im herkömmlichen Sinn. In den engen Kameraeinstellungen sind Stillstand und Bewegung in Tableaus komponiert: der gerade Spiegel des Wasserglases in der schwankenden Kajüte, die rollenden Augäpfel der Schlafenden, der schwimmende Stillstand an Bord. Oft geht der Blick von den Menschen zu anderen Lebensformen, unter Wasser und unter Mikroskopen: Anlagerungen, Osmose, Filter.

An Deck des Zweimasters wird Seemannsgarn gesponnen, die Männer lesen sich und Ida aus Büchern vor. Marguerite Duras‘ „Matrose von Gibraltar“ erzählt vom sanften Suchen einer Seefrau nach einem entflohenen Fremdenlegionär, damit kontrastieren Friedrich Glausers männliche Fieberfantasien von gelangweilten Soldaten, die die Wüste erobern wollen, stattdessen aber gegen Staub und Hitze kämpfen.

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Auch Ida und ihre Mannschaft treffen in den Hafenstädten auf Fremdenlegionäre, und fasziniert folgt die Kamera Idas Blick auf die Muskeln in den engen Trikots, auf Maschinengewehr-Tattoos, auf Fallschirme, die in die Wüste abgleiten. Es ist ein weiblicher Blick auf ortlose männliche Körperperformances, der in Claire Denis berühmten Fremdenlegionärsfilm „Beau Travail“ ein offenes Vorbild hat. Dessen Hauptfigur Galoup, gespielt von Denis Lavant, taucht am Ende auch in „Human Flowers of Flesh“ auf, vielleicht ist er sogar der Matrose von Gibraltar, nach dem Ida auf der Suche ist.

Weibliche Blicke und Soldatenkörper

Die Arbeiten von Helena Wittmann, die auch als Kamerafrau, Editorin, Autorin und Ko-Produzentin auftritt, sind bislang ein Geheimtipp unter Festivalbesucher:innen und Kritiker:innen, obwohl sie unmittelbar sinnliche, fast taktile Angebote machen. Ihr zweiter Langfilm hat nun einen regulären Kinostart und bietet die Chance, eine Form des Filmemachens zu erleben, die unter all den kommerziellen Wellenbewegungen (und neben den überflüssigen Unterteilungen in Mainstream- und Experimentalfilm, Arthouse und Videokunst) eine korallenartig faszinierende Existenz verteidigt.

Wie das Analogfilmmaterial zu den abgefilmten Wellenbewegungen leicht mitzittert, wie Mythen und Seemannsgarn in sonnenbelichtete Materialproben eingewebt werden, wie sanft eine weibliche Körpererfahrung an männlichen abgeglichen wird, all das macht „Human Flowers of Flesh“ zu einem poetischen Tagtraum, der keine generische Erzählform oder inhaltsschwere Dialoge benötigt. „Wir neigten unsere Haut dem Meer entgegen (…), Menschen ohne Orte, Umarmungen, Festland“, zitiert ein Matrose aus einem Gedicht von Ivana Miloš.

Die ästhetisierenden Strategien des Films folgen dabei keinem unpolitischen Prinzip eines privilegierten, ahistorischen Impressionismus. Was hier beobachtet, berührt, eingefangen und gesammelt wird, steht gerade auf dem Spiel. Eine Kellnerin in einer Hafenbar berichtet von Korallenfriedhöfen in der Karibik. Militärflugzeuge verrosten auf dem Meeresboden. Wie lang kann man diese Aufnahmen noch machen, fragt der Film, dessen Material selbst irgendwann Spuren der Auflösung zeigt. „Human Flowers of Flesh“ verschickt seine kostbaren Eindrücke als Ansichtskarten in die Kinos. Dort kann man sie abholen.

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