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Kultur: Hochmut mit Fall

Organisator der Vernichtung: Robert Gerwarths konzise Biografie von Reinhard Heydrich.

Wäre es nach dem Vater gegangen, wäre er Musiker geworden. Reinhard Heydrich lernte im Alter von fünf Jahren Geige spielen und pflegte seine musikalische Passion zeitlebens. Der Vater Bruno Heydrich war Opernsänger und Komponist und betrieb in Halle an der Saale ein Konservatorium. Er hatte Anschluss an die besseren Kreise in der Stadt gefunden, doch Krieg, Revolution und Inflation trieben ihn fast in den Ruin. Deshalb schlug der Sohn einen anderen Weg ein und ging 1922 zur Marine. Dort wurde ihm, nachdem er es bis zum Oberleutnant gebracht hatte, zum ersten Mal sein gewaltiger Hochmut zum Verhängnis.

Im Dezember 1930 lernte Reinhard Heydrich Lina von Osten kennen. Im Gegensatz zu Heydrich war sie überzeugte Nationalsozialistin und zeigte sich höchst erstaunt, dass der junge Mann nicht einmal Hitlers „Mein Kampf“ gelesen hatte. Die wechselseitige Anziehung war sehr groß und fünf Tage nach der ersten Begegnung machte Heydrich Lina von Osten einen Heiratsantrag. Nachdem deren Eltern der Verbindung ihren Segen gaben, verschickte er Verlobungsanzeigen, von denen eine auch eine junge Frau in Potsdam erreichte, mit der Heydrich schon länger verlobt war. Der Vater der Frau reichte eine offizielle Beschwerde beim Chef der Marineleitung, Admiral Erich Raeder, ein. Es kam zu einem Verfahren vor dem Ehrenrat. Heydrichs Fehlverhalten war nicht so schwerwiegend, dass sein Ausschluss aus der Marine zwingend gewesen wäre, aber mit seinem arroganten Auftreten brachte er die Mitglieder des Ehrenrats gegen sich auf. Statt seine Verfehlung einzugestehen und eine milde Strafe hinzunehmen, stritt er alles ab.

Der Ehrenrat war über Heydrichs Auftritt so erbost, dass er ihn am Ende wegen „ehrenwidrigen Verhaltens“ aus der Marine ausschloss. Das gab seinem Leben eine entscheidende Wende. Um eine Wiederverwendung zur See bemühte er sich nicht, sondern trat stattdessen, zwei Jahre nach seiner Braut, 1931 der NSDAP bei. Lina von Osten wurde nicht nur die Mutter seiner vier Kinder, sie war auch entscheidend für seinen weiteren beruflichen Lebensweg. Heydrich, schlank, hochgewachsen, blond und ein schneidiger Sportfechter, gilt heute als Inbegriff des „Ariers“, doch erst die Begegnung mit der 19-Jährigen aus verarmtem Kleinadel führte dazu, dass er seine berufliche Zukunft bei der Bewegung suchte, die solche „Rassenmerkmale“ propagierte.

Um wieder eine Anstellung zu finden, schrieb Heydrich zahlreiche Bewerbungen, darunter auch eine an Heinrich Himmler, dessen Name ihm bis dahin unbekannt gewesen war. Er hat gleich doppelt Glück. Zum einen kann er zwei überzeugende Empfehlungsschreiben vorweisen, in denen die unzutreffende Behauptung aufgestellt wird, er sei ein Experte für Spionage, zum anderen sucht Himmler gerade jemanden, der für die damals noch sehr kleine SS einen Nachrichten- und Überwachungsdienst aufbauen soll. 1932 wird Heydrich Leiter des neu geschaffenen SD. Es ist der ziemlich unspektakuläre Beginn einer Karriere, die ihn binnen weniger Jahre zu einem der mächtigsten Männer des „Dritten Reichs“ machen sollte. Formal hatte Himmler keinen Stellvertreter, aber de facto war Heydrich es schon sehr bald. Diese beiden Männer waren federführend für die Umsetzung des genozidalen Vernichtungsprogramms des Regime.

Robert Gerwarth entfaltet in seiner konzisen und gut zu lesenden Biografie zunächst Heydrichs Feindbild, das Tableau der „Reichsfeinde“, das von den Juden über die christlichen Kirchen, Freimaurer und Zigeuner bis zu den „Asozialen“ reicht, und referiert dann die verschiedenen biografischen Stationen, von der „Machtergreifung“, die Fritsch-Blomberg-Affäre, den „Anschluss“ Österreichs bis hin zur Zerschlagung der Tschechoslowakei. Der Autor zeigt, dass Heydrich an allen wesentlichen Entscheidungen beteiligt war. Er verschweigt auch nicht, dass manches sich trotz der für die NS-Geschichte insgesamt guten Quellenlage nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren lässt. Heydrichs Rolle bei der Vorbereitung des sogenannten Röhm-Putschs bleibt offen.

Die zweite Hälfte seines Buches widmet Gerwarth den drei Jahren von der Vorbereitung des Einmarschs in Polen, die im Frühjahr 1939 begann, bis zu dem Attentat auf Heydrich im Mai 1942 und den darauf folgenden furchtbaren Racheaktionen der deutschen Besatzer wie zum Beispiel die vollständige Zerstörung des Dorfes Lidice. Der Autor entwirft ein klares Bild von dem mit einem kolonialen Anspruch auftretenden Besatzungsregime in Polen, den Massentötungen der Einsatzgruppen und dem damit verschränkten „Terror an der Heimatfront“, zu deren Koordination 1939 das Reichssicherheitshauptamt geschaffen wurde. Es folgt die Ausweitung zum Weltkrieg durch den Überfall auf die Sowjetunion und die damit einhergehende Systematisierung der Judenvernichtung. Im September 1941 übernimmt Heydrich die Amtsgeschäfte des abgehalfterten Reichsprotektors für Böhmen und Mähren, Konstantin von Neurath in Prag, wo er ein brutales Regime errichtet und auf eine Befriedung der Lage durch Massenhinrichtungen, die die Partisanen abschrecken sollen, in Verbindung mit einer geringfügigen Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen setzt.

Im Januar 1942 leitet Heydrich die Wannsee-Konferenz, bei der die weiteren Vernichtungsmaßnahmen unter Beteiligung der verschiedenen Reichsministerien und Dienststellen der Partei koordiniert werden sollen. Im Gegensatz zu Historikern wie Christopher Browning und Christian Gerlach, die Zeitpunkte im Jahr 1941 favorisieren, datiert Gerwarth, der hier Peter Longerich folgt, den Entschluss zur systematischen Vernichtung aller Juden Europas auf April/Mai 1942, eine Zeit, in der Heydrich und Himmler in ungewöhnlich dichter Folge zusammentrafen und Himmler zweimal bei Hitler im Führerhauptquartier war.

Gegen Ende kommt Gerwarth in einem interessanten Exkurs auch auf Heydrichs Kulturimperialismus zu sprechen: Heydrich wollte die tschechische Sprache zum Aussterben bringen, die nichtdeutsche Bevölkerung „geistig sterilisieren“. die Bildungseinrichtungen auf vierklassige Volksschulen beschränken, alle Universitäten schließen und nur noch die Deutsche Universität in Prag erhalten, deren Lehrkörper zu 73 Prozent aus Nationalsozialisten bestand. Prag sollte eine blühende deutsche Großstadt werden, die mithilfe von Albert Speer auch Anschluss an das deutsche Autobahnnetz finden sollte. Am 27. Mai 1942 fanden diese Visionen ein jähes Ende. Der hochmütige Reinhard Heydrich fuhr im offenen Wagen, ohne Begleitschutz und stets die gleiche Strecke nutzend, von seinem Landgut zum Prager Hradschin. In einer Haarnadelkurve warteten drei aus England eingeflogene tschechoslowakische Fallschirmagenten auf ihn. Die Maschinenpistole des ersten versagte und Heydrich ließ, statt beschleunigt davonzufahren, seinen Fahrer anhalten, um den Attentäter zu erschießen. Das wurde ihm zum Verhängnis, denn in diesem Moment wurde er von einem zweiten Schützen getroffen. Eine Woche später erlag er seinen Verletzungen.









– Robert Gerwarth:
Reinhard Heydrich. Biographie.

Siedler Verlag, München 2011. 480 Seiten, 29,99 Euro.

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