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Kettensägen-Künstler Johannes Große.

© dpa

Berlin entdeckt die Motorsäge neu: Hip, hipper, Holzfäller

Früher hießen sie Holzfäller, jetzt haben die Baumpfleger ehrgeizige künstlerische Ambitionen. Schnitzen mit Kettensägen Tierskulpturen und hacken Fichten für die Neue Nationalgalerie ab. Nicht mehr lange, dann macht sicher auf der Neuen Schönhauser ein Kettensägen-Laden auf.

Oktobermorgen. Erdgeruch, Blätterregen, Leibesertüchtigung am Neuköllner Schifffahrtskanal. Da bremst ein plötzliches Hindernis den federnden Schritt. Ein Warndreieck steht im Weg. Dahinter Männer mit Motorsägen und Ohrschützern sowie ein Transporter, beschriftet mit großen Lettern: „Arbor Cultura“. Hießen solche Firmen früher nicht mal „Meier, Müller oder Schulze Baumarbeiten“? Nun präsentieren sich die Holzhauer als alte Lateiner.

Der schöngeistige Baumpfleger neueren Typs versteht sich offensichtlich weniger als vierschrötiger Waldmann denn als sensibler Pfleger veredelter Baumkultur. Und das ist nur die städtische Variante der veränderten Selbstwahrnehmung eines Berufsstandes, der zur Weltkultur bisher nicht viel mehr beigetragen hat als sporadische Erwähnung in Ganghofer-Romanen und das längst auch im urbanen Straßenbild omnipräsente und durch Edel-Anbieter aufgewertete Holzfällerhemd.

Ein neuer, geradezu künstlerischer Gestaltungswille weht nämlich auch da durch die deutschen Forsten, wo sie dichter und dunkler als in der Berliner Innenstadt gewachsen sind. In den Mittelgebirgen oder Alpen, wohin es mit den am Wochenende beginnenden Herbstferien auch wieder Berliner Wanderfreunde zieht. Dort haben die jahrhundertelang mit widerspenstigen Rückepferden, versoffenen Kollegen und unverhofft in Füße fahrenden Äxten voll ausgelasteten Baumpfleger seit der Einführung von Harvestern wieder freie Spitzen.

Nicht mehr lange, und das Bild des Holzfällers wird hip

Während die vollautomatisierten Holzernter die Bäume fixieren, fällen, entasten, entrinden und stapeln, widmen sich die Holzfäller mit vorgehaltener Motorsäge und verfeinernder Axt und Beiteln der Herstellung von Holzskulpturen. Die dabei entstehenden, bildnerisch durchweg hochwertigen Eichhörnchen, Füchse, Eulen oder Pilze werden dann entlang der vom schweren Gerät zerfahrenen Wege aufgestellt. Die wiederum flugs zum „Walderlebnispfad“ erklärt. Und schon hat der kunstsinnige Wanderer viel mehr zu genießen als nur das von der entgegenkommenden Rentnergruppe geschmetterte Rennsteig-Lied.

Nicht mehr lange, und das Bild des Baumpflegers vulgo Holzfällers ist so hip, dass es Spielfilme und Romane prasselt. Jetzt, wo Chipperfields aus den hundertjährigen Fichten des vorpommerschen Grafen von Wilamowitz-Möllendorff gewonnenen Baumstämme die Neue Nationalgalerie verzieren, und die Liebe zum Land und zur Heimat gerade beim Städter so groß wie nie ist. Statt „Der Herrgottsschnitzer von Ammergau“ oder „Der Förster vom Silberwald“ heißt es dann: „Die Arbor Culturisten von Neukölln“. In der Neuen Schönhauser macht ein Motorsägen-Laden auf. Mittdreißiger aus Mitte fachsimpeln beim Latte über das neue Modell von Husqvarna oder Stihl. Und in der Weserstraße werden für die Partypeople Dachse, Bären und Uhus aufgestellt.

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