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Die Architektur ist virtuell designt, die Ausstellung „My Name is Nobody“ vom Galeristen Matthias Arndt für den reinen Online-Auftritt kuratiert.

© Arndt Art Agency

Kunstverkauf digital: Hier kommt niemand hinein

Online only: In Corona-Zeiten denken viele Galerien zum ersten Mal über digitale Plattformen für den Verkauf nach. Andere sind schon weiter.

Als der Lockdown wegen der Corona-Epidemie begann, war Matthias Arndt auf dem Weg von Singapur nach Australien, um die Biennale von Sydney zu besuchen. Als Teil des Ankaufskomitees der Londoner Tate für den asiatischen Raum musste er sein zweiwöchiges Programm in vier Tagen absolvieren und schaffte es gerade noch rechtzeitig zurück nach Berlin. „Die Grenzen schlossen sprichwörtlich vor und hinter mir“, erinnert er sich.

Arndt, der über zwei Jahrzehnte Galerien in Berlin, Zürich, New York und Singapur aufgebaut hat, ging vor mehr als vier Jahren mit einem neuen Konzept an den Start: Mit der Arndt Art Agency (A3) verfolgt er kein eigenes Programm, sondern vertritt ausschließlich die Interessen der Künstler sowie der Sammlungen und Museen, für die er Mandate ausübt: „Mit A3 arbeiten wir Galerien zu, indem wir die Künstler bei deren Produktion unterstützen und private und institutionelle Kunden in die Galerien bringen.“

Es geht um mehr als bloße Kontakte

Um global zu agieren und sich mit Künstlern, Kollegen und Sammlern überall auf der Welt auszutauschen, setzte Arndt früh auf digitale Strategien, über die seine Kollegen die Nase rümpften. „Als ich 1995 einen Newsletter herausgab, wurde ich als ,Banker‘ unter den Galeristen abgestempelt. Heute gibt es keine Galerie mehr, die keine Newsletter verschickt“, sagt er. Ohne die sozialen Medien wäre seine Arbeit in Asien, vor allem in Indonesien, Singapur und auf den Philippinen, undenkbar. „In der Kommunikation geht nichts mehr ohne Whatsapp, Wechat, Viber und Instagram-Messages. Es dreht sich um mehr als das bloße Kontakthalten. Instagram ist für Galerien, Auktionshäuser und Künstler ganz selbstverständlich Teil des Programms – der Großteil nutzt den Kanal als Marketinginstrument und Aushängeschild, manche setzen ihn auch als Verkaufsplattform ein. Aber nur ein Bruchteil nimmt die digitale Welt wirklich als erweiterten Ausstellungsraum wahr, für den eigenständige Kunstwerke entwickelt werden müssen. Zu den wenigen gehört das Unternehmen Acute Art, das unter der Leitung von Ex-Moderna-Museet-Direktor Daniel Birnbaum VR-Werke von Künstlern wie Cao Fei, Marina Abramovic und KAWS realisiert und über eine App zugänglich macht.

Das Beste aus zwei Welten miteinander verbinden

Auch Arndt sieht auf diesem Feld Handlungsbedarf: „Für die Agentur haben wir gerade einen Experten für Instagram und Social Media engagiert, der ausschließlich Inhalte für IG und Twitter produziert und postet.“ Im Januar initiierte er zudem erstmals eine Serie von Online-Only-Ausstellungen auf der Plattform Artsy. Die erste Schau „My Name is Nobody“ ging zu Ende, als die Kunstwelt durch Corona langsam und gezwungenermaßen damit anfing, sich digital auszuprobieren. „Zunächst war die Idee ein Experiment. Ich wollte die Streukraft der riesigen Plattform Artsy und ihrer Suchmaschine nutzen“, erklärt Arndt.

Die digitale Schau sollte das Beste aus zwei Welten verbinden: Die Dialogmöglichkeiten und das inhaltliche Moment einer thematischen Präsentation standen im Vordergrund, auf unnötiges Reisen, Verpackungs- und Transportaufwand verzichtete man. Die ausgestellten Werke, darunter eine Filminstallation von Julian Rosefeldt (80 000 Euro), Gemälde von Andi Fischer (2900 Euro) und Rodel Tapaya (43 500 Euro), verband die Frage nach Zugehörigkeit und das Gefühl von Geborgenheit in einer vernetzten Welt. „Unser Vorteil war, dass wir früher und proaktiv an dem Thema gearbeitet haben und deshalb einen kleinen Vorsprung hatten.“ Im Mai geht das Format im Rahmen der Ausstellung „Reset“ mit Werken von Jannis Kounellis, Isa Genzken, Alicja Kwade und 15 weiteren Künstlern in die nächste Runde.

Skepsis und Berührungsängste

Als der New Yorker Galerist David Zwirner 2018 die neue Stelle des Online Sales Director schuf und sie mit der jungen Elena Soboleva besetzte, die zuvor für die Online-Plattform Artsy tätig war, hagelte es höhnische Kommentare. Artnet nannte Soboleva „Millennial Social Media Whiz“, Art Newspaper bezeichnete sie als „Curator-cum- instagram-influencer“. Beiden Titeln haftete die Skepsis und Berührungsangst an, mit der die Kunstwelt auf Instagram als Geschäftsmodell sieht. Kunst, die ihre eigene Warenförmigkeit gerne verschleiert, sollte vom vermeintlich oberflächlichen und durchkommerzialisierten Influencer-Dasein abgegrenzt werden.

Zwirners Impuls, den virtuellen Raum wie eine seiner Dependancen in Hongkong oder London zu behandeln, zahlt sich spätestens jetzt aus. Während seine Kollegen aktuell versuchen, ihre geschlossenen Ausstellungen als 3-D-Architekturmodelle in den digitalen Raum zu übersetzen, weihte Zwirner schon vor drei Jahren sogenannte Online Viewing Rooms auf seiner Website ein. Die über eine Mail-Schranke geschützten Mikrosites präsentieren Kunstwerke zusammen mit Interviews, Videos und Zusatzmaterial. Dass diese digitalen Ausstellungen schon vor Corona eine ernstzunehmende Alternative für Sammler waren, die ihre Messebesuche aus Reisemüdigkeit und Klimagründen reduzieren wollten, zeigen die Zahlen. Kürzlich teilte die Galerie mit, dass die Verkäufe im Netz kontinuierlich ansteigen: 2018 um 159 Prozent, 2019 um 400 Prozent. 40 Prozent der Verkaufsanfragen stammten von Neukunden.

David Zwirner stellt sein Know-how zur Verfügung

Von Zwirners Know-how können aktuell zwölf kleinere New Yorker Galerien profitieren. Mit der Initiative „Platform“ hat der Galerist Kollegen eingeladen, auf seiner Website Arbeiten von jeweils einem Künstler anzubieten – ohne für die Online-Präsenz zahlen zu müssen oder beim Verkauf Kommission abzugeben. Ramiken zeigt Gemälde des gebürtigen Südtirolers Sven Sachsalber, der Replika der zebragestreiften Skianzüge des deutschen Alpinkaders auf die Leinwand bringt (8000 Dollar), während 47 Canal einen gefüllten Einkaufswagen von Josh Kline als sozialkritisches Statement bereithält (75 000 Dollar).

„Platform“ bleibt nicht nur auf New York beschränkt. Ab diesem Wochenende startet die Londoner Ausgabe mit Galerien wie Arcadia Missa, Carlos/Ishikawa und Emalin. Das Projekt zeugt von Solidarität im Ellenbogenbetrieb des Kunstmarkts, ist aber natürlich nicht ganz uneigennützig. Mega-Galeristen wie Zwirner profitieren vom innovativen Umfeld der jüngeren Mitbewerber, besonders wenn sie Aufbauarbeit für spätere Superstars leisten.

Dass Kooperation auch offline wichtig ist, hat Matthias Arndt ebenfalls erkannt. Mit A3 ist er Gründungsmitglied des Cromwell Place in London, der dieser Tage hätte eröffnen sollen. Der neue Kunstort unweit des Victoria and Albert Museums stellt seinen Mitgliedern – die sich um eine „Membership“ bewerben und dafür bezahlen – Ausstellungsräume, aber auch Büros und Lagermöglichkeiten auf Zeit zur Verfügung. Memberclubs haben in London Tradition, Co-Working-Spaces gehören zum Stadtbild – eine Adaption für die Kunstwelt erscheint da nur sinnvoll. Ob sich ein solches Modell auch in Berlin durchsetzen kann, wird sich nach Corona zeigen. Vorerst bleibt die Flucht nach vorn in den digitalen Raum.

Laura Storfner

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