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Festivalwanderung unter dem Motto „Orientierungssinn“. In Davos ziehen Publikum und Orchester in die Natur.

© Yannick Andrea

Davos Festival in der Schweiz: Hier erlebt man Klassik vor spektakulären Bergkulissen

Das Davos Festival kombiniert Konzerte mit Wanderungen durch malerische Landschaften. Musikalisch setzten die Schweizer auf aufstrebende Talente aus aller Welt.

Schon um neun Uhr morgens treffen wir uns am Bahnhof Davos Wiesen, etwa zwanzig Minuten Bimmelbahn-Fahrzeit entfernt vom Festivalzentrum in Davos Platz. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als sich die Teilnehmer der Festivalwanderung unter dem Motto „Orientierungssinn“ zu Kaffee und stärkenden Gipfeli einfinden.

Ausgerüstet mit robustem Schuhwerk und in bester Laune lauschen alle dem ersten, wie improvisiert wirkenden Konzert: Perkussionist Fabian Ziegler produziert mit seinem Colores Trio experimentelle Klänge vor pittoresker Bergkulisse, zufällig Vorbeikommende schauen neugierig, die wanderlustigen Festival-Gäste rühren andächtig in ihren Kaffeetassen.

Dann geht es los, aufwärts zum Bärentritt in einer langen Prozession durch wilde Schluchten, entlang an Bächen, durch Wälder und Lichtungen, bis zum nächsten musikalischen Halt auf einer malerischen Bergwiese: Andreas Felber dirigiert eine kleine Abordnung des Davos Festival Chors, es ertönt Volkstümliches a cappella, ein Singbuch wird verteilt, alle zusammen stimmen schlichte Kanons und Mehrstimmiges an, ein Hund fällt manchmal leise jaulend mit ein.

Anschließend geht es steil hinauf durch die Wolfsschlucht, bis sich endlich das saftig grüne Hochplateau des Walserdorfs Wiesen öffnet. Dort wartet ein Mittagessen, es folgt ein Rundgang durch den Ort und um 15 Uhr in der Dorfkirche die Uraufführung von „from the noise“, gespielt von dem fabelhaften Sibja Saxophone Quartet, komponiert von Ensemblemitglied Joan Jordi Oliver.

Die Festivalwanderung hat Tradition beim Davos Festival, das in diesem Jahr erstmals unter der Leitung des Intendanten Marco Amherd steht. Als Festival-Motto hatte er sich bereits vor einem Jahr das Motto „Von Sinnen“ ausgedacht. „Dabei habe ich gar keine hellseherischen Fähigkeiten“, wie er bekennt und heute froh ist, dass das Motto so gut zu diesen außergewöhnlichen Zeiten passt und so viel inhaltlichen Spielraum lässt.

Davos ist kein Star-Festival

Amherd ist Organist, Dirigent und Wirtschaftswissenschaftler und hat ein Faible für ausgeklügelte Programme: „Ich bin jemand, der gerne einen roten Faden spinnt und auch Ungewöhnliches präsentieren möchte, von daher bin ich hier bei diesem jungen Festival genau richtig.“

Das Davos Festival ist kein Star-Festival, bei dem sich etablierte Größen des Klassik-Betriebs mit ihren feststehenden Programmen die Klinke in die Hand geben. Das 1986 gegründete Festival in der am höchsten gelegenen Stadt Europas, die vor allem für Wintersport und das Weltwirtschaftsforum steht, will Bühne und Labor sein für aufstrebende Talente, die sich dort in immer neuen kammermusikalischen Formationen mit vor Ort einstudierten Programmen präsentieren.

Die Berliner Pianistin Marlene Heiß tritt am Abend des Wandertags im Konzert „Liebessinn“ im Hotel Schweizerhof als Liedbegleiterin auf und spielt solistisch Alban Bergs Klaviersonate opus 1. Sie ist das erste Mal in Davos: „Zum einen ist es ganz besonders in Davos, weil das für uns alle hier die ersten Auftritte seit Corona sind. Es ist wahnsinnig schön, endlich so intensiv zu proben und zu spielen, es ist wie eine Entschädigung. Und es ist ein sehr junges Festival, sowohl von den Beteiligten her als auch von der Konzeption der Programme, das ist alles sehr pfiffig und abwechslungsreich.“

Die Programme sind in der Tat ungewöhnlich, am Abend vor der Wanderung findet in und um das ikonische Hotel Schatzalp hoch über Davos – Thomas Mann ließ sich von diesem magischen Ort für seinen Roman „Der Zauberberg“ inspirieren – unter dem Titel "Übersinnlich“ ein dreiteiliges Konzert mit kulinarischen Intermezzi statt.

Das Publikum kommt überwiegend aus der Schweiz

Es beginnt im Hotelpark mit Bläser-Ensembles von Samuel Barber und Beethoven, es folgt im Salon ein barocker Programmblock mit Matías Lanz am Cembalo und Alex Jellici an Gambe und Cello, unter anderem mit der musikalischen Schilderung einer Gallenblasenoperation von Marin Marais, bei der Intendant Amherd mit genüsslichem Sadismus auf Französisch die medizinischen Satztitel ansagt.

Den Schluss nach spektakulärem Sonnenuntergang über den Berggipfeln macht ein Programmblock mit Nachtmusiken von Claude Debussy, Gerald Resch, Francis Poulenc und Franz Strauss, Raritäten in auratischer Atmosphäre und in unterschiedlichsten Besetzungen.

Das Publikum stammt überwiegend aus der Schweiz, aus dem deutschsprachigen Raum und ist gewöhnt, auch mit Neuer Musik konfrontiert zu werden. „Wir haben ein Publikum mit offenen Ohren“, sagt Amherd.

Lange Zeit war nicht klar, ob das Festival wegen Corona würde stattfinden können. Da aber nur Kammermusik gespielt wird, konnten die Umstände angepasst werden. Anders als bei den Salzburger Festspielen werden in Davos die Musiker und Musikerinnen nicht regelmäßig getestet, dafür aber wird zwei Mal am Tag ihre Temperatur gemessen.

Amherd hat sich mit Ärzten beraten: „Man hat mir von Tests abgeraten, weil die unter Umständen eine falsche Sicherheit suggerieren.“ Für das Publikum gilt die Maskenempfehlung, die auch durchweg beherzigt wird. Bislang ist alles gutgegangen. Der Intendant ist vorsichtig optimistisch: „Ich sehe sogar für uns eine Chance durch Corona. So vieles ist abgesagt worden, Davos ist deshalb ein bisschen mehr ins Zentrum des Interesses gerückt.“
Das Davos Festival läuft bis zum 15. August. Auf Youtube hat das Festival einen eigenen Kanal.

Regine Müller

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