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Heinrich Böll 1983 bei der Blockade des US-Raketendepots in Mutlangen.

© picture-alliance/ dpa

Heinrich Böll: Ein Leben zwischen Literatur und Politik

Politik und Literatur: eine Soirée des Bundespräsidenten zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll.

Es soll natürlich eine Einladung zum Heinrich-Böll-Lesen, zum Wiederlesen sein, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Ende dieses Abends im Schloss Bellevue ausspricht; auf dass jeder zuhause doch bitte schön in seiner Bibliothek stöbern und nachschauen möge, ob sie dort stehen, wo sie einst reingestellt wurden, so Steinmeier, die Bücher von Böll, um sie sich wieder zu Gemüte zu führen. Doch haben diese Sätze des Bundespräsidenten schon auch etwas Verräterisches. Denn man fragt sich sofort: Haben bei mir zu Hause beispielsweise die Böll-Romane überhaupt noch ihren Platz, sind sie und ihr Autor nicht lange in Vergessenheit geraten?

Diese Soirée zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll am kommenden Donnerstag, wie überhaupt die medialen Jubiläumsfeierlichkeiten, sie sind ein Anlass, um den 1917 in Köln geborenen deutschen Literaturnobelpreisträger des Jahres 1973 wieder mehr ins öffentliches Bewusstsein zu rücken. Dafür hat man sich im Bundespräsidialamt mit einer prominenten Gästeliste viel Mühe gegeben: Die Schauspielerin Angela Winkler, die 1975 in der Schlöndorff-von-Trotta-Verfilmung von Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ die Hauptrolle spielte, ist gekommen, der Schauspieler Mario Adorf (der auch in dem Film mitspielte), der Entertainer und Schauspieler Ilja Richter, der Kölner Popmusiker Wolfgang Niedecken, der Theologe Karl- Josef Kuschel sowie der Schweizer Literaturkritiker Andreas Isenschmid.

Die ganze Crux mit Böll

Obwohl Steinmeier einmal betont, dass es das literarische Werk sei, das Böll „unverwechselbar“ gemacht habe, dass Böll nur aus den „tiefsten Impulsen seines Schreibens“ zu verstehen sei, gibt Angela Winkler mit dem Vortrag ihres Auszugs aus dem „Spiegel“-Böll-Nachruf von Hans Magnus Enzensberger die ganze Crux mit Böll vor, womöglich auch die vielen Facetten vorwegnehmend, die ihn diesseits der Literatur ausgemacht haben, als Menschen, Moralisten, Zeitkritiker, Katholiken und mehr. „Mit den Anhängern des Ewig Schönen“, schrieb Enzensberger damals, „verdarb er es dadurch, dass er Ansichten hatte, die ihn für die Rolle des Repräsentanten disqualifizierten; die Anhänger des Ewig Schönen brauchen immer einen Goethe, möge er nun Gerhart Hauptmann heißen oder Thomas Mann. Der arme Heinrich aber hat das Ende der Bescheidenheit zwar verkündet, doch was ihn betraf, so war er außerstande, von ihr Abschied zu nehmen.“ Und, so Enzensberger weiter: „Auch, dass er ein guter Mensch war, hat seinem literarischen Ruf geschadet.“

An diesem Abend will sich trotz allen Anspruchs, den jüngeren, literarischen Böll in den Mittelpunkt zu rücken, gerade dessen literarische Größe nicht zu kurz kommen zu lassen, diese doch nicht so recht erschließen. Mit Auszügen aus dem antiquiert satirischen „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“ oder dem sprachlich doch dünnen Alltagsstück „Zur Verteidigung der Waschküchen“, mit dem „Monolog eines Kellners“ oder dem immerhin schön hintergründigen Rheinbetrachtungen „Undines gewaltiger Vater“. Viel interessanter und komplexer wird Heinrich Böll in den kurzen Vorträgen von Andreas Isenschmid und Karl-Josef Kuschel, da ist er viel mehr als bloß der „große Kumpel“, als den ihn Siegfried Lenz 1985 bei seinem Tod betrauerte, als die ewige „moralische Instanz“, die er nie sein wollte. Was ihm als Etikett stets zuwider war, was ihn immer wieder dazu provozierte, auch einfach mal eine Clowns- oder Narrenkappe aufzusetzen.

Die Menschwerdung des Menschen

Isenschmid arbeitet Bölls zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland schön heraus, seine „dialektische Deutschheit“, dass seine Heimat seine Heimatlosigkeit gewesen sei, er stets eine „displaced person“, bis hin zu seinem Ausspruch aus seiner Nobelpreisrede 1973, dass ihm „manches Deutsch, das ich lese und höre“, fremder sei „als Schwedisch, von dem ich leider sehr wenig verstehe.“ Und Kuschel analysiert Bölls zwar tiefgläubigen, aber durchaus differenzierten Katholizismus, seine ständige „Arbeit an der Menschwerdung des Menschens“ und erwähnt die Bewunderung, die Böll für unangepasste katholische Schriftsteller wie den Franzosen Léon Bloy gehegt habe.

Es ist eine angenehm unterhaltsame, durchaus farbige Soirée, eine, die die Schwarz-Weiß-Bilder der alten Bundesrepublik vorbeiziehen lässt: Böll in Mutlangen, hier einmal Rudi Dutschke, dort zweimal Willy Brandt. Und die auch musikalisch vor- und zurückgreift. Der geborene Kärntner Udo Jürgens ist mit seinem 1971 veröffentlichten Song „Lieb Vaterland“ zu hören, was Steinmeier damit kommentiert, dass Böll sogar einen Udo Jürgens erreicht habe: „Und war somit in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Wolfgang Niedecken singt live ganz schön „Ungar Krahnebäume“ und spielt dazu Akustikgitarre und Mundharmonika, und musikalische Schnipsel von Peter Gabriel, Sinéad O’Connor und den Pogues, die Böll allesamt sicher nicht auf seiner Playlist gehabt haben dürfte, gibt es auch.

Reich-Ranicki hielt ihn für einen Repräsentanten Deutschlands

Was sich, womöglich naturgemäß, nicht ergibt an diesem Abend, an dem vor allem neben Autoren und Autorinnen wie F. C. Delius, Rüdiger Safranski, Ursula Krechel, Jana Hensel oder Hans- Christoph Buch der Literaturbetrieb en gros vertreten ist, das ist eine Verbindung zur Gegenwart; der Link zu einer ungemütlichen Gegenwart, die einen ständigen „Einmischer“, wie Böll stoisch und notorisch einer war, nur allzu gut gebrauchen könnte. Und natürlich bleibt die Frage offen, wie aktuell gerade Bölls Romane noch sind, Romane wie „Und sagte kein einziges Wort“, „Ansichten eines Clowns“ oder „Frauen vor Flußlandschaft“. Ob Heinrich Böll, Literaturnobelpreis hin oder her, wenn er schon damals kein Schriftsteller für Literaten, sondern vor allem für Leser gewesen ist, wie der „Spiegel“ 1961 in einem nicht besonders freundlichen Böll-Artikel mit dem Titel „Brot und Boden“ urteilte, denn heute noch gelesen wird – oder gerade bei einer jüngeren Generation auf Resonanz stößt?

Am Ende sind Marcel Reich-Ranicki die abschließenden Worte aus einem Böll-Porträt von 1987 vorbehalten. Er sei ein „Repräsentant Deutschlands“ gewesen, meinte Reich-Ranicki damals, wie ihn die Deutschen noch nie gehabt hätten: „Ein Deutscher und vielleicht doch kein typisch deutscher Schriftsteller. (...). Er war der erste deutsche Schriftsteller, seit Thomas Mann, der das Recht hatte, im Namen Deutschlands, mehr noch, im Namen aller Leidenden dieser Erde das Recht hatte, zu sprechen. (...). Er war mehr als ein Schriftsteller“. Also doch, anders als Enzensberger das glaubte, ein Repräsentant. Schönheit allein reicht halt nie.

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