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Zehn Monate lang wurde das frühere Depot der Staatsoper für die neue Nutzung als Akademie entkernt.

© Volker Kreidler/ Barenboim-Said-Akademie

Richtfest bei der Barenboim-Said-Akademie: Harmonie vor Notenständern

Nach dem Humboldt-Forum feiert jetzt auch die Barenboim-Said-Akademie Richtfest. Damit hebt Daniel Barenboim seine Vision des West-Eastern Divan Orchestra auf eine neue Ebene.

In der Französischen Straße, neben der St. Hedwigs-Kathedrale wächst hinter der Intendanz der Staatsoper seit genau einem Jahr die wohl ungewöhnlichste Musik-Hochschule der Republik heran – die Barenboim-Said Akademie. An diesem Montag feiert sie Richtfest.

Es ist ein kulturpolitisches und architektonisches Wunder. Über dem Projekt liegt das ungeteilte Wohlwollen des Kulturausschusses im Bundestag, der Bundes- und Stadtregierung und – um die notorische Berliner Baukosten- und Terminfrage gleich beantworten – die Bauarbeiten liegen im Zeitplan. Spätestens im Sommer 2016 öffnet das Gebäude seine Tore, auch das Budget (33,7 Millionen Euro) wird eingehalten. Private Sponsoren haben ein gutes Drittel der Baukosten gespendet, der Rest stammt aus dem Etat von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Die Stiftung Oper in Berlin hat das unverkäufliche, ehemalige Depot der Staatsoper per Erbbaupachtvertrag 99 Jahre zur Verfügung gestellt, zehn Monate lang wurde es teil-entkernt.

Daniel Barenboims Vision, die Idee seines inzwischen weltberühmten West-Eastern Divan Orchestra auf eine neue Ebene zu heben, wird Wirklichkeit. Vom Herbst 2016 an werden junge Studierende aus dem Nahen Osten, Araber und Israelis, in Berlin eine vierjährige musikalische Ausbildung nach Vorgaben des Maestros genießen, bis zu 85 Studierende gleichzeitig. Ein besonderes Merkmal des Studiums liegt im geisteswissenschaftlichen Curriculum: Musik- und Kulturgeschichte werden in einem engeren Kontext vorgestellt als an anderen Musikhochschulen. Die humanistische Grundhaltung des amerikanisch-palästinensischen Literaturwissenschaftlers Edward Said (1935 - 2003), Mitgründer des West-Eastern Divan Orchestra, soll den Geist der Lehre lenken.

320 Tonnen wiegt der Rang des von Frank Gehry geplanten Konzertsaals - eine luftige Fermate.

© Volker Kreidler/Barenboim-Said-Akademie

Ein Zeichen für Harmonie und Offenheit

Die Bundesrepublik setzt mit der Akademie ein kulturpolitisches Zeichen in der nahöstlichen Konfliktregion: Im gemeinsamen Lernen und Musizieren üben die jungen Studierenden die Fähigkeit ein, sich nicht nur hinter Notenständern in Harmonie und gegenseitiger Offenheit zuzuhören – eine Lernziel für alle modernen Gesellschaften. Gibt es ein besseres Medium für diesen Prozess als Musik? In jedem gelungenen Konzert liegt nicht nur der kathartische Kunstgenuss des einzelnen Zuhörers beschlossen, sondern auch das glückliche Erlebnis einer gemeinsamen Erfahrung von Musikern und Publikum. Es ist diese Art von Gemeinsamkeit, die als Hoffnungssignal über die Akademie hinausweisen soll. Die Absolventen können in ihre Heimatregionen mit einer Erfahrung zurückkehren, die ihnen aus politischen Gründen verwehrt bleibt. Über Konfliktgrenzen hinweg werden Freundschaften entstehen, gestiftet vom gemeinsamen Lernen und Musizieren in Berlin.

Auf dem Höhepunkt der Bauzeit arbeiten jetzt 50 Gewerke miteinander. Sie folgen den Bauplänen der Architektenbüros HG Merz und rw+, die für den akademischen Westflügel und das Foyer des ehemaligen Depots verantwortlich zeichnen. Das erfolgreiche Baumanagement liegt in den Händen der Firma teamproject. Den erstaunlichen Pierre-Boulez-Konzertsaal für 622 Zuhörer im Ostflügel hat der amerikanische Architekt Frank Gehry entworfen, ein kostenloser Freundschaftsdienst für Daniel Barenboim. Der in jeder Hinsicht außergewöhnliche Saal wird den Absolventen als Proberaum dienen – aber auch eine Raumlücke für Kammerkonzerte in Berlin schließen.

Den Entwurf für den Pierre-Boulez-Konzertsaal mit dem darüberschwebenden Rang steuerte der US-Stararchitekt Frank Gehry bei, gratis. Der Saal hat Platz für 622 Besucher.

© dpa

An Richtfesten herrscht in Berlin kein Mangel

An Richtfesten herrscht in Berlin derzeit kein Mangel. Der mittelalterliche Brauch hat sich erhalten, auch in der baufleißigen Hauptstadt gehört er zum symbolischen Ritual, das bekanntlich in grauer Vorzeit die Lohnauszahlung für die Maurer feierte und, so steht es im Lexikon, „für den Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit kennzeichnend war“. Dabei ist es geblieben, wenngleich dem Land die Untertanen gottlob abhanden gekommen sind. Die Obrigkeit hingegen existiert weiter und verbirgt sich manchmal im Labyrinth von baurechtlichen Vorschriften und Industrienormen sowie hinter einem Amts- und Fachvokabular, das alle architektonische Fantasie übertrifft.

Hier nur einige bizarre Exemplare aus dem Wörterbuch des deutschen Bauwesens, die für uns Bauherren die Beweglichkeit der deutschen Sprache im Betonzeitalter dokumentiert: Bauleistungsverdingungsordnung, Bepunktungslogik, Mittelspannungsnetzanschlussvertrag, Stempelordnung, Frischbetonverbunddichtungsbahn ... Lauter Sprachungetüme, über der das Wort „Positionsmuffe“ wie eine liebliche Sommerwolke schwebt. Alles lässt sich heutzutage globalisieren, nur die elastische deutsche Sprache wehrt sich europaweit mit allen Kräften – und mit Erfolg.

Streit gibt's trotzdem: um die Straßensondernutzungsgebühr

Da gibt es zum Beispiel die Straßensondernutzungsgebühr, die nur dann nicht fällig ist, wenn die Baustelle im „besonderen Interesse Berlins“ liegt. Im Falle der Barenboim-Said-Akademie wurde das von der Senatskanzlei bestätigt. Das stolze Bezirksamt Berlin-Mitte aber meinte, dies liege nicht in der Zuständigkeit des Regierenden. Die geforderte Gebühr: 99 176,13 Euro. Man schickte eine Gerichtsvollzieherin, aber der alte Kelim im Büro der Akademie war so viel nicht wert. Die tapfere Abgesandte der Amtsmacht ging mit leeren Händen davon - zurück in die Gleichzeitigkeit von Berliner Großzügigkeit und Berliner Kleingeist. Der Fall wurde von der nächsthöheren Dienststelle gelöst, das Bezirksamt gab nach. Auf dem heutigen Richtfest wird auch dieser Obrigkeit ein fröhliches Dankeschön entboten.

Musik versöhnt, wer will das bestreiten? Weil das so ist, liegen auf der Akademie die schönsten Hoffnungen. Und über dem Parkett des Konzertsaals schwebt Frank Gehrys schwungvoller Rang mit einem Betongewicht von 320 Tonnen – ein architektonisches Wunderwerk der Statik, als wäre es eine glückliche, luftige Fermate. Man wird staunen.

Michael Naumann war der erste Staatsminister für Kultur und ist Direktor der Barenboim-Said-Akademie.

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