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Albumkritik: Handgranate! Hanfparade!

Groove der Rebellion: Das HipHop-Trio Beginner bringt sein neues Album „Blast Action Heroes“ heraus

Einer ihrer frühesten Helden war ein Schwein namens „McFly“. McFly ließ sich jeden Morgen aus dem Stall auf ein Feld treiben, um im Schlamm zu suhlen. Von dort war ein Wald zu sehen, in dem Tiere ganz ohne Zwang und Zäune lebten, und machmal träumte McFly davon, auch dort zu sein, in der Freiheit. Nur traute er sich nie wegzulaufen. Bis dann eines Tages der Metzger kam und McFly abschlachtete. Das Ende vom Lied: „Oh bitte, sei nicht wie McFly.“

Das Stück aus dem Schweinestall, das die Absoluten Beginner 1996 rappten, hat es inzwischen in den Deutsch-Unterricht geschafft. Es wurde in das Reclam-Bändchen „Rap-Texte“ der Reihe „Arbeitstexte für den Unterricht“ aufgenommen, als einer der besten deutschen HipHop-Songs der Neunzigerjahre (hrsg. für die Sekundarstufe von Sascha Verlan, 126. S., 3,10 €). Im Vorspann heißt es: „Mit ,McFly’ haben die Absoluten Beginner den ersten allegorischen Rap geschaffen.“

Deutschland in der Nacht

Jan Eißfeldt, der „McFly“ schrieb, ist großer Fan des Deutsch-Unterrichts. Dass sein Text in das Reclam-Heft aufgenommen wurde, freut ihn. „Was im Vorspann steht, war original das, was wir dachten, als wir das Stück aufnahmen“, erzählt er. „Wir wollten keine Parolen mehr aufsagen, sondern das, was uns auf dem Herzen lag, anders rüberbringen.“ Dass man indirekt möglichweise besser verstanden werden könne, sei „faszinierend“. Erst recht, wenn es dann auch noch „in so Bildungsbüchern nachzulesen ist“. Wie die Texte seiner Band am besten im Deutsch-Unterricht eingesetzt werden könnten, darüber hat Eißfeldt allerdings noch nicht nachgedacht. Er findet: „Wir machen unseren eigenen Unterricht.“

Auf dem Lehrplan der Beginner – den ersten Teil ihres Namens haben sie abgelegt – steht vor allem ein Fach: Politik. Ihr neues Album „Blast Action Heroes“ (Buback/Motor/Universal), das heute erscheint, ist ein großartiges Manifest des Nichteinverstandenseins. Denken die drei Hamburger HipHopper an Deutschland in der Nacht, fallen ihnen marodierende Neonazis und geisterhafte Innenstädte ein, die an Hochsicherheitstrakte erinnern: „Wo andere ein Herz haben, hat Deutschland ’ne Alarmanlage“, heißt es in dem Stück „Scheinwerfer“. „Deutschland im Dunkeln, das sind nackt geleckte Innenstädte / Menschenleer, nur Straßenfeger mit Pinzette / Ansonsten registrieren die Bewegungsmelder nur die Typen vom Sicherheitsdienst / In den Hügeln sind wieder Wandertage / Und die Wiking-Kameraden marschieren ihre Trampelpfade.“ In der Ballade „Wunderschön“ geißeln sie sarkastisch Umweltverschmutzung und Ignoranz , in der vorab ausgekoppelten Single „Fäule“, eigentlich eine Lobhudelei auf die eigene Großartigkeit, attackieren sie en passant die FDP („Inhaltlos muss scheitern so wie Westerwelle“).

Dazu pulsieren harte Elektro-Beats, trompeten synthetische Bläsersätze, säuseln Backgroundsängerinnen. So viel Groove hatte Rebellion in Deutschland schon lange nicht mehr. HipHop sei das „CNN des Ghettos“, hat der US-Rapper Chuck D. einmal bemerkt. Für die Beginner, die dem relativen Wohlstand der Hamburger Stadtteile Eimsbüttel und St. Pauli entstammen, ist HipHop tatsächlich das ideale Medium, sich im Wortsinn einen Reim auf die Wirklichkeit zu machen. Von der Bundestagswahl bis zum „Krieg gegen den Terror“ gibt es kaum ein Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte, das auf der CD unkommentiert bleibt. „So viele Dinge, die passieren, und ich schreib drüber/ Mal wie Bertolt Brecht, mal eher wie Mike Krüger“, sprechsingt Eißfeldt in „Fäule“.

Ihren Höhepunkt erreicht die Mischung aus Angeber-Attitüde und Leitartiklerei in „Schill-Schily Bäng Bäng“. Da wird der ehemalige Hamburger Innensenator Schill als gnadenloser Operetten-Politiker verspottet, und Bundesinnenminister Schily, der früher die „Ärmsten der Armen“ verteidigt habe, als ebenso gnadenloser Opportunist: „Er schaffte es, den Kopf einmal ganz umzudrehen / Perfekt wie ein Kreis, 360 Grad“.

„Ein Typ wie Schily ist noch schlimmer als Schill“, erklärt der 27-jährige Eißfeldt. „Es gibt ältere Menschen, die haben dem wirklich mal vertraut. Als ich begann, über Politik nachzudenken, war Schily schon auf der anderen Seite.“ Schily und Schill werden als „Schweine“ tituliert; in dem Song könnte ein übereifriger Staatsanwalt sogar eine Aufforderung zum Schusswaffengebrauch sehen. Angst vor einer Strafanzeige haben die Beginner trotzdem nicht. „Das wäre der größte Triumph, wenn die uns vor Gericht bringen würde“, sagt Guido Weiß alias DJ Mad: Der 29-Jährige ist bei dem Trio für die Samples zuständig. Und „Bäng Bäng“, fügt Eißfeldt hinzu, habe in der HipHop-Terminologie nicht unbedingt etwas mit Schießen zu tun: „Die Busta Rhymes singen: ,Bäng Your Head’. Das heißt ja nicht, dass sich ihre Fans erschießen sollen.“

Mit der Justiziabilität seiner Texte hat der Rapper schon Erfahrungen gemacht. Als er vor zwei Jahren unter dem Pseudonym Jan Delay das Soloalbum „Searching For The Jan Soul Rebels“ veröffentlichte, änderte er auf dringenden Rat eines Anwalt bei dem RAF-Abgesang „Söhne Stammheims“ die Zeile „Sag mir, wo die Terroristen sind / Sag mir, wo sind sie geblieben“ in „Endlich sind die Terroristen weg / Und es herrscht wieder Ordnung, Ruhe und Frieden“.

Aufstieg und Fall eines Musikstils

Fast fünf Jahre liegen zwischen „Blast Action Heroes“ und dem Vorgängeralbum „Bambule“. In der kurzlebigen Pop-Branche ist das eine halbe Ewigkeit. „Bambule“, die zweite CD der Beginner, wurde sofort ein Klassiker des deutschsprachigen HipHop und verkaufte sich mehr als 250000 Mal. In der Zwischenzeit arbeiteten Eißfeldt und sein 26-jähriger Rapperkollege Dennis Lisk alias Denyo an Soloprojekten. Lisk gründete einen Musikverlag sowie sein Studio „vaul & späth“; Eißfeldt werkelte in seinem Studio „Flatbüttel“. „Nach dem Herumtouren haben wir bloß zwei Monate gechillt und Ende 2001 mit der Arbeit an der neuen Platte begonnen“, sagt Eißfeldt. „Wir haben saumäßig lange an den Tracks rumgeschraubt, bis sie nach heutigen Standards ,fett’ klangen“, ergänzt Lisk.

Heutige Standards im HipHop, das heißt: ein noch aufgeblasenerer, noch saubererer Sound, mehr Syntheziser. Bei der Produktion orientierten sich die Beginner an amerikanischen Vorbildern wie Timbaland, Dr. Dre und den Neptunes. Von der Opulenz ihres Werkes konnte man sich vorab allerdings nur einen beschränkten Eindruck verschaffen. Aus Angst vor Raubkopien waren nur unfertige Fassungen des Albums auf Musikkassetten verschickt worden, mit runtergepegelten Bässen und Kommentaren in verzerrten Schlumpf-Stimmen.

Von der Aufbruchstimmung, die vor vier, fünf Jahren im deutschen HipHop herrschte, ist nicht viel übrig geblieben. Damals beherrschten Formationen wie Fettes Brot, Massive Töne oder Fischmob die Charts. Heute weigern sich MTV und Viva bis auf wenige Ausnahmen, die Videos von deutschsprachigen Rappern überhaupt noch ins Programm zu nehmen. Auf „Blast Action Heroes“ singen die Beginner dem Genre mit „Back In Town“ sogar eine Art Totenlied: „Vier Jahre und es passierte so vieles / Der Aufstieg und Fall eines ganzes Musikstiles / Die gelangweilten Kids haben uns Leid getan/ Drum haben wir Tracks gebaut die knallen wie ’ne Handgranate / Obwohl wir peaciger sind als die Hanfparade.“

Ob es in Zeiten der CD-Piraterie mit dem neuen Album an den kommerziellen Erfolg von „Bambule“ anknüpfen kann, daran hat das Trio seine Zweifel. Zur Beschleunigung der Arbeit hat das ungeschriebene Branchengesetz, wonach eine neue Platte immer noch größer als der Vorgänger zu sein habe, sicher nicht beigetragen. Der Arbeitstitel für „Blast Action Heroes“ lautete „Hitlife Crisis“.

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