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Grips-Theater: Habe die Ehre

Selbstbestimmte Mädchen sind für Islamisten eine Schande: „Haram“ heißt das neue Drama am Grips-Theater. Dabei wird der Islam nicht als frauenfeindliche Religion attackiert, sondern dessen Auslegung in patriarchalen, gewalttätigen Strukturen.

Hierzulande kennen wir keine Ehre. Zumindest keine für die ganze Familie, die man gegen den Sittenverfall verteidigen müsste, die zusammenschweißt und Identität stiftet. Der Begriff ist uns so fremd wie viele der Menschen, die nach ihm leben, früher Gastarbeiter, dann Ausländer und schließlich Migranten genannt. Noch weniger geläufig freilich ist uns das Wort „Haram“, zumal es sich nicht einfach übersetzen lässt. Es bezeichnet etwas Verbotenes, einen Verstoß gegen die Gebote des Koran, aber auch Schande schwingt mit. „Haram“, so hat der niederländische Autor Ad de Bont sein Stück über den inneren Konflikt einer marokkanischen Familie genannt, zu dem er von einer Zeitungsmeldung inspiriert wurde.

Um einen muslimischen Vater ging es dort – und geht es auch in seiner Bühnenversion – der beschließt, dass seine Kinder die Wirren der Pubertät besser nicht in der elterlichen Wahlheimat Holland, wo sie aufgewachsen sind, sondern lieber in Marokko erleben sollen. Dort zählten islamische Werte noch.

In der straffen, pointierten Regie von Yüksel Yolcu, der das Stück nun fürs Grips-Theater inszeniert hat – als letzte Produktion in der Schiller-Theater-Werkstatt, bevor das Grips dort der Staatsoper weichen muss und neue Räume im Podewil bezieht – wird daraus eine spannende Befragung der Identität zwischen zwei Kulturen. Um erst gar keine falschen Illusionen darüber aufkommen zu lassen, dass hier ein deutsches Jugendtheater in die islamische Welt einzutauchen versucht, bedient sich Yolcu eines wirkungsvollen Kunstgriffs: Zur Live-Gitarrenmusik von Necati Seren wechseln die drei vorzüglichen Schauspieler Kathrin Osterode, Sebastian Achilles und Robert Neumann nicht nur szenenweise die Rollen von Vater, Mutter, Kindern, sondern stellen den Verwandlungsprozess auch offen aus. Schminken sich während des Einlasses, debattieren mit dem Textbuch in der Hand, wer welchen Part übernehmen soll. Was en passant ironische Kommentare zur vermeintlich aufgeklärten Überlegenheit des Westens abwirft, wenn etwa Osterode lieber den herrischen Onkel Abbas statt der greisen Familienältesten geben will: „Nur weil ich eine Frau bin, soll ich die Großmutter spielen?“

Es ist eine Männerwelt, von der „Haram“ erzählt. Es sind die Mädchen, die Schande über die Familie bringen. Vater Amar hat erlebt, wie die verwestlichte Tochter seines Bruders auf die schiefe Bahn geriet, das will er seiner Aziza ersparen – die sich wiederum zu Recht vor einem verschleierten Leben fürchtet.

Ad de Bont attackiert dabei nicht den Islam als frauenfeindliche Religion, sondern dessen Auslegung in patriarchalen, gewalttätigen Strukturen. Sein Stück ist kontrovers, im besten Sinne. Es zeigt drei Kinder, die sich nicht für Ehre, sondern für ihre Freunde in Holland interessieren. Einen überforderten Vater, der selbst unter dem Druck seiner Familie steht. Eine duldsame Mutter, die gelernt hat, ihre Gefühle zurückzunehmen. Dass man auch für die Eltern Verständnis entdeckt, ist die größte Leistung von Autor, Regie und Schauspielern.

Wieder am 10. (18 Uhr), 11. (19.30 Uhr) sowie am 13. und 14. Oktober (11 Uhr).

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