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Als er noch jung war: Der Pop-Schriftsteller Joachim Lottmann, 65

© dpa

Joachim Lottmanns Roman "Sterben war gestern": Gymnastik der Anpassung

Gegen die Meinungsdeutschen und das Wichtigkeits- und Glamourkartell: Joachim Lottmanns Schelmenroman „Sterben war gestern“.

Man kann die Jugend verprassen oder verpassen. Im letzteren Fall entwickelt sich oft eine unstillbare Sehnsucht, das Versäumte irgendwie nachzuholen. In der deutschen Literatur ist das ein großes Thema, man denke an den mürrischen Faust und seinen Drang, sich zu verjüngen, um noch mal richtig Spaß zu haben. Dafür geht er sogar den Pakt mit dem Teufel ein.

In der Gegenwartsliteratur denkt man an Rainald Goetz, der spät noch den Anschluss an die Jugendkultur und ihre Walpurgisnächte gesucht hat.

Ebenso besessen von der Jugend ist sein Widerpart Joachim Lottmann. Anders als Goetz pflegt der 1956 in Hamburg geborene „Erfinder der deutschen Popliteratur“ (so die Selbstauskunft) die Erscheinung eines gesetzten Herrn, der sich den äußerlichen Attributen der Jugendkultur verweigert. Allein deshalb ist eine angenehme Ironie im Spiel, wenn er sich selbst Roman um Roman beim Jüngerwerden beobachtet.

Lottmanns Alter Ego Johannes Lohmer hat den faustischen Drang zum Beruf gemacht. Er begegnet der Jugend im Modus der Feldforschung.

Im Mittelpunkt: Joachim Lottmann himself

So war es schon im 2004 erschienen Roman „Die Jugend von heute“, dessen Motive „Sterben war gestern“ (KiWi, Köln 2021. 352 S., 12 €.) wieder aufnimmt. Im Auftrag von Gurkenmeiers Institut für Jugendforschung soll Lohmer einen Report über die „Generation Greta“ verfassen, die als „kommunikativ unerreichbar“ gilt, erst recht allerdings, wenn sich ältere weiße Männer anpirschen.

Mit Charme und Chuzpe horcht er in zahlreichen Gesprächen die Jugend nach Vorlieben und Eigentümlichkeiten aus. Mit seiner alten Schwäche für Glamour zelebriert er den Kontakt mit einer gewissen Lana de Roy, die als „deutschlandweit leidlich bekannte Influencerin“ unterwegs ist.

Im Wiener Prater performt er im Corona-Frühling 2020 sogar Zärtlichkeiten mit einem luftig bekleideten Teenager namens Hildegard. Sie ziehen sich gegenseitig die Masken herunter und freuen sich an der Empörung ringsum, bis die „Kieberer“ kommen.

Lohmers Erkenntnisse über die Jugend verpuffen allerdings schnell. Als „Generation“ lässt sie sich in keine Schablone pressen, und der Witz dieses Romans ist, dass der schelmische Lohmer selbst gern im Mittelpunkt steht. Sein Wille zur Jugend ist eine Krise des Alterns.

Anfangs plagt er sich im Fitnessstudio, aber nur, weil seine Frau Harriet ihm die Mitgliedschaft zum Geburtstag geschenkt hat. Kurz bevor sein Körper ernsthaft Schaden nimmt, schafft er den Absprung. Mit anderen Haltungsschäden hat Lohmer jedoch bis zum Ende des Romans zu tun: den politischen. Dieses Thema ist interessanter als die zur fixen Idee gewordene und nun wirklich einmal auserzählte Jugendforscherei.

Rutscht Lottmann nach rechts?

In Lottmanns letztem, ziemlich guten Roman „Alles Lüge“ wurde die Politik erstmals zum tragenden Element.

Kaum erstaunlich, denn der „Pop-Literat“ schreibt die Gegenwart mit, und 2017 waren die Deutschen durch die Flüchtlingskrise politisiert und polarisiert wie lange nicht mehr. Seit je inszeniert Lottmann sein Alter Ego Lohmer als Querkopf: „Ich sah die Dinge notorisch anders, als es gerade vorgeschrieben war.“

So rupfte er in „Alles Lüge“ viele Blüten der politischen Korrektheit, und manche Leser hatten den Eindruck, dass er damit politisch nach rechts rüberrutschte. Inzwischen hat sich die Arbeitsgrundlage für solche Querköpfigkeit nochmal grundlegend geändert.

Die politischen Fronten haben sich weiter verhärtet; vor allem ist die Neigung, eine Meinung nicht als individuelle Äußerung zu werten, sondern umstandslos in politische Schubladen einzusortieren, größer geworden. Freund oder Feind? Das Lagerdenken schafft einen vorauseilenden Gehorsam, weil man es sich mit den Freunden nicht verderben will.

Bei Corona-Leugnern sieht Lohmer peinliche Gemeinsamkeiten mit der eigenen Widerspruchsneigung: „Wenn ich nur fünf Mal irgendwo dasselbe las oder hörte, begann bei mir bereits der Zweifel. Bei zehn Mal wurde der Zweifel zurGewissheit. Bei zwanzig Mal setzte ich mich an den Computer und schrieb gegen diese ‚Einheitsmeinung' an. Das ging nun nicht mehr. Die abweichende Meinung war jetzt eine Sache der Verschwörungstheoretiker geworden, und mit denen wollte ich ums Verrecken nicht verwechselt werden.“

Es regiert: skurrile Geschwätzigkeit

Aber Lottmann-Lohmer kann sich keine Abstinenz verordnen. Stattdessen vollführt er nun eine Gymnastik der Anpassung, die zu komischen Verrenkungen führt. Immer hat Lohmer versucht, die politische Balance zu wahren. Als Teilzeitjournalist hat er sowohl in der „Welt“ wie in der „taz“ publiziert. Liberalismus bedeute, zu „jedem Thema mehrere Meinungen kennen“ – das war sein Credo.

Nun werden ihm die falschen Kontakte und die falschen Likes nachgesagt. Es besteht die Gefahr, dass die „taz“ ihn nicht mehr druckt. Eilfertig „defriendet“ er sich von dem Freund, dessen Kontakt ihn in Misskredit bringen könnte, und demonstriert in einem wunderbar hündischen Gespräch mit einer jungen „taz“-Redakteurin Unterwürfigkeit.

Umso erregter grenzt sich Lohmer von „Rechtspopulisten und RechtspopulistInnen“ ab und zeigt sich auch in Genderfragen aufgeschlossen.

Seine Demutsgesten hindern ihn aber nicht daran, verschleierte muslimische Mitbürgerinnen als „unansehnliche, meterdicke Frauen“ zu bezeichnen, die „Meinungsdeutschen“ und dauerpostenden „Internet-Weltverbesserer“ zu verspotten und Sebastian Kurz als „meinen lieben Märchenkanzler“ zu preisen. Der Politiker ist eben einfach: jung.

„Sterben war gestern“ wechselt wie üblich bei Lottmann zwischen scharfkantiger Satire, skurriler Geschwätzigkeit und vorsätzlicher Unbedarftheit.

Lustig klappern die hölzernen Dialoge. Das Erfundene klammert sich eng an die Realität, wir sollen glauben, dass alles echt und erlebt ist. Aber wenn Lottmann die Realität mitschreibt, ändert diese ihren Charakter und wird zum Schelmenroman. Und das tut gut in diesen ernsten Zeiten.

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