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Ball aus Metall. Die Galerie Perrotin präsentiert die große Installation „Sphere Lutetia“ (1996) von Jesus Raphael Soto.

© dpa

Art Basel 2015: Guerilla-Zellen im Markenshop

Die Art Basel macht rasanten Umsatz. Aber sie muss auch aufpassen, dass sie als erste Adresse für Anleger die Kunst nicht verliert.

So viel Geld zirkuliert in einer knappen Woche durch die größte Kunstmesse der Welt, dass man sich die Art Basel eigentlich als einen quicklebendigen Ort vorstellen müsste. Der Umsatz hier ist die harte Droge, auf die der Kunstbetrieb jedes Jahr mit der Nervosität eines Junkies wartet. Dieses Jahr ist der Stoff besonders rein und unverfälscht. Schon in den ersten, für handverlesene „First Choice VIPs“ reservierten Messestunden werden wieder Millionen umgesetzt, als herrsche Schlussverkauf. Es fühlt sich an, als habe eine Zeitmaschine Verkäufer und Kunden zurück in die Jahre vor der Immobilien- und Bankenkrise versetzt. Und doch ist die Messe seltsam tot und flach. Selbst die Gespräche sind blutarm, und das Unbehagen ist greifbar an den Ständen. Was ist passiert?

Zu den heiligen Gesetzen der Messe gehört, dass man die Wahrheit nur in Andeutungen aussprechen darf. Und so sagt ein Berliner Galerist in aller Entschlossenheit, mit Finanzgeschäften wolle er auf gar keinen Fall etwas zu tun haben. Ihm gehe es allein um Kunst, und das sage er auch Sammlern, die über Geld und Investitionen mit ihm reden wollten. Geht woandershin!, rufe er ihnen zu und schaut so angewidert, dass man Mitleid mit den Investoren bekommt, die doch zur treibenden Kraft in Basel geworden sind, seit die langfristigen Sammler immer zögerlicher agieren und die verarmten öffentlichen Institutionen keine erkennbare Rolle mehr spielen.

Basel boomt, aber die Galerien sterben

Die klassischen Galeristen, will der Berliner Händler an seinem Stand eigentlich sagen, betrachten mit immer größerem Misstrauen das Basler Messemodell, vor allem seit der stets bedacht formulierende Messedirektor Marc Spiegler auffallend offen über die verschwimmenden Grenzen zwischen Kunst und Anlagegeschäft spricht. Es ist klar, dass die aktuelle Hausse am Kunstmarkt auch von der Unattraktivität konventionellerer Anlageformen in Niedrigzinszeiten lebt. Gleichzeitig sinken die Margen der Galerien, seit der Markt sich radikalisiert und nur noch bei den höchsten Preisen und etabliertesten Positionen exponentiell wächst. Basel boomt, aber das Galeriegeschäft stirbt. Der Handel bricht Rekorde, aber die innovativsten Positionen sind oft Ladenhüter: mitgebracht, um in Basel zu debütieren, aber unattraktiv für die vorbeistürmende Oligarchen- und Investorenelite.

Die Messe hat keine Strategie für dieses Paradox, das die Aussteller bedroht, und paktiert einseitig mit den Großanlegern. Wovon aber soll dieser Markt morgen leben? Was werden seine Gesetze in zehn Jahren sein, wenn es den klassischen Sammler als geduldigen Begleiter künstlerischer Werdegänge nicht mehr gibt? Man hört keine Antworten am wichtigsten Kunstmarktplatz der Welt. Schlimmer noch: Man sieht kaum Kunst, die ihrerseits eine Vorahnung von der Zukunft gibt. Basel ist vollends zum Museum geworden, das immer weniger Kontakt zur Außenwelt hat. Die Galeriestände, an denen die Kunst noch lebendig, vital, radikal und widerspenstig ist, wirken wie Guerilla-Zellen in einer Diktatur globaler Marken.

Kunst eilt hier der Zeit nicht voraus, sie friert die Ideen von vorgestern ein. Die Messeleitung unterstützt durch die Neuplatzierung der Galerien nach historischen Epochen diesen Effekt, während die Standpreise weiter steigen. Kein Wunder, dass der überwiegende Teil der Messestände aussieht, als seien sie Shop-in-Shop-Boutiquen in einem modernen Luxuskaufhaus. Der Stella für eine Million Dollar bei Marianne Boesky? Ein Thomas Schütte von 1998 für etwa fünf Millionen Dollar bei Skarstedt? Oder eine Rosemarie Trockel von 1987 für 1,8 Millionen Euro bei Sprüth Magers? Die Art Basel markiert vor allem den Industriestandard des Typischen in der Kunst und zieht eine unsichtbare Grenzlinie zwischen den Goldstandardwerken und der Gegenwart, die draußen vor der Tür geblieben ist. Sie hat sich trotz störrischer Einzelpositionen und politischer Zwischenrufe in Zeichnung und Malerei 2015 fast ausschließlich in die Videokunst zurückgezogen.

In der aufgeräumten Unlimited-Sektion bestechen Videoarbeiten

Beatrice Gibsons gelassen böses Wunderwerk „Solo for Rich Man“ bei der Laura Bartlett Gallery etwa, in dem drei Performances von George Maciunas aus den 1960er Jahren mit Kindern im Londoner Eastend reinszeniert werden. Ein wundersames Kaleidoskop entsteht da, in dem ein Finanzjargon rezitierender Junge zum Finanztycoon wird und ein Abenteuerspielplatz sich als Opernbühne unserer abstrakt ökonomisierten Gesellschaft entpuppt. Und auch in der aalglatt aufgeräumten Art-Unlimited-Sektion bestechen vor allem die Videoarbeiten, wenn man zum Beispiel bei Sarah Morris den Staub zu schmecken meint, in dem Montagearbeiter Frank Gehrys virtuelle Prunkarchitektur für die Fondation Louis Vuitton Realität werden lassen.

Spätestens wenn in Martin Creeds (für 65 000 Euro verkauftem) „Work No. 1701“ diejenigen im Takt des Musikclips über eine Straßenkreuzung schreitend schlenkern, hinken oder rückwärts robben, denen eine Behinderung andere, standardisiertere Bewegungen unmöglich macht, weiß man wieder, dass Kunst von geduldigem Hinschauen kommt.

Und so ist einer der eindrucksvollsten Stände der ganzen Messe ein Denkmal, das Susanne Vielmetter Projects irgendwie in den Basler Markentempel eingeschleust hat. 2012 hatten Spieler des renommierten Footballteams der Steubenville Highschool eine 16-jährige Schülerin mit Alkohol gefügig gemacht, missbraucht und unter entwürdigender Belustigung in sozialen Medien vorgeführt. Die Künstlerin Andrea Bowers hat das Gerichtsverfahren gegen die Täter besucht und die protokollierten Twitterposts und E-Mails in einem raumfüllenden Mosaik großformatiger Zeichnungen abgebildet. Wie ein hypnotischer blauer Himmel leuchten die filz- und kugelschreiberbemalten Blätter im Raum, vor deren Hintergrund sich der Rufmord am Opfer und dessen immer hilflosere Rechtfertigungsversuche nachlesen lassen, während gleichzeitig jeder Strich wie in einer Fleißarbeit die Aufmerksamkeit auf die misshandelte Schülerin zurücklenkt. Plötzlich lebt die Messe. Man glaubt an die Kunst, die ihre Klarheit aus dem Interesse an der Außenwelt gewinnt.

Die Art Basel wird etwas dafür tun müssen, damit diese Welt nicht nur in Sonderreservaten sichtbar wird. Unter Künstlern wird die veränderte Rolle der Kunst längst wieder erhitzt diskutiert. Nichts scheint gesichert, alles im Wandel. Bleiben die Messen demgegenüber einfach so, wie sie sind, entfremden sie die Kunst noch weiter vom Sammler und den Markt von neuen Ideen. Ob das ein nachhaltiges Geschäftsmodell ist?

Art Basel, bis 21.6.; www.artbasel.com

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