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Kultur: Griechisches

Der Geheimrat Goethe – und ein letztes Geheimnis.

Das Goethe-Tabu“ hieß das Buch, mit dem der amerikanische Germanist W. Daniel Wilson sich vor Jahren bei der deutschen Zunft unbeliebt machte. Als Geheimrat und Minister, so die Archiverkenntnis des Autors, habe der Weimarer Gralshüter des Schönen, Wahren und Guten sich in seinem Herzogtum nicht als besonderer Freund der Menschenrechte erwiesen. Diese Darstellung wurde als Provokation empfunden und mit der antideutschen Polemik eines Daniel Goldhagen verglichen.

Inzwischen ist die Diskussion sachlicher geworden, doch nun ist sein neues Buch erschienen, das wiederum einen Tabubruch verspricht: Goethe und die Homosexualität. Der Klappentext indes empfiehlt eine neutrale Lesart. Es gehe nicht darum, ob der Dichterfürst schwul gewesen sei, sondern darum, wie er die „gleichgeschlechtliche Liebe“ dargestellt und was er von ihr gehalten habe. Im Vorwort umarmt der Autor den früher heftig kritisierten Goethe mit erstaunlicher Freundlichkeit als Toleranzapostel. Es sei erstaunlich, „wie vielschichtig und modern“ Goethe „die Themen Geschlecht und Begehren“ behandle. „Mit Wärme und Achtung begegnete er Männerliebhabern und verlangte Gleiches von der Gesellschaft.“

Da der Begriff Homosexualität erst im späten 19. Jahrhundert entstand und damals eher in einem medizinisch-pathologischen Sinn gebraucht wurde, möchte Wilson lieber – wie Goethe selbst – von „griechischer Liebe“ sprechen. So analysiert er auch Goethes Vorlieben für antike Statuen, für nackte Ganymede oder den „fast weiblichen“ Apoll von Belvedere. Die Kunstwerke im Weimarer Treppenhaus erscheinen ihm als „homoerotisches Bildungsprogramm par excellence“. Von den zeitgenössischen „Männerliebhabern“, wird an erster Stelle der Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann angeführt. Auf die Frage, wie „griechisch“ denn Goethes eigene Männerfreundschaften waren, will Wilson als „Werkbiograf“ keine Aussage machen. Allerdings sprechen manche homoerotischen Konstellationen in ihrer Derbheit für sich, so etwa die Rolle Mephistos im zweiten Teil von „Faust“. Wilson bezeichnet ihn als „Art Möchtegern-Regisseur eines Pornos“. Sein erotisches Interesse gilt aber nicht, wie es bei Wilson erscheint, nur Knaben in Engelsgestalt, sondern auch dem reifen Faust selbst. Bereits in den 60er Jahren hat Kurt E. Eissler die Männerfreundschaften in Goethes Leben (so die mit Ernst Wolfgang Behrisch oder Johann Gottfried Herder) unter dem Aspekt der „misslungenen Verdrängung von Homosexualität“ untersucht. Dass sich hinter dem allegorischen Höhenflug im „Faust II“ nicht zuletzt eine Geschlechterverwirrung des Autors verbirgt, vermutete auch schon Friedrich Theodor Vischer (alias Deutobald Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky) in seiner Parodie von 1862. Mehr Licht als Eissler hat Wilson nicht in die Angelegenheit gebracht. Ein Tabu hat er diesmal nicht gebrochen. Willi Jasper

W. Daniel Wilson: Goethe, Männer,

Knaben. Aus dem

Englischen von

Angela Steidele.

Insel Verlag, Berlin 2012. 502 S., 28,95 €.

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