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Yasmina Reza

© ddp

Yasmina Reza: Glückliches Gemetzel

Die Welt als Bourlevard: Yasmina Reza und ihr Triumphzug durch die Theater.

Die wohlmeinenden, die gut sein wollenden Menschen sind selten die ehrlichsten. Ihre größte Gefährdung ist die Scheinheiligkeit. Ein Zyniker hat es da viel leichter, ihm liegen die bösen Wahrheiten gern auf der Zunge. Alain zum Beispiel ist Wirtschaftsanwalt, bei ihm klingelt dauernd das Handy, bei einem seiner Klienten aus der Pharmabranche brennt gerade was an. Und Alain gibt offen den Rat, ein erfolgreiches, aber zweifelhaftes Medikament, so lange seine Nebenwirkungen nicht bewiesen seien, keinesfalls vom Markt zu nehmen. Zumindest nicht kurz vor der nächsten Aktionärsversammlung des Herstellers.

Véronique wirkt ihm gegenüber wie die verkörperte Gegenwelt. Sie schreibt gerade ein Buch über die Menschenrechtskatastrophe in Darfur. Das findet Alain respektabel, absolut unterstützenswert. Aber im Grunde, sagt er, „wer interessiert sich schon für etwas anderes als für sich selbst?“. Véronique wolle sicher die Menschen in Darfur retten – doch um sich selber zu retten!

Solche Bemerkungen machen die Menschenfreundin alsbald zur Diskussionsmegäre. Isabelle Huppert alias Véronique möchte Alain dann schon die sottisenhaltige Luft abschneiden, mit der strikt flachen Hand, wie mit einer Machete. Es ist ein Spiel um Worte, die immer wieder Waffen sind, denn wir sind im Theater, in einer Komödie. Also taugt der fiese Zyniker, der statt an einen fortschrittlichen Weltgeist nur an den „Gott des Gemetzels“ glaubt, mehr zur Pointe und zur Sympathie als die moralische Nervensäge.

Denkt man. Jetzt hat die französische Erfolgsdramatikerin und ausgebildete Schauspielerin Yasmina Reza zum ersten Mal bei einem eigenen Stück Regie geführt. Die französische Erstaufführung von „Le dieu du carnage“ im Pariser Théâtre Antoine, mit Isabelle Huppert als Protagonistin, ist eine Antwort auf die deutschsprachige Uraufführung von „Gott des Gemetzels“, die Jürgen Gosch Ende 2006 im Zürcher Schauspielhaus herausgebracht hat und die als Koproduktion, immer ausverkauft, auch am Berliner Ensemble zu sehen ist. Dort bleibt jener Maître Alain in Gestalt des agil aufgekratzten Schauspielers Michael Martens bis zum Schluss der gefallene Engel des regieführenden Metzelgotts, gezaust zwar, aber als Virtuosenteufel auch eine komödiantische Lichtgestalt.

Yasmina Reza wirft jetzt noch ganz andere Schatten. Alains Bermerkung, dass jeder zuerst sich doch selber zu retten suche, korrespondiert ja mit den Motiven und Reflexionen von Rezas jüngstem Buch über den Wahlkampf des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Ihre aus buchstäblich hautnaher Beobachtung gewonnene, psychologisch empfindliche Nahaufnahme Sarkozys als getriebener und zugleich treibender Narziss der Politik erscheint im März auch auf Deutsch („Frühmorgens, abends oder nachts“). Sie nickt zustimmend, als wir uns nach der Pariser Vorstellung treffen und über die an einigen Stellen überraschende Nähe zwischen ihrer (zuvor geschriebenen) Komödie und dem Buch sprechen. Doch richtig reden möchte sie jetzt nicht mehr über Sarko und ihre so warmherzige wie verstandeskühle Annäherung an das neue Alphatier auf der politischen Bühne. „Die Literatur und das Theater, nicht die Politik, sind mein eigentlicher Job!“ Auch wenn sie nach der deutschen Ausgabe gleich nach New York fliegt zur englischsprachigen Veröffentlichung des Buchs, das wie ihre Stücke ein Weltbestseller wird.

Im hundertjährigen Pariser Théâtre Antoine, wo der Namenspatron André Antoine einst zum ersten modernen Regisseur der französischen Szene wurde, hängen die Plakate und Fotos auch von Sartre und Cocteau und von Pierre Brasseur, Maria Casarés oder der jungen Jeanne Moreau, die hier in legendären Uraufführungen zu Weltruhm gelangten. Es ist eine Privatbühne, und Yasmina Reza hat mit ihrem Bühnenbildner Thierry Flamand den denkbar stärksten Kontrast zum teils goldenen, teils vielfarbigen Stuck des klassizistischen Rangtheaters gesetzt: eine rissige Betonmauer. Fast überdeutliches Symbol für die vier Personen, die sich davor, im Wohnraum einer bourgeoisen Mittelklassewohnung, eine die Seelen und Teile der Einrichtung verwüstende Zimmerschlacht liefern.

Es geht um das Schlichtungsgespräch zweier Elternpaare. Ihre beiden elfjährigen Jungs sind nach der Schule aneinandergeraten, Alains und seiner Frau Annettes Sohn hat dem Filius von Véronique und Michel zwei Schneidezähne ausgeschlagen, deswegen wollen die Opfer-Eltern mit den Täter-Eltern erziehungspolitisch korrekt die pädagogischen Konsequenzen besprechen. Die zivilisatorische Firnis der gutbürgerlichen Liberalität erfährt dabei schnell tiefe Risse: schon wenn von „Tätern“ und „Opfern“ die Rede ist, wenn Kinder im Satzumdrehen zu quasi Kriminellen werden, weil Worte nur Widerworte ergeben und Verstehenwollen zum vernichtenden, auch die Paare untereinander spaltenden Missverständnis gerät. Kunst der Komödie: Aus einer Mücke wird ein tobsüchtiger Elefant. Das Fiasko der Pädagogen und Korrekten ist aberwitzig komisch und wirkt, Hessens Koch im Sinn, für deutsche Augen und Ohren noch besonders aktuell.

Dazu klingelt immerzu Alains Handy, und Annette erbricht Véroniques zum Espresso gereichte Süssigkeiten auf deren gestapelte Kunstkataloge. Nunmehr Coffeekotztablebooks. In Goschs Zürich-Berliner Aufführung wird das auch zur körperlichen Explosion der Akteure Dörte Lyssewski, Corinna Kirchhoff, Maertens und Thilo Nest. Ebenso jetzt auch in Dieter Dorns Münchner Inszenierung mit Sunnyi Melles als Frontfrau Véronique. In Paris speit man ebenso. Doch zugleich anders. Die Akteure kämpfen in Paris vor allem mit Worten.

Der Filmschauspieler André Marcon, schon äußerlich ein Schwergewicht als Michel (von Beruf Sanitätswarenhändler), und der schlaksige Eric Elmosnino als Anwalt Alain, spielen kaum ohne Text. Sind vor allem Statur – und als Annette (sehr jung, aus scheuer Zurückhaltung erwachend: Valérie Bonneton) endlich Alains Handy in einer Tulpenvase versenkt, sackt der minutenlang wie gelähmt zusammen. Rezas Bonmot: wie sehr Männer „an ihrem Zubehör hängen“. Das demonstriert sie und lässt, als sei sie von einem Jahr Begegnung mit dem hypermotorischen Sarkozy und seiner auftrumpfenden Machobande noch ein wenig gezeichnet, ihre Männer auf der Bühne oft in eine erschöpfte Starre fallen. In stille Melancholien, wie Tschechow-Menschen. Allein Isabelle Huppert, der fragile und agile Star, ist immerzu auf dem Sprung, spielt auch ohne Worte mit Pfeilblicken, wippenden Knien, nervöser Fingerfertigkeit, ist bissig und noch in abgekämpft alkoholischer Katerstimmung wildkatzenwach.

In Paris ein Triumph. Einhundert Vorstellungen bis Ende April. Yasmina Reza lacht: „Ein Erfolg. Aber Erfolg ist auch unwirklich, anders als ein persönliches Glücksgefühl. Erfolg merkst du nur am Geld, ansonsten hat das mit meinem Schreiben nichts zu tun.“ Im deutschsprachigen Raum planen 60 Bühnen den „Gott des Gemetzels“, und demnächst fliegt Reza nach London. Dort startet „The God of Carnage“ im März im Gielgud Theatre im West End, mit Ralph Fiennes als Alain. Glückliches Gemetzel.

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