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Murano-Glas ist ein beliebtes Material in der Kunst. Hier die Arp-Plastik "Ohne Titel" von 1963.

© Thomas Frey dpa/picture-alliance

Glaskunst in Venedig: Zwischen Kunst und Handwerk

Die Insel Murano in der venezianischen Laguna ist berühmt für ihre Glaswerkstätten. Eine Konferenz und Ausstellungen beschäftigen sich mit dem Material.

Glas ist nicht so sehr ein Material als vielmehr ein Aggregatzustand, sagt der Belgier Koen Vanderstukken, der in Kanada lehrt und selbst zwischen Kunst und Wissenschaft diffundiert. Bei der Jahrestagung der internationalen Glass Art Society (GAS) in Murano mit über 1800 Teilnehmern zumeist aus den USA gehörte Vanderstukken zu den Referenten. Er sieht Glas als den idealen Stoff des digitalen Zeitalters – in der Technik, im Alltag Konzeptuelle Glaskunst verweist auf den „gläsernen Menschen“.

Die Insel der Glasbläser in der venezianischen Lagune lebt von einer Jahrhunderte alten Tradition. Aber das reicht nicht mehr, um die ruhmreichen Glaswerkstätten zu erhalten. Und es bedeutet künstlerischen Stillstand. Kristallleuchter, Vasen und extravagante Trinkgefäße sind auf Dauer nicht abendfüllend. Und so lange es Murano und seine Meister gibt, existiert der oft schmerzhafte Konflikt zwischen Kunst und Handwerk.

Dabei lässt sich in Murano schnell erkennen: Das eine kommt ohne das andere nicht aus. Im frühen 20. Jahrhundert erlebte Murano-Glas eine Blütezeit, weil Architekten, Designer und bildende Künstler wie Carlo Scarpa, Vittorio Zecchin oder Dino Martens die Möglichkeiten des heißen Stoffs aus den Öfen und die Glasmeister für sich entdeckten. Man tut sich dort immer noch schwer mit Einflüssen und Energien von außen – worauf diese kleine und manchmal auch sehr enge Welt doch angewiesen ist.

Nordamerika ist für die Glapsproduzenten der größte Markt

Lino Tagliapietra stammt von der Glasinsel. Der 84-Jährige gilt als einer der besten Glaskünstler der Welt; seine größeren Stücke sind nicht unter 50 000 Euro zu bekommen. Tagliapietra hat in Murano einen eleganten Showroom, aber sein Arbeitsschwerpunkt liegt inzwischen an der US-Westküste. Seattle ist ein Zentrum der Glaswelt und Sitz der Glass Art Society. Auf der Konferenz in Murano performte Tagliapietra unter freiem Himmel wie ein Popstar, schuf vor frenetisch klatschenden Zuschauern mit seinen Team ein Werkstück, das an die Serie „Angels Tears“ erinnert; ein dicker Tropfen mit langem Hals und spiraligem Innenleben. Nordamerika ist für die Glasproduzenten von Murano mit der größte Markt. Das GAS-Meeting stärkte diese Verbindung – wobei die innovativen Glas-Künstler derzeit aus Japan und Australien kommen, wie auf den zahlreichen Lectures und Demonstrationen zu erleben war.

Für Adriano Berengo kennt die Glaskunst ohnehin keine Grenzen. Der Impresario unterhält in Murano eine Glasmanufaktur, eine Galerie und spektakuläre Ausstellungshallen. Zum GAS-Meeting eröffnete er „Lux-Lumen“, mit Glasskulpturen von 23 Künstlern, darunter Ai Weiwei, Javier Perez und Fred Wilson. Berengo arbeitet unermüdlich und mit wachsendem Erfolg an seiner Vision von Glas und zeitgenössischer Kunst. Im Palazzo Franchetti, gegenüber der Accademia am Canal Grande, zeigt er „Memphis – Plastic Field“, eine Retrospektive der Designgruppe um Ettore Sottsass aus den Achtzigern. Beide Ausstellungen richten sich an die Besucher der Architektur-Biennale und sind bis zum 25. November zu sehen. Auch für Berengo ist Glas ein Zustand von positiver Spannung, flexibel und smart. Seine Moleküle bleiben in Bewegung, bilden neue Formen, folgen dem Flug der Gedanken.

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